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Einschüch­ternder Besuch - Bundes­ver­fas­sungs­richter kritisieren Rundfunksen­der-­Durch­su­chung

Grundrechte-Report 2011, Seiten 98 – 101

Mit ungewöhnlicher Schärfe rügte das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in einer Entscheidung vom Dezember 2010 eine Durchsuchung der Redaktionsräume des Hamburger Radiosenders »Freies Sender Kombinat« (FSK). Das Verfassungsgericht warf den Hamburger Strafgerichten vor, die Durchsuchungsmaßnahmen zu rechtfertigen, obwohl sich die Verfassungswidrigkeit der Maßnahme »einerseits wegen der ersichtlich geringen Schwere der in Rede stehenden Tat und andererseits wegen der mit einer Durchsuchung der Räume einer Rundfunkanstalt regelmäßig einhergehenden Beeinträchtigungen der Rundfunkfreiheit« geradezu aufdrängten. Die Maßnahmen erklärte Karlsruhe daher für verfassungswidrig (BVerfG, Beschlüsse vom 10. Dezember 2010, Az. 1 BvR 1739/04 und 1 BvR 2020/04).

Den beiden Entscheidungen des BVerfG lag eine Durchsuchung der Redaktionsräume des FSK im Jahre 2003 zugrunde. Ein Redakteur hatte mit dem Hamburger Polizeisprecher ein Telefoninterview geführt und dieses ohne dessen ausdrückliches Einverständnis aufgezeichnet. Das Interview wurde im Rahmen einer Sendung zu polizeilichen Übergriffen bei einer Demonstration gegen die Räumung des Bauwagenplatzes Bambule gesendet. Der Staatsschutz des Hamburger Landeskriminalamts hatte die Sendung aufgezeichnet und erstattete Anzeige wegen des Verdachts der Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes gemäß § 201 Abs. 1 StGB. Die Staatsanwaltschaft erwirkte beim Amtsgericht Hamburg einen Durchsuchungsbeschluss der Redaktionsräume des Senders zur Auffindung des Tonträgers und zur Identifizierung des Interviewers und weiterer Verantwortlicher.

Die Ermittler stürmten mit zwei Hundertschaften der Polizei die Redaktion und besetzten alle Redaktionsräume. Dem Sender wurde während der mehrstündigen Durchsuchung eine Berichterstattung über die Maßnahme untersagt. Überwacht wurde das Verbot durch Polizeibeamte, die für den Fall einer Zuwiderhandlung die Abschaltung der Sendeanlage androhten. Bereits zu Beginn der Durchsuchung offenbarte sich der Interviewer den Ermittlern. Wenig später räumte ein weiterer Mitarbeiter ein, für die Sendung des Interviews verantwortlich gewesen zu sein. Die Polizei setzte dennoch die Durchsuchung fort und machte Fotos von Räumlichkeiten und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zweier Redaktionsabteilungen sowie
Ablichtungen von diversen redaktionellen Unterlagen.

Infor­man­ten­schutz geht vor

Beschwerden des Senders gegen die Durchsuchung vor dem Amts- und Landgericht Hamburg blieben erfolglos (vgl. Dagmar Brosey, Grundrechte-Report 2005, S. 103 ff.). Erst das Bundesverfassungsgericht hob die Entscheidungen der Strafgerichte auf. Zwar hielt es den Tatverdacht gegen die Sendermitarbeiter für gerechtfertigt. Ist ein Tatverdacht gegen einen Pressemitarbeiter gegeben, hebt § 97 Abs. 2 Satz 3 der Strafprozessordnung (StPO) das grundsätzlich bestehende Beschlagnahmeverbot bei Pressemitarbeitern auf. Allerdings ist, wie es § 97 Abs. 5 Satz 2 StPO ausdrücklich bestimmt, in einem solchen Fall eine Abwägung zwischen dem Strafverfolgungsinteresse auf der einen Seite und dem Eingriff in die Rundfunkfreiheit auf der anderen Seite vorzunehmen. Das BVerfG rügt die fehlende Abwägung durch die Fachgerichte. Einerseits sei der Tatvorwurf nicht schwerwiegend, da die Äußerungen des Pressesprechers ohnehin für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen seien.
Andererseits, betont Karlsruhe, schützt die Rundfunkfreiheit insbesondere die Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit und die
Vertraulichkeit der Informantenbeziehungen. Bei der Gewichtung des Eingriffs in die Rundfunkfreiheit hätte daher Berücksichtigung finden müssen, dass sich die Maßnahme auf die gesamte Redaktion erstreckte. Denn das hat zur Folge, dass das Vertrauensverhältnis des Senders zu seinen Informanten gestört wird, da letztere die Aufdeckung ihrer Identität fürchten müssen. Zudem kann von einer Durchsuchung, die dem Staat einen umfassenden Einblick in die inneren Vorgänge einer Redaktion und die Identität aller Redaktionsmitarbeiterinnen und -mitarbeiter verschafft, eine erhebliche einschüchternde Wirkung auf den Sender ausgehen. Daher hätte die Durchsuchung der gesamten Redaktion nicht angeordnet werden dürfen. Darüber hinaus sah das BVerfG auch die Ablichtung von Unterlagen, das Fotografieren der Redaktionsräume und die Anfertigung von Grundflächenskizzen der Redaktionsräume als verfassungswidrig an. Die Ablichtung von Redaktionsunterlagen über die Arbeitsweise und Identität von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern stelle eine erhebliche Beeinträchtigung der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit dar. Die Fachgerichte hätten die Einschüchterungswirkung völlig verkannt. Vor dem Hintergrund des geringen Tatvorwurfs und der Offenbarung der Verantwortlichen während der Durchsuchung hätte das Kopieren unterbleiben müssen. Die Anfertigung von Fotos der Redaktionsräume und von Grundflächenskizzen verletze ebenso die Rundfunkfreiheit, weil sie offensichtlich nicht zum Zwecke des Ermittlungsverfahrens angefertigt worden seien. Denn Fotos und Skizzen hätten offenbar nicht der Dokumentation des Auffindeorts von Beweismitteln gedient, da der Auffindeort weder aus den Fotos noch aus den Skizzen nachvollziehbar war.

Versagen der Straf­ge­richte

Mit seinen Entscheidungen stärkt das BVerfG die Pressefreiheit, indem es klar stellt, dass der Schutz des Redaktionsgeheimnisses aus Artikel 5 Absatz 1 Satz 2 GG dem Staat grundsätzlich verwehrt, sich Einblicke in Vorgänge zu verschaffen, die zur Entstehung redaktioneller Beiträge führen. Unter diesen Schutz der Vertraulichkeit der Redaktionsarbeit fallen auch organisationsbezogene Unterlagen, aus denen sich die Arbeitsweise und die Identität der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Redaktion ergeben.

Das gesamte Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden legt die Vermutung nahe, dass mit der Durchsuchung des freien Radios FSK nicht nur die Aufdeckung einer Straftat, sondern die Einschüchterung
eines unliebsamen Pressemediums beabsichtigt war. Es wäre die Aufgabe des Amts- und Landgerichts gewesen, die Strafverfolgungsbehörden zu kontrollieren und für eine effektive Verwirklichung der Rundfunkfreiheit des betroffenen Senders zu sorgen. Mit seinen Entscheidungen zeigt das BVerfG das Versagen der Strafgerichte auf. Der verantwortliche Redakteur wurde wegen des Mitschnitts des Telefoninterviews mit dem Polizeisprecher zu einer Verwarnung mit Strafvorbehalt verurteilt. Konsequenzen für die Verantwortlichen der schwerwiegenden Verletzung des Redaktionsgeheimnisses dagegen sind nicht bekannt geworden.

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