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Das Recht auf eine medizi­ni­sche Behandlung im Notfall - eine Garantie, die keine ist

Grundrechte-Report 2012, Seite 57

Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein: Wenn jemand sich in einer gesundheitsbedrohlichen Situation befindet und medizinische Hilfe geboten ist, muss er diese bekommen. Dieses Recht ist nicht nur im Grundgesetz unabhängig davon verbürgt, wer die Betroffenen sind, woher sie kommen und ob sie über die finanziellen Mittel verfügen, die Behandlung zu bezahlen.

Für Menschen ohne Papiere ist es nicht leicht, dieses Recht für sich in Anspruch zu nehmen. Viele fürchten, im Zusammenhang mit einer ärztlichen Behandlung der Ausländerbehörde gemeldet und dann abgeschoben zu werden, und gehen in der Abwägung lieber nicht zum Arzt. Um ihrer Angst zu begegnen, bedürfte es einer klaren Regelung, die die Weitergabe ihrer Daten verbietet und die Übernahme der Kosten für die Behandlung garantiert. Mit der Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom Oktober 2009 schien diese zumindest für die Notfallversorgung gefunden, schrieb diese doch den sogenannten „verlängerten Geheimnisschutz“ fest, nach dem auch Abrechnungsstellen von Krankenhäusern und Sozialämter in die ärztliche Schweigepflicht gegenüber Dritten, auch Ausländerbehörden, einbezogen wurden.

Die Realität sieht leider auch heute noch ganz anders aus. Eine Vielzahl gesetzlicher Regelungen, die einander ergänzen und überlagern, führt dazu, dass weder für die Betroffenen noch für die Mitarbeiter der Krankenhäuser und Sozialämter Klarheit darüber herrscht, welche Daten an wen weitergegeben werden dürfen und müssen. Die Praxis in den verschiedenen Bundesländern ist unterschiedlich, nur das Ergebnis scheint überall das Gleiche zu sein: Die Krankenhäuser bleiben häufig auf den Kosten für die Behandlung von Papierlosen sitzen, da sie den Nachweis der zahlreichen Voraussetzungen für ihren Erstattungsanspruch gegenüber den Sozialämtern nicht erbringen können. Die Bereitschaft, papierlose Menschen zu behandeln, wird so auf eine harte Probe gestellt. Die Verunsicherung der Patienten, ob sie überhaupt eine Behandlung bekommen, ob sie für diese bezahlen müssen und ob ihre Daten an andere Behörden weitergegeben werden, ist immens.

An einer der vielen Voraus­set­zungen wird es schon scheitern

Der Hintergrund dafür, dass überhaupt Daten von den Krankenhäusern an die Sozialämter und auch an die Ausländerbehörden übermittelt werden, ist gut nachvollziehbar – jemand muss die Kosten für die Behandlung tragen. Dazu sind die Sozialämter nur bereit, wenn klar ist, dass sie zuständig sind, ein Eilfall vorliegt, um wen es sich bei dem Patienten handelt und ob nicht jemand anderes zur Kostentragung verpflichtet ist. Das im Sozialrecht geltende Prinzip, dass immer geprüft werden muss, ob ein anderer die Kosten übernehmen muss, führt in der Praxis dazu, dass die Krankenhäuser angewiesen werden, im Rahmen ihres Erstattungsanspruchs eine Vielzahl von Patientendaten zu übermitteln, um herauszufinden, ob die Person tatsächlich mittellos ist oder ein Angehöriger die Behandlungskosten tragen muss. In der Realität scheitert der Anspruch häufig daran, dass eine dieser Voraussetzungen für den Kostenerstattungsanspruch nicht nachgewiesen wurde. Die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen des Anspruchs liegt nämlich beim Nothelfer, also beim Krankenhaus.

In vielen Fällen wird von den Sozialämtern schon gar kein Notfall angenommen. Aber nur in einem solchen können die Kosten übernommen werden. Möchten die Betroffenen regulär behandelt werden, müssen sie schon vor der Behandlung einen Antrag beim Sozialamt stellen und sich offenbaren.

In der Berliner Praxis etwa ergeben sich weitere Probleme daraus, das richtige Sozialamt zu finden. Da sich die Zuständigkeit der Sozialämter nach den Geburtsdaten der Patienten richtet, werden viele Anträge auf Kostenerstattung wegen der angeblich fehlenden Zuständigkeit abgelehnt. Das größte Problem in allen Bundesländern ist aber der Nachweis der Leistungsberechtigung der Hilfsbedürftigen.

Eine Flut von Daten

Zum Beweis, dass die Patienten die Leistungen nicht selbst bezahlen können, wird eine Flut von Daten von den Patienten erfragt und an die Behörden weitergegeben. In der „Hamburger Arbeitshilfe zu § 25 SGB XII vom 16.06.2010 (Stand 06.12.2010)“ sowie in den Berliner „Hinweisen zur Umsetzung des § 25 SGB XII Krankenhaus als Nothelfer vom 01.03.2011“ werden zahlreiche Unterlagen genannt, die von den Krankenhäusern eingereicht werden sollen, um die Angaben der Patienten zu bestätigen. Nur verfügen die wenigsten Papierlosen über einen Pass mit Lichtbild oder einen schriftlichen Nachweis, dass für sie kein Krankenversicherungsschutz besteht usw. Sie können weder ihre Verdienste aus illegalisierter Arbeit nachweisen, noch dass sie über kein Geld verfügen.

In den Berliner Hinweisen wird die Konsequenz dieser fehlenden Unterlagen klar beschrieben: „Ist die Identität und/oder die Mittellosigkeit des Patienten nicht feststellbar (Nichtaufklärbarkeit des Sachverhalts), ist der Anspruch abzulehnen.“

Darüber hinaus ist die Offenbarung vieler Angaben für die Patienten hoch problematisch. In Hamburg wird eine schriftliche Erklärung darüber verlangt, wo sie leben. In Berlin soll ein drei Seiten langer Fragebogen zu den persönlichen Verhältnissen ausgefüllt werden. Viele Patienten haben Angst, dass diese Daten nicht nur zu Abrechnungszwecken an die Sozialämter, sondern von dort aus auch an die Ausländerbehörde gelangen.

Durch die erwähnte Änderung der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zum Aufenthaltsgesetz vom 26.10.2009 sollte dieser Angst begegnet werden. Dies sieht aber beispielsweise die Hansestadt Hamburg anders. Laut der Hamburger Arbeitshilfe zu § 25 SGB XII „steht der verlängerte Geheimnisschutz auch nicht der Prüfung der Leistungsberechtigung (…) entgegen. Bei ausländischen Hilfsbedürftigen ist deshalb bei der Ausländerabteilung mittels des als Anlage 2 beigefügten Formblatts zu ermitteln, ob und ggf. welche Erkenntnisse dort über deren Aufenthaltsstatus (…) und das Vorliegen einer Verpflichtungserklärung nach § 68 AufenthG bestehen.“ Die Ausländerbehörde dürfe die erhaltenen Daten ausschließlich zum Zweck der Beantwortung der Anfrage verwenden (§ 13 Absatz Satz 2 Hamburgisches Datenschutzgesetz).

Ein solches Vorgehen setzt jedoch voraus, dass alle beteiligten Stellen die entsprechenden Vorschriften kennen und anwenden. Das Verbot der Weitergabe der Daten wird damit entkräftet, zumal es den Betroffenen kaum vermittelbar ist, dass ihre Daten nur zu „bestimmten Zwecken“ an die Ausländerbehörde weitergegeben werden.

Erfor­der­lich ist garantierte Vertrau­lich­keit

Die Änderung der Verwaltungsvorschrift im Jahre 2009 war ein wichtiger Schritt, um den Behandelnden das Problem vor Augen zu führen und ihnen ihre Geheimhaltungspflicht zu verdeutlichen. Ohne ein gesetzliches Verbot der Weitergabe von Daten können Papierlose ihr Recht auf eine Behandlung im Notfall aber nach wie vor nicht nutzen. Es ist auch keine Lösung für die reguläre Krankenbehandlung von illegalisierten Menschen in Sicht, bei der bisher nur eines garantiert ist – die Offenbarung. Lösungen wie das „Münchner Modell“, in dem die Stadt eine gewisse Menge an Geld zur Verfügung stellt, um die Gesundheitsversorgung für Menschen ohne Papiere ohne bürokratische Hürden zu garantieren, sind ein Schritt in die richtige Richtung. Viele Fachleute wie die Bundesarbeitsgruppe Gesundheit/Illegalität arbeiten an weiteren sinnvollen Lösungen. Sie müssen aber auch gehört werden. Ohne den politischen Willen zur Umsetzung wird sich für die Betroffenen nichts ändern. Und der lässt bisher – wie so häufig im Umgang mit Papierlosen – auf sich warten.

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