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Richter­liche Rechts­blind­heit

Grundrechte-Report 2009, Seite 138

Als das Bundesverfassungsgericht 1997 die nachträgliche gerichtliche Überprüfung von Wohnungsdurchsuchungsbeschlüssen für verfassungsrechtlich geboten erklärte (Neue Juristische Wochenschrift Jahrgang 1997, 2163), durfte man wegen der „Gefahr“ nachträglicher gerichtlicher Kontrolle auf eine bessere vorherige sorgfältige Prüfung der gesetzlichen Voraussetzungen von Wohnungsdurchsuchungen hoffen (Till Müller-Heidelberg, Ein Stückchen mehr Rechtsstaat, Grundrechtereport 1998, Seite 186 ff). Diese Hoffnung trog: Je nachhaltiger das Bundesverfassungsgericht den Schutz der Wohnung und auch der beruflich genutzten Räume nach Artikel 13 Grundgesetz zu sichern versucht, desto mehr verstoßen die ordentlichen Gerichte dagegen – und da man den Richtern doch wohl die Kenntnis der verfassungsrechtlichen Vorgaben und Rechtsprechung unterstellen darf / muss, kann nur von vorsätzlicher Rechtsblindheit gesprochen werden. Julia Kühn und Helmut Pollähne haben in den Grundrechtereporten 2006 Seite 128 und 2007 Seite 118 über „Verfassungswidrige Durchsuchungen und kein Ende“ berichtet. 

Weiter werden am laufenden Bande von den Gerichten verfassungswidrige Durchsuchungsbeschlüsse erlassen und die dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerden werden vom Bundesverfassungsgericht ausnahmslos als „offensichtlich begründet“ bezeichnet – diese Offensichtlichkeit muss doch auch den anordnenden Amtsrichtern sowie den dagegen als Beschwerdegericht angerufenen Landgerichten aufgefallen sein! Nur ein geringer Teil der Betroffenen begibt sich auf den mühevollen Weg der Verfassungsbeschwerde, so dass es bei den Entscheidungen des Verfassungsgerichts sich nur um die Spitze des Eisbergs handeln kann.

Vertrauensverhältnis zu Anwälten und Ärzten nicht mehr geschützt

Das Vertrauensverhältnis zwischen Mandant und Anwalt, zwischen Patient und Arzt ist im Strafgesetz, in der Zivilprozessordnung sowie in der Strafprozessordnung besonders geschützt. Der Berufsgeheimnisträger macht sich strafbar, wenn er ihm vertraulich gemachte Informationen preisgibt, er hat ein Schweigerecht und eine Schweigepflicht, er hat ein Zeugnisverweigerungsrecht und seine Akten dürfen nicht beschlagnahmt werden. Dies scheint zunehmend die Strafverfolgungsbehörden zu besonderen Anstrengungen zu reizen: Um diesen gesetzlichen Vertrauensbereich aufzubrechen, machen sie den Berufsgeheimnisträger schlicht zum Beschuldigten, in dem sie den Verdacht einer Straftat behaupten – und schon können sie auch beim Arzt oder Anwalt eine Hausdurchsuchung erreichen und Akten beschlagnahmen und Einsicht nehmen.

Ein Strafverteidiger hatte im Namen seines Mandanten Beschwerde gegen einen gerichtlichen Durchsuchungsbeschluss eingelegt und dies mit möglicherweise etwas reichlich drastischen Formulierungen begründet. Daraufhin erstattete der angegriffene Richter flugs eine Strafanzeige wegen Beleidigung und dasselbe Amtsgericht erließ auf Antrag der Staatsanwaltschaft auch eben so schnell einen Durchsuchungsbeschluss bzgl. der Kanzlei und der Privatwohnung des Anwalts.

In einem anderen Fall hatte der Rechtsanwalt in einem Unterhaltsrechtsstreit im Auftrag der von ihm vertretenen Ehefrau einen gerichtlichen Unterhaltsvergleich mit dem Ehemann geschlossen, der aber nicht zahlte, weil 2 Tage zuvor das Insolvenzverfahren über sein Vermögen eröffnet worden war. Als daraufhin der Anwalt gegen den Ehemann Strafanzeige wegen des Verdachts des Prozess- und Eingehungsbetrugs erstattete, stellte die Staatsanwaltschaft zwar das Ermittlungsverfahren gegen den Ehemann sofort ein, leitete aber gegen den Anwalt ein Ermittlungsverfahren wegen falscher Verdächtigung ein und erwirkte unverzüglich einen Durchsuchungsbeschluss für die Kanzleiräume und für die Privatwohnung.

Eine Frauenärztin berechnete einer Privatpatientin eine Ultraschalluntersuchung mit ca. 70 Euro Da die Patientin behauptete, es habe keine Ultraschalluntersuchung stattgefunden, übersandte die Ärztin ihr das Ultraschallbild. Trotzdem erstattete der Ehemann der Patientin Strafanzeige wegen Abrechnungsbetrugs und die Staatsanwaltschaft erhielt unverzüglich einen Durchsuchungsbeschluß – nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts lag angesichts des vorgelegten Ultraschallbildes noch nicht einmal ein ernsthafter Verdacht vor.

Rechts­beu­gung durch die ordent­li­chen Gerichte

In allen drei Fällen des ersten Halbjahres 2008 erklärte das Bundesverfassungsgericht die eingelegten Verfassungsbeschwerden für „offensichtlich begründet“ und die Durchsuchungsbeschlüsse sowie die Beschwerdeentscheidungen der Landgerichte für rechtswidrig. Die „herausgehobene Bedeutung der Berufsausübung eines Rechtsanwalts für die Rechtspflege und für die Wahrung der Rechte seiner Mandanten und die daraus sich ergebende besonders sorgfältige Beachtung der Eingriffsvoraussetzungen und des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit“ seien nicht berücksichtigt. Formelhafte Formulierungen für die Begründung reichten nicht. Auch sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung konnte das Bundesverfassungsgericht nicht erkennen. Das Bundesverfassungsgericht erinnerte die Gerichte daran, „dass der Ermittlungsrichter die Eingriffsvoraussetzungen selbständig und eigenverantwortlich“ prüfen muss und sich nicht lediglich auf die Angaben der Staatsanwaltschaft verlassen darf. Der eine Durchsuchung anordnende Richter muss das dem Beschuldigten angelastete Verhalten selbständig schildern, welches den Tatbestand eines Strafgesetzes erfüllen soll. Nur dann ist die Sicherung des Vertrauensverhältnisses zwischen Mandant oder Patient und dem Berufsgeheimnisträger geschützt. „Der Schutz der Vertrauensbeziehung zwischen Anwalt und Mandant liegt auch im Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege“.

All dies ist nun seit Jahren feststehende und immer wiederholte Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und folglich den Amts- und Landgerichten bekannt. Wann endlich ermitteln Staatsanwälte wegen Rechtsbeugung nach § 339 Strafgesetzbuch gegen die Richter, die sehenden Auges immer wieder hiergegen entscheiden?

Literatur

Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 1219/07 vom 21.01.2008 (Arztpraxis) – DVBl. 2008, 400
Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 1801/06 vom 05.05.2008 (Anwaltspraxis) – NJW 2008, 2422
Bundesverfassungsgericht – 2 BvR 384/07 vom 06.05.2008 (Anwaltspraxis) – NJW 2008, 1937

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