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40 Jahre unendliche Geschichte oder Die Unbelehr­bar­keit des „Verfas­sungs­schutzes“

Grundrechte-Report 2012, Seite 156

Seit seiner Studentenzeit ist der Rechtsanwalt und Journalist, Vizepräsident der Internationalen Liga für Menschenrechte und Stellvertretendes Mitglied des Bremischen Staatsgerichtshofes, Sachverständiger im Bundestag und in Landtagen, Dr. Rolf Gössner vom Verfassungsschutz beobachtet worden, wurde eine am Ende auf 2.000 Seiten angewachsene Personalakte über ihn geführt. In der zweiten Hälfte der 90er Jahre begann der Experte für Polizei, Sicherheits- und Geheimdienste sich dafür zu interessieren, was denn der Verfassungsschutz alles über ihn zusammengetragen habe; im Jahre 2005 verklagte er schließlich das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auf Auskunft über die zu seiner Person gespeicherten Daten. Insoweit war Gössner nur eingeschränkt erfolgreich: 88,75 Prozent der Akten wurden vom Bundesinnenminister gemäß § 99 Verwaltungsgerichtsordnung als geheimhaltungsbedürftig gesperrt und entweder geschwärzt oder gar nicht herausgegeben; das Bundesverwaltungsgericht billigte dies Vorhaben durch Beschluss vom 23. März 2009. Daraufhin änderte Gössner seine Klage und beantragte nunmehr die Löschung aller über ihn vorhandenen Daten, und siehe da: Wohl um einer Verurteilung zu entgehen, erklärte nunmehr plötzlich das BfV am 13. November 2008, die seit 1970 andauernde Beobachtung werde eingestellt, die Daten würden gesperrt, die Welt- und Sachlage habe sich geändert. Der Grundrechte-Report hat bereits drei Mal berichtet (2000, S. 172; 2007, S. 35; 2009, S. 187).

Gössner kämpfte unverdrossen weiter und beantragte nunmehr die gerichtliche Feststellung, seine geheimdienstliche Überwachung sei von Anfang an rechtswidrig gewesen. Am 3. Februar 2011 hatte er Erfolg: Das Verwaltungsgericht Köln (Az. 20 K 2331/08) stellte die Rechtswidrigkeit seiner Beobachtung durch den Verfassungsschutz sowie der Erhebung und Speicherung von Daten fest.

Rolf Gössner – eine verfas­sungs­wid­rige Bestrebung?

Nach § 3 Absatz 1 Nr. 1 des Bundesverfassungsschutzgesetzes (BVerfSchG) ist Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden die Sammlung und Auswertung von Informationen, Nachrichten und Unterlagen „über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind“, und nach § 4 Absatz 1 Satz 2 BVerfSchG zählen dazu auch Personen, die solche „Bestrebungen nachdrücklich unterstützen“.

Gössner war nie Mitglied einer Partei oder einer solchen „Bestrebung“. Aber er war im Jahr 1970 drei Monate im Vorstand des Sozialdemokratischen Hochschulbundes (SHB) und zwei Jahre im AStA der Universität Freiburg tätig. Er war später längere Zeit Mitglied der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“, die sich kritisch mit Polizei und Geheimdiensten auseinandersetzt. Er hat eifrig vom Verfassungsschutz gesammelte Beiträge und Bücher geschrieben wie „Der Menschenrechtsschutz im Rahmen der Vereinten Nationen“, „Boykott 83/Volkszählung“, „Vom Rechtsstaat zum Polizeistaat? “ (VHS-Kurs), „Im Schatten des Rechts – Der vierte Geheimdienst“. Er hat schließlich für die Aufhebung des KPD-Verbots und für die Abschaffung des Verfassungsschutzes plädiert und ist gegen Berufsverbote aufgetreten.

Kritische Meinung gleich Unter­stüt­zung von Verfas­sungs­feinden

Auch nach Auffassung des Verfassungsschutzes ist Gössner wohl nie Mitglied einer „Bestrebung gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“ gewesen, aber der SHB sei dies gewesen und Rolf Gössner sei ja immerhin drei Monate Mitglied in dessen Vorstand in Freiburg gewesen und habe in dem auch vom SHB getragenen AStA der Universität Freiburg Aufgaben wahrgenommen. Zwar nur von 1970 bis 1972, aber das reichte dann zur Beobachtung bis in die 80er Jahre.

Von 1986 bis 1999 habe Gössner der Redaktion der Zeitschrift „Geheim“ angehört. Schon der Titel dieser Zeitschrift verweise auf ein propagandistisches SED-Buch „Nicht länger geheim“, und ein weiteres Mitglied der dreiköpfigen Redaktion habe vor Gründung der Zeitschrift „Geheim“ Kontakt mit dem Verfasser der SED-Propaganda „Nicht länger geheim“ gehabt und sei (wenn auch ohne Kenntnis von Gössner) Mitglied der DKP gewesen. Auch sei die Zeitschrift „Geheim“ in einem Verlag veröffentlicht worden, der von Angehörigen des ehemaligen Bundes Westdeutscher Kommunisten kontrolliert werde. Dadurch, dass Gössner in der Zeitschrift „Geheim“ publiziert und ihrer Redaktion angehört habe, habe er Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung unterstützt.

Auch Gössners Forderungen nach Aufhebung des KPD-Verbots, nach Abschaffung des Verfassungsschutzes und zur Kritik der Berufsverbote (die immerhin 1993 vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte für menschenrechtswidrig erklärt wurden) könnten zwar für sich gesehen wohl im Einzelfall zulässig sein, diese Forderungen fänden sich aber auch im Parteiprogramm der DKP, und Gössner habe Vorträge mit diesen Themen gehalten und Beiträge geschrieben bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes, der Deutschen Friedens-Union und der Initiativgruppe für die Rehabilitierung der Opfer des Kalten Krieges, die sämtlich kommunistisch unterwandert seien, und er habe seine Beiträge jedenfalls auch in Publikationen der DKP oder von ihr beherrschter Organisationen veröffentlicht. Dass es sich bei diesen inkriminierten Handlungen lediglich um einen geringen Teil der publizistischen Tätigkeit von Rolf Gössner insgesamt handelte, störte den Verfassungsschutz nicht. Durch diese seine Aktivitäten hat Gössner die Kommunisten und damit Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung „nachdrücklich unterstützt“.

Kritik geht den Verfas­sungs­schutz nichts an

Die Kritik an Verfassungswerten und Verfassungsgrundsätzen ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung. Im Gegenteil: Die freiheitliche demokratische Grundordnung des Grundgesetzes basiert entscheidend auf der Meinungsfreiheit des Artikel 5 GG und damit auf der Kritik. Selbst die Forderung, tragende Bestandteile der freiheitlichen demokratischen Grundordnung zu ändern, ist noch keine verfassungsfeindliche Bestrebung, die eine Beobachtung durch den Verfassungsschutz rechtfertigt (Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 24. Mai 2005, Az. 1 BVR 1072/01). Das Verwaltungsgericht Köln ist in seinem 65-seitigen Urteil jedem einzelnen Vorwurf des Verfassungsschutzes gegen Rolf Gössner nachgegangen, hat aber in seinen Beiträgen und Forderungen nichts Verfassungswidriges entdecken können, was nicht durch die nach Artikel 5 des Grundgesetzes geschützte freie Meinungsäußerung gedeckt wäre. Und zu Recht hat es festgestellt, dass es noch keine „nachdrückliche Unterstützung“ einer verfassungsfeindlichen Bestrebung darstellt, wenn man gemeinsam mit dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Berufsverbote als solche bezeichnet, und dies nicht nur in der FAZ (zulässig), sondern auch im Neuen Deutschland (unzulässig). Wo kämen wir da hin, wenn politische Forderungen, bevor sie erhoben werden, erst darauf abgeklopft werden müssen, ob sie möglicherweise auch im Parteiprogramm der DKP stehen?!

Der Verfas­sungs­schutz ist unbelehrbar

Die unendliche Geschichte geht weiter. Auf 117 Seiten begründet das BfV, warum das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln falsch ist und das OVG Nordrhein-Westfalen sich der Sache annehmen müsse. Und während die Verwaltungsgerichte zunehmend zu einer effektiven Kontrolle des Verfassungsschutzes übergehen, lassen die Obergerichte ihn eher an der „langen Leine“ sein Unwesen treiben (vgl. Till Müller-Heidelberg, Verfassungswidriger Verfassungsschutz, in Grundrechte-Report 2000, S. 172 ff.; Burkhard Hirsch, Der Abgeordnete Ramelow und das Bundesamt für Verfassungsschutz, in Grundrechte-Report 2011, S. 192 ff.).

Außerdem ging es bisher „nur“ um das Bundesamt für Verfassungsschutz. Daneben streitet Gössner vor dem Verwaltungsgericht Düsseldorf auch gegen seine Beobachtung durch den Verfassungsschutz des Landes Nordrhein-Westfalen. Mit Urteil vom 19. Oktober 2011 ist das Verwaltungsgericht Düsseldorf (Az. 22 K 4905/08) zum gleichen Ergebnis gekommen: Die Speicherung sämtlicher Daten über Rolf Gössner war von Anfang an rechtswidrig.

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