Der Streit um die Versammlungsgesetze geht weiter
Grundrechte-Report 2011, Seite 116 – 119
Bayern war 2008 mit einem Landesversammlungsgesetz vorgeprescht, das vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) allerdings keinen Bestand hatte. In einer einstweiligen Anordnung setzte dieses einen Teil der Regelungen außer Kraft (vgl. Elke Steven, Grundrechte-Report 2010, S. 117 ff.). Zu einer endgültigen Entscheidung im Verfassungsbeschwerdeverfahren kam es bisher nicht. Das Land Bayern, inzwischen mitregiert von der FDP, erließ zum 1. Juni 2010 ein verändertes Gesetz. Die Vorgaben des BVerfG sollen nun berücksichtigt und der »Einschüchterungseffekt« gegenüber den Bürgern eliminiert
sein. Zwölf Organisationen, die schon die erste Beschwerde eingelegt hatten, führen – bis auf die FDP – diese fort und argumentieren, dass die Unvereinbarkeit mit Artikel 8 GG für Teile des neues Gesetzes und zugleich auch für die Regelungen des alten Versammlungsgesetzes und ihre besonders schweren Grundrechtseingriffe durch das Verfassungsgericht festgestellt werden müsse.
Aber auch andere Bundesländer ziehen nach und verfassen eigene Versammlungsgesetze. Sachsen-Anhalt, Sachsen und Niedersachsen haben Ende 2009, Anfang 2010 und im November 2010 eigene Gesetze zur Einschränkung des Grundrechts auf Versammlungsfreiheit verabschiedet. In Sachsen haben drei der Oppositionsparteien eine Normenkontrollklage beim Sächsischen Verfassungsgerichtshof eingereicht.
Gegen jeden Extremismus?
In Bayern war schon 2008 argumentiert worden, das neue Versammlungsrecht müsse eine Handhabe gegen jede extremistische
Wahrnehmung des Grundrechts auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit vorsehen. Im schwarz-gelben Koalitionsvertrag der Bundesregierung wurde vereinbart, die gegen Rechtsextremismus
aufgelegten Programme sollten zukünftig auch auf andere Extremismen ausgedehnt werden. Die neuen Versammlungsgesetze der Bundesländer gehen alle mehr oder weniger dazu über, Meinungen, die vom Verfassungsschutz als extremistisch gewertet werden, zu kriminalisieren und vom Grundrecht auf Versammlungsfreiheit auszuschließen. Das Bundesverfassungsgericht hat dementgegen immer betont, dass das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht an eine »richtige« Gesinnung gebunden ist.
Das sächsische Versammlungsgesetz setzt in § 15 nationalsozialistische
und kommunistische »Gewaltherrschaft« gleich und ermöglicht es, Versammlungen »an einem Ort von historisch herausragender Bedeutung« zu verbieten, wenn dadurch die nationalsozialistische oder kommunistische Gewaltherrschaft verharmlost würden oder die Opfer oder die Widerstandskämpfer aus den Zeiten dieser Regime oder pauschal die »Opfer eines Krieges« in ihrer Würde verletzt werden würden. Für bestimmte Örtlichkeiten sollen Versammlungen pauschal
oder zeitlich begrenzt verboten werden können. Die Aufzählung solcher Orte (Völkerschlachtdenkmal in Leipzig, Umgebung der Frauenkirche in Dresden) ist nicht abschließend und kann von den Behörden ergänzt werden.
Darüber hinaus sieht derselbe Paragraf des sächsischen Gesetzes auch eine Beweislastumkehr vor. Haben »vergleichbare« Versammlungen in der Vergangenheit »die öffentliche Sicherheit oder Ordnung« gefährdet, so können solche Versammlungen verboten oder mit Auflagen versehen werden. Ob es sich um eine vergleichbare Versammlung handelt und ob die vorhergehende die öffentliche Ordnung gestört hat, sind streitbare Projektionen, die mit der jeweiligen aktuell anzumeldenden
Versammlung nichts zu tun haben.
In Sachsen-Anhalt sollen Versammlungen verboten werden können, wenn dadurch das Gedenken an »Opfer der schweren Menschenrechtsverletzungen während der Zeiten der sowjetischen Besatzung und der SED-Diktatur« gestört werden könnte. Des weiteren soll die Befürchtung »einer erheblichen Verletzung ethischer und sozialer Grundanschauungen« ein Verbot oder Auflagen rechtfertigen. Schwammiger kann man es wohl kaum formulieren. Rechtssicherheit sieht anders aus.
Die Folge dieser Gesetze sind die vielfältigen Ermittlungen gegen diejenigen, die gegen den braunen Antisemitismus, Nationalismus, Ausländerhass mobilisieren und auf die Straße gehen. In Bayern stießen Verbote von NPD-Demonstrationen jedoch weiterhin auf Ablehnung bei den Verwaltungsgerichten. »Das Gesetz behinderte dagegen in vielen Fällen Demonstrationen gegen Rechtsextremisten« schreiben die Verfasser der bayerischen Verfassungsbeschwerde (S. 21).
Versammlungen? Aber bitte nur ordentlich!
Im alten Bundes-Versammlungsgesetz war erst im Abschnitt über Straf- und Bußgeldvorschriften geregelt, dass, »wer in der Absicht, nicht verbotene Versammlungen oder Aufzüge zu verhindern oder zu sprengen oder sonst ihre Durchführung zu vereiteln, Gewalttätigkeiten vornimmt oder androht oder grobe Störungen verursacht«, bestraft werden kann (§ 21). Artikel 8 im bayerischen Gesetz sieht nun auch in der Neufassung vor, dass schon »Störungen, die bezwecken, die ordnungsgemäße Durchführung« von Versammlungen zu verhindern, verboten sind. Es kommt also nicht mehr auf »grobe« Störungen an,
sondern schon die Störung der »ordnungsgemäßen Durchführung« soll sanktioniert werden. Auch diese Regelung wird sich vorrangig gegen diejenigen auswirken, die gegen die Versammlungen von NPD, Kameradschaften und ähnliche Gruppierungen auf die Straße gehen, sich in Sprechchören gegen die dort vertretenen Meinungen wehren und mit gewaltfreien Mitteln ihre Stadt in Besitz nehmen.
Aber auch die Bundeswehr, deren öffentliche Gelöbnisse Protest anziehen, soll wohl durch eine solche Regelung geschützt werden. Schon bisher hat lautstarker Protest deren Unwillen hervorgerufen und Versuche der Kriminalisierung befördert. Bisher hat das BVerfG klar geurteilt, dass die Bundeswehr, wenn sie denn auf öffentlichen Plätzen ihre Veranstaltungen abhalten will, kein Recht auf eine ihr genehme Öffentlichkeit hat.
Verboten wird des Weiteren in den neuen Gesetzen, an einer
Versammlung in einer Art und Weise teilzunehmen, durch die »eine einschüchternde Wirkung entsteht« – so in Bayern auch weiterhin und entsprechend in Sachsen-Anhalt. In Bayern wurde zwar im Verbot eines »Erscheinungsbildes« der Demonstration der Halbsatz »(das) sonst den Eindruck von Gewaltbereitschaft vermittelt« gestrichen, aber der Militanz- und Einschüchterungsbegriff bleibt weiterhin vage. Solche unbestimmten Regelungen ermöglichen es vor allem der Polizei,
nach Gutdünken zu werten und einzuschreiten. Die Gewerkschaften
hatten schon bezüglich des ersten Gesetzes befürchtet, dass Streikversammlungen demnächst als einschüchternd gewertet werden könnten.
In den Auseinandersetzungen um die Versammlungsgesetze geht es zunehmend um die Abwehr vager Rechtsbegriffe, pauschaler Eingriffsermächtigungen und großer Datensammlungen.
Dabei tritt in den Hintergrund, dass schon das alte Versammlungsgesetz eine Menge überflüssiger Regelungen und
unangemessener Eingriffe in das Grundrecht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit vorsieht. Offensiv muss die uneingeschränkte Geltung des Artikel 8 GG in Verbindung mit Artikel 5 GG gefordert werden. Erfreulicherweise ist die Praxis der Wahrnehmung des Versammlungsrechts häufig provokanterund selbstbewusster als es der juristische Streit um die Gesetze vermuten lässt.