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Der „Kampf gegen den Terror“ und europäische Grundrechte

Grundrechte-Report 2009, Seite 191

Im Grundrechte-Report 2008 (S. 168 ff.) hat Ulrich Finckh über die vom Sicherheitsrat der Vereinten Nationen beschlossenen Terrorlisten berichtet und die Konsequenzen, die sie für die betroffenen Personen und Organisationen haben: Keine Anklage, kein rechtliches Gehör, keine zeitliche Begrenzung und keine Rechtsmittel, aber gleichzeitig keine Reisemöglichkeit und Beschlagnahme der Konten und des Vermögens, so dass die Betroffenen allenfalls auf Sozialhilfeniveau leben können. Der vom Europarat eingesetzte Sonderermittler Dick Marty hat ebenfalls diese rechtsstaatswidrige Verfahrensweise kritisiert, die die Schuldvermutung an die Stelle der Unschuldsvermutung setzt und noch nicht einmal den Gegenbeweis des Beschuldigten ermöglicht. Auch mehrere Urteile europäischer Gerichte waren vergeblich und halfen nicht dagegen, dass sich die Europäische Union den Beschlüssen des UN-Sicherheitsrats angeschlossen hat. Das ist nun endlich anders geworden durch Urteil der Großen Kammer des Europäischen Gerichtshofs vom 3. September 2008 in den verbundenen Rechtssachen C-402/05 P und C-415/05 P.

Völkerrecht gegen Grundrechte

Der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen hat u. a. den saudischen Staatsangehörigen Yassin Abdullah Kadi und die in Schweden ansässige Al Barakaat International Foundation als mit Osama bin Laden, Al Quaida und den Taliban verbunden bezeichnet. Daraufhin wurden sie in die Liste der Verordnung (EG) Nr. 881/2002 des Rates der EG vom 27. Mai 2002 aufgenommen. Nach Artikel 2 dieser Verordnung werden alle Gelder und wirtschaftlichen Ressourcen der natürlichen oder juristischen Personen und Organisationen, die auf dieser Liste stehen, eingefroren. Die Betroffenen erfahren weder vorher, dass sie auf die Liste gesetzt werden, noch auch hinterher, warum dies geschehen ist und was ihnen vorgeworfen wird, so dass sie auch nicht wirksam um die Streichung ihres Namens kämpfen können, dass ihr Name von der Liste gestrichen wird.

Die Klage von Yassin Abdullah Kadi und der Al Barakaat International Foundation vor dem Europäischen Gericht erster Instanz war zunächst erfolglos, weil das Europäische Gericht erklärte, dass der Sicherheitsratsbeschluss völkerrechtlich bindend ist und folglich kein nationales oder europäisches Gericht dagegen etwas auszurichten vermag.

Die EU ist eine Rechts­ge­mein­schaft

Der in der zweiten Instanz angerufene Europäische Gerichtshof hat bestätigt, dass zwar Sicherheitsratsbeschlüsse nach der Charta der Vereinten Nationen völkerrechtlich bindend sind und auch die Europäische Gemeinschaft und die Gerichte Völkerrecht zu beachten haben, er hat aber gleichzeitig mit geradezu feierlichem Pathos darauf hingewiesen, dass „die Gemeinschaft eine Rechtsgemeinschaft ist, in der weder ihre Mitgliedstaaten noch ihre Organe der Kontrolle daraufhin, ob ihre Handlungen mit der Verfassungsurkunde der Gemeinschaft, dem Vertrag, im Einklang stehen, entzogen sind. Nach ständiger Rechtsprechung sind die Grundrechte integraler Bestandteil der allgemeinen Rechtsgrundsätze, deren Wahrung der Gerichtshof zu sichern hat. Der Gerichtshof lässt sich dabei von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluss die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Hierbei kommt der Europäischen Menschenrechtskonvention besondere Bedeutung zu. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofs ergibt sich auch, dass die Achtung der Menschenrechte eine Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Handlungen der Gemeinschaft ist und dass Maßnahmen, die mit der Achtung dieser Rechte unvereinbar sind, in der Gemeinschaft nicht als rechtens anerkannt werden können. Aus alledem folgt, dass die Verpflichtungen aufgrund einer internationalen Übereinkunft nicht die Verfassungsgrundsätze des EG-Vertrags beeinträchtigen können“ (Ziffer 281-285 des Urteils).

Daher kann der Europäische Gerichtshof zwar nicht den völkerrechtlich bindenden Sicherheitsratsbeschluss für rechtswidrig erklären – aber er kann und muss sehr wohl jede Handlung und Maßnahme der Organe der Europäischen Gemeinschaft für nichtig erklären, die nicht die Rechtsgrundsätze dieser Gemeinschaft berücksichtigt, zu denen die Grundrechte, der Rechtsstaat und die Möglichkeit des effektiven Rechtsschutzes gehören! Und um noch einmal den Gerichtshof selbst zu Wort kommen zu lassen: „Aus alledem ergibt sich, dass die Gemeinschaftsgerichte im Einklang mit den Befugnissen, die ihnen aufgrund des EG-Vertrages zustehen, eine grundsätzlich umfassende Kontrolle der Rechtmäßigkeit sämtlicher Handlungen der Gemeinschaft im Hinblick auf die Grundrechte als Bestandteil der allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts gewährleisten müssen, und zwar auch in Bezug auf diejenigen Handlungen der Gemeinschaft, die wie die streitige Verordnung der Umsetzung von Resolutionen des Sicherheitsrats nach Kapitel VII der UN-Charta dienen sollen“ (Ziffer 326 des Urteils).

Grundrechte haben Vorrang vor der Terror­be­kämp­fung

Da den auf die Liste gesetzten Personen und Organisationen nicht bekannt gegeben wird, warum sie auf diese Liste gesetzt werden, ist ihr Anspruch auf rechtliches Gehör nicht gewahrt und ist auch der Gerichtshof selbst nicht in der Lage, die Rechtmäßigkeit der streitigen Verordnung zu prüfen. Daraus gibt es nach Auffassung des Gerichtshofs nur eine Konsequenz: Die Verordnung wird, soweit sie die Kläger betrifft, für nichtig erklärt, und um ein nahe liegendes Argument von vornherein zurückzuweisen, erklärt der Gerichtshof gleichzeitig (Ziffer 343 des Urteils), dass eine Maßnahme nicht „jeder Kontrolle durch den Gemeinschaftsrichter entzogen werden kann, sobald erklärt wird, dass der diese Restriktionen anordnende Rechtsakt Fragen der nationalen Sicherheit und des Terrorismus berühre.“

Bemerkenswert sind auch die Konsequenzen, die der Europäische Gerichtshof aus seiner eigenen Entscheidung zieht: Da weder der Sanktionsausschuss des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen noch der Rat der EG begründet haben, warum Yassin Abdullah Kadi und die Al Barakaat International Foundation auf die Liste gesetzt wurden als angeblich mit Osama bin Laden, Al Quaida und Taliban verbunden, könne es durchaus sein, dass dies zu Recht (wie auch zu Unrecht) geschehen ist. Deshalb tritt die Nichtigkeit hinsichtlich der beiden Kläger nicht sofort ein, sondern der Gerichtshof gibt dem Rat der Europäischen Gemeinschaften genau drei Monate Zeit ab Verkündung des Urteils, seine Verstöße gegen Rechtsstaat und Grundrechte zu heilen, seine Maßnahme zu begründen und den Klägern Gelegenheit zur Widerlegung zu geben. Auch dies eine mutige Entscheidung, wenn man bedenkt, dass das Bundesverfassungsgericht, wenn es die Verfassungswidrigkeit von Gesetzen feststellt, dem Bundestag häufig mehrere Jahre Zeit gibt, das Gesetz nachzubessern.

Ob die Kläger hiermit endgültig gewonnen und ihre Ziele erreicht haben, oder ob sie gezwungen werden, ein erneutes Verfahren anzustrengen, bleibt vorerst noch offen. So hatte auch das Oberste Gericht in Großbritannien den Innenminister angewiesen, die iranische Widerstandsgruppe Volksmundschahidin (PMOI) von der Liste zu streichen, da die Richter „keinerlei Beweise“ gegen die Gruppe gefunden und die Politik der Regierung sogar „pervers“ genannt hatten. Daraufhin übernahmen im europäischen Rat die Franzosen den unbewiesenen Vorwurf! Aber nun hat der Europäische Gerichtshof selbst die Verordnung mit ihrer Liste gegenüber den Klägern aufgehoben. Ein großer Schritt zur Verteidigung des Rechtsstaats gegen den „Kampf gegen den Terror“ ist getan.

Literatur

Hayes, Ben, Reformierte Terrorlisten, Instrumente der Willkür, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 87 (2/2007), Seite 36 ff.

Heiner Busch/Jan Wörlein, Terrorlisten vor den EU-Gerichten, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 87 (2/2007), Seite 17 ff.

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