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Demoan­melder als Hilfs­po­li­zis­ten?

Grundrechte-Report 2009, Seite 119

Rund 800 Bürger und Bürgerinnen demonstrierten am 19. Mai 2007 in Karlsruhe unter dem Motto „Jetzt erst recht – Repression und G8 entgegentreten“. Zuvor waren im Frühjahr 2007 in Vorbereitung des G 8-Gipfels von der Bundesanwaltschaft Ermittlungen nach § 129a Strafgesetzbuch aufgenommen worden. Am 9. Mai 2007 hatten 900 Polizisten in Norddeutschland mehrere Wohnungen durchsucht. Gegen dieses Vorgehen, das inzwischen vom Bundesgerichtshof als rechtswidrig beurteilt wurde, hatte ein Student eine Demonstration angemeldet. Selbst das Polizeipräsidium Karlsruhe schilderte deren Verlauf als „weitgehend friedlich“. Trotzdem erging gegen den Demonstrationsanmelder ein Strafbefehl über 160 Tagessätze wegen Verstoßes gegen das Versammlungsgesetz. Begründung: Er sei dafür verantwortlich zu machen, dass von den Teilnehmern der Versammlung diverse Auflagen nicht eingehalten worden seien. Nach seinem Widerspruch verurteilte ihn das Amtsgericht Karlsruhe im Juni 2008 zu einer Geldstrafe von immer noch 60 Tagessätzen (Az. 6 Cs 570 Js 27550/07). Der Angeklagte hat Berufung eingelegt. Das Amtsgericht Karlsruhe orientierte sich wohl bereits an den bayerischen Regelungen des Versammlungsgesetzes (vgl. auch Wolf-Dieter Narr, Auf denn zur nächsten Demo, S. 123), an dem auch der baden-württembergische Entwurf orientiert ist, der seit Mitte August 2008 zur Anhörung freigegeben ist.

Auflagen ermöglichen Krimi­na­li­sie­rung

Im fortgesetzten Kampf der Ordnungsbehörden und -politiker gegen das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit ist in jüngster Zeit ein enges Zusammenspiel der Verhängung übermäßiger Auflagen einerseits und der abschreckenden Kriminalisierung von Versammlungsleitern andererseits zu beobachten. Im Grundrechte-Report 2008 berichtete Moritz Assall über die Praxis der extensiven Auflagenerteilung durch Versammlungsbehörden. Diese halten einer gerichtlichen Überprüfung häufig nicht stand. Auflagen dürfen nur erlassen werden, wenn Grund zur Annahme besteht, dass Gefahren von einer Versammlung ausgehen. Das hohe Gut der Versammlungsfreiheit, gepaart mit dem Grundrecht auf Meinungsfreiheit, beinhaltet auch das Recht der Bürger, über Ort, Zeit, Inhalt und Form einer Versammlung selbst zu bestimmen.

In Karlsruhe wurden jedoch vorbeugend 16 Auflagen erlassen, die von der Beschaffenheit und Größe von Transparenten und Stangen bis zum Untersagen von Laufen und Sprinten, dem Verbot von Hunden und von alkoholischen Getränken den Verlauf der Demonstration zu regeln versuchten. Selbst Kapuzenpullover waren verboten, soweit sie „dazu geeignet seien“, sich zu vermummen. Die einzusetzenden Ordner seien „in Anwesenheit der Polizei in ihre Aufgaben einzuweisen sowie über ihre Rechte und Pflichten zu belehren“. Schon in den Auflagen wird der Versammlungsleiter belehrt, dass er für die Durchsetzung aller Auflagen verantwortlich sei und anderenfalls die Versammlung sofort aufzulösen hätte. Er müsse im Übrigen mit seinen Weisungen „alle Teilnehmer jederzeit erreichen können“.

Es war einmal …

Der Brokdorf-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, auf den sich formal auch die Versammlungsbehörden gerne beziehen, hat 1985 unmissverständlich festgestellt, dass eine Versammlung nicht aufgelöst werden darf, wenn einzelne Teilnehmer sich unfriedlich verhalten. Das Gericht betonte die Autonomie der Bürger in der Gestaltung der Demonstration und stellte eine Gesamtverantwortung eines Anmelders infrage.

In Karlsruhe – und nicht nur dort – wollen Versammlungsbehörde und Polizei nun die Aufgabe der Auflösung einer Demonstration an den Versammlungsleiter delegieren – und das nicht erst bei einer unmittelbaren Gefährdung der öffentlichen Sicherheit. Das Amtsgericht Karlsruhe stimmt in diesen grundrechtsfeindlichen Chor ein: „Es kann aus Sicht des Gerichtes nicht anerkannt oder auch nur hingenommen werden, dass beliebig und vor allem auch folgenlos eine Demonstration so durchgeführt wird, wie es sich die Teilnehmer vorstellen und wünschen …“

Der angeklagte Versammlungsleiter hatte sich selbst an die Auflagen gehalten und diese verlesen. Das Urteil hält ihm gar zugute, dass er sich um die Einhaltung der Auflagen bemüht habe. Allerdings habe er sich nur “halbherzig und pro forma“ eingesetzt. Die rechtsstaatswidrige Auffassung des Gerichts wird vollends daran deutlich, dass es diesen Mangel daraus ableitet, dass der Angeklagte den Auflagen widersprach und vorläufigen Rechtsschutz beantragt hatte. Dies zeige, dass ihm „nicht nur die Botschaft (der Demonstration, d. Verf.) wichtig“ war, sondern auch „wie der Demonstrationszug erfolgte“. Denn: „Wie anders ist der Versuch zu werten, die angeordneten Auflagen im verwaltungsgerichtlichen Wege für nichtig erklären zu lassen“?

Auch die Liste der Vergehen, gegen die er nicht mit ausreichender Verve „tätig“ geworden ist, mutet lachhaft an: Die Ordner sind erst eine Viertelstunde später als vorgesehen der Polizei vorgestellt worden. Von diesen ist einer von der Polizei ohne Rechtsgrundlage abgelehnt worden. Im neuen, zum Zeitpunkt der Demonstration noch nicht einmal im Entwurf vorliegenden Landesversammlungsgesetz soll diese Möglichkeit geschaffen werden. Eine gründliche Einweisung der Ordner in die Auflagen habe nicht stattgefunden. Der Mindestabstand zwischen den Transparenten sei nicht eingehalten worden. Transparente seien bis zum Nasenbereich hochgezogen worden. Teilnehmer hätten zu ähnliche Kleidung getragen, und bei einigen sei die Feststellung der Identität „wesentlich erschwert“ gewesen. Und dann seien an der Spitze des Demonstrationszuges auch einige losgelaufen. Es habe keine zusätzlichen Ordner gegeben, die den Lautsprecherwagen sicherten. Es habe Sprechchöre gegeben („regelmäßig: ‚Kameramann Arschloch‘“), die von der Polizei als Beleidigung gewertet wurden.

Das Amtsgericht Karlsruhe, das seinen höchstgerichtlichen Nachbarn wohl nicht zur Kenntnis nehmen will, missachtet sowohl das Selbstbestimmungsrecht der Demonstrierenden als auch die begrenzte Verantwortung eines Versammlungsleiters, der nicht für all die vielfältigen Ausdrucksformen und die vielen aufrufenden Gruppen eine stellvertretende Gesamtverantwortung tragen kann. Es zitiert dieses Gericht sogar falsch, wenn es behauptet, dass „Rechte anderer bei der Ausübung (des Demonstrationsrechts, d. Verf.) nicht beeinträchtigt oder verletzt werden“ dürfen. Denn explizit geht es um ein verhältnismäßiges Abwägen gleichwertiger Rechte, also Grundrechte.

Leider kein Einzelfall

Das Ganze ist jedoch kein Einzelfall. Allein im Jahr 2008 standen weitere Versammlungsleiter in den Städten München, Rostock und Friedrichshafen vor Gericht. In München wurde den Versammlungsleitern vorgeworfen, gegen Seitentransparente und „themenfremde Redebeiträge“ nicht ausreichend eingeschritten zu sein. Der Versammlungsleiter wurde freigesprochen, seine Vertreterin konnte allerdings erst in zweiter Instanz vor dem Münchener Landgericht eine Einstellung nach § 153 Absatz 2 Strafprozessordnung erreichen. Trotz Zweifeln meinte auch dieses Gericht, ein Versammlungsleiter müsse eine Versammlung auflösen, wenn er nicht alle Auflagen durchsetzen könne. In Rostock konnte der Strafbefehl über 50 Tagessätze im Verfahren vor dem Amtsgericht abgewehrt und ein Freispruch erreicht werden.

Die Vorstellungen von straff geleiteten Aufmärschen sollen wieder durchgesetzt werden. Die neuen Versammlungsgesetze könnten das erleichtern, was jetzt noch von vielen Gerichten zurückgewiesen wird. Den Versammlungsleitern werden quasi polizeiliche Ordnungsaufgaben zugemutet, die sie gar nicht erfüllen können. Zugleich sollen die angedrohten Maßnahmen vor der Übernahme solcher bürgerlicher Aufgaben abschrecken.

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