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Kein Sonderrecht für Soldaten! - Zur geplanten Sonder­zu­stän­dig­keit der Strafjustiz für Soldaten im Ausland­s­ein­satz

Grundrechte-Report 2011, Seiten 168 – 171

Am 28. April 2010 legte das Bundesjustizministerium den Referentenentwurf eines »Gesetzes für einen Gerichtsstand bei besonderer Auslandsverwendung der Bundeswehr« vor. Der Entwurf basiert auf der im Koalitionsvertrag von CDU/CSU und FDP vom 26. Oktober 2009 getroffenen Vereinbarung, für Soldaten im Kampfeinsatz sei ein neu zu definierender »Rechtsstatus« erforderlich, weshalb »eine zentrale Zuständigkeit der Justiz für die Verfolgung von Straftaten von Soldaten, die diesen in Ausübung ihres Dienstes im Ausland vorgeworfen werden«, geschaffen werden müsse.

Bisher unterliegen Bundeswehrangehörige bei Strafbarkeitsvorwürfen, wie jeder andere Mensch auch, grundsätzlich den allgemeinen Gerichtsstandsregelungen der Strafprozessordnung (§§ 8 ff. StPO i.V.m. §§ 7 ff. BGB). Diese Festlegung wurde aus historischen Gründen getroffen. Sie gilt als Ausdruck des Prinzips vom »Bürger in Uniform« und soll die gesellschaftliche Integration der Streitkräfte sicherstellen.

Erklärte Absicht des Gesetzentwurfs ist es, durch einen neu zu bildenden § 11a der StPO in Leipzig die »Ermittlungskompetenz« aufzubauen, die für eine »effektive und zügige Durchführung der Strafverfahren erforderlich« sei. Als Begründung hierfür wird angeführt, dass die Soldaten »in besonderer Weise auf eine zügige Erledigung der sie betreffenden Strafverfahren angewiesen« seien, denn sie seien im Auslandseinsatz »einer besonderen psychischen Belastung« ausgesetzt, die durch »schwebende Ermittlungsverfahren« verstärkt werde. Infolgedessen müssten diese Verfahren »mit besonderer Fachkompetenz zügig bearbeitet werden«.

Diese Regelung soll nur für Verfahren gelten, die nach dem Strafgesetzbuch (StGB) geahndet werden. Daneben bleibt die
Verfolgungszuständigkeit der Bundesanwaltschaft in Karlsruhe für Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) bestehen (§ 120 Absatz 1 Nr. 8 i.V.m. § 142a Absatz 1 S. 1 GVG).

Viele verfas­sungs­recht­liche Bedenken

Gegen diese Gesetzesinitiative haben juristische Fachverbände zutreffende sachliche und verfassungsrechtliche Bedenken erhoben. Aus ihrer Kritik geht hervor, dass die von der Bundesregierung angeführte Notwendigkeit einer Sonderzuständigkeit nicht besteht. Eher ist zu vermuten, dass dadurch militärische Aktionen im Ausland, bei denen unbeteiligte Zivilisten getötet wurden, rechtlich abgesichert werden sollen, indem sie den normalerweise zuständigen Gerichten entzogen werden, bei denen unsicher ist, wie das Verfahren ausgehen würde.

Der Deutsche Richterbund (DRB) sieht keinen »nachgewiesenen Bedarf für eine gerichtliche Sonderzuständigkeit«, da nach seiner Erfahrung alle anhängigen Ermittlungsverfahren »bereits unter den derzeitigen Regelungen der StPO sachgerecht bewältigt werden« konnten. Des Weiteren meldet der DRB »verfassungsrechtliche Bedenken« an, da mit der geplanten Sonderzuständigkeit in die »justiziellen Kompetenzen der
Länder eingegriffen wird«. Zugleich drohe eine »Umgehung des Artikel 96 Absatz 2 GG«, der das Recht des Bundes zur Errichtung von Wehrstrafgerichten begründet.

Auch der Deutsche Anwaltvereins (DAV) hält das Gesetz für »vermutlich entbehrlich«. Ihm seien die im Entwurf erwähnten Missstände »nicht bekannt«. Der Behauptung des Entwurfs, es sei dringend eine mit militärischem Fachwissen ausgestattete Instanz nötig, widerspricht der DAV mit dem Hinweis auf die Gefahr von »Sonderrecht« und »einseitiger Rechtsprechung«. Zusammenfassend bezeichnet er den Gesetzentwurf als »unnötigen Aktivismus«, dessen Umsetzung »mehr schädliche als nützliche Folgen« hätte.

Ebenso steht die Neue Richtervereinigung (NRV) dem Entwurf »äußerst skeptisch« gegenüber, da im »Vordergrund der Überlegungen (…) das Interesse der Opfer an einer unabhängigen und unvoreingenommenen Ermittlung« stehen sollte, dem »die Schaffung einer besonderen Zuständigkeit, die (…) eine besondere Nähe schafft, entgegenstehen« könnte.

Im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf ist die Pressemitteilung der Bundesanwaltschaft vom 16. April 2010 über die Einstellung des Ermittlungsverfahrens gegen Oberst Georg Klein wegen des Luftangriffs vom 4. September 2009 nahe Kunduz zu sehen (§ 170 Absatz 2 StPO). Bei diesem Angriff starben 142 Menschen, überwiegend unbeteiligte afghanische Zivilisten, darunter auch Kinder. Die Bundesanwaltschaft sieht weder die Vorschriften des Völkerstrafgesetzbuches noch die
Bestimmungen des Strafgesetzbuches erfüllt. Das der Entscheidung
zugrunde liegende militärische Tatsachenmaterial wurde als geheime Verschlusssache eingestuft. Deshalb blieben die Einstellungsgründe undurchsichtig. Erschütternd für das Vertrauen in eine rechtsstaatlich einwandfreie Justiz ist diese Entscheidung insbesondere, weil die durch zahlreiche Medienberichte an die Öffentlichkeit gelangten Nachrichten über die Umstände des Luftangriffs in einem eklatanten Widerspruch
zu den Angaben der Bundesanwaltschaft in ihrer Mitteilung stehen.

Die Latte für die Zulässigkeit der Tötung von
Unbeteiligten wird sehr niedrig gehängt

Die Bundesanwaltschaft geht von der unstrittigen Feststellung aus, dass es sich in Afghanistan um einen »nichtinternationalen bewaffneten Konflikt im Sinne des Völkerstrafrechts« handelt. »Soweit völkerrechtlich zulässige Kampfhandlungen vorliegen«, so die Pressemitteilung weiter, scheide eine Strafbarkeit aus. Mit einem ausdrücklichen rechtlichen Hinweis betont die Bundesanwaltschaft, dass sie nur bei einem außerverhältnismäßigen, »unterschiedslosen« Angriff – mit dem sie sich nicht näher befasst, als wäre klar, dass er hier nicht vorliegt – die kalkulierte Tötung von Zivilisten als unzulässig ansieht.

Mit dieser Festlegung hat die Bundesanwaltschaft die Latte für die Zulässigkeit der Tötung von Unbeteiligten so niedrig wie irgend möglich gehängt. Nach ihrer Argumentation dürfte die Tötung von Zivilisten in Kauf genommen und (völker-)strafrechtlich nicht sanktioniert werden, solange die verantwortlichen Militärs für ihre Aktion auch einen militärischen Zweck angeben können und der Angriff nicht ausschließlich der Eliminierung von Zivilisten diente. Dadurch wird der
Bundeswehr in der Aufstandsbekämpfung freie Hand gegeben. Soldaten können demnach erwarten, im Normalfall nicht strafrechtlich für ihre Handlungen belangt zu werden, auch wenn sie dabei kalkuliert Zivilisten töten. Dadurch könnte sich die Wahrscheinlichkeit solcher Aktionen ungemein erhöhen. Das Recht auf Leben der betroffenen Zivilisten wird so letztlich der militärischen Logik untergeordnet (vgl. dazu Wolfgang Kaleck in diesem Band, S. 54 ff.).

Literatur

Haid, Michael, Zivile Gerichtsbarkeit und Völkerstrafgesetzbuch.
Justiz und Gesetz im Dienst der Kriegsführungsfähigkeit der Bundeswehr, in: IMI-Ausdruck, April 2010

Haid, Michael, Kein Sonderrecht für Soldaten! Zivile Gerichtsbarkeit
und Völkerstrafgesetzbuch, in: IMI-Ausdruck, Juni 2010

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