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Datenschutz im Straf­vollzug

Grundrechte-Report 2012, Seite 36

Beim Strafvollzug über Datenschutz zu reden, wirkt auf den ersten Blick befremdlich, stellt doch der Strafvollzug den Gefangenen quasi in ein Beherrschungsverhältnis, durch das er seine persönliche Autonomie umfassend und nahezu vollständig verliert. Setzt der Strafvollzug nicht notwendigerweise umfassende Kontrolle, also auch umfassendes Wissen über den Gefangenen voraus? Damit er die stets bedrohte Sicherheit oder die fragile Ordnung der Anstalt nicht gefährden kann, damit er in der richtigen Abteilung untergebracht wird, damit ihm eine passende Arbeit oder Ausbildung zugewiesen werden kann und er die richtigen therapeutischen oder pädagogischen Angebote erhält oder um über Vergünstigungen, Lockerungen oder vorzeitige Entlassung entscheiden zu können. Information ist alles im Strafvollzug – also was soll dort Datenschutz?

Man kann, ja man muss es auch anders sehen: der humane Strafvollzug unter der Geltung des Grundgesetzes gewährt auch in der totalen Institution einer Vollzugsanstalt dem Gefangenen Rechte und Rückzugsräume, unterwirft die Beherrschungsmacht der Institution Grenzen und Regeln. So hat der Datenschutz im Strafvollzug einen guten Platz, denn er regelt das informationelle Beherrschungsverhältnis, gewährt dem Gefangenen Rechte und damit Inseln der Autonomie im Meer der Fremdbestimmung. Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) verlangt sowohl für alle Bereiche der öffentlichen Gewalt normenklare spezifische Regelungen und hat zuletzt am 31. Mai 2006 klargestellt, dass alle Arten des justiziellen Freiheitsentzuges umfassend und detailliert gesetzlich zu regeln sind.

Einige der regelmäßig virulenten datenschutzrechtlichen „Knackpunkte“ sind die folgenden:

Vertraulichkeit?

Seit langem hoch umstritten ist der Umfang der Vertraulichkeitsverpflichtung von Anstaltsärzten, -psychologen und -sozialarbeitern gegenüber der Anstaltsleitung. Der Schutz der Vertraulichkeit der Beziehung zum Arzt, Therapeuten oder Sozialarbeiter ist schon in Freiheit für den Betroffenen von nicht zu überschätzender Bedeutung. Deshalb sind diese Berufshelfer sogar strafrechtlich verpflichtet, die ihnen im Rahmen des Behandlungsverhältnisses bekannt gewordenen Informationen vertraulich zu behandeln (§ 203 StGB). Eine Offenbarung wäre nur zur Abwendung einer drohenden konkreten Gefahr erlaubt (Notstand gemäß § 34 StGB, beispielsweise wenn der Arzt Hinweise auf einen aktuellen Missbrauch eines Kindes dem Jugendamt oder der Polizei mitteilt).

Im Vollzug kommt der Vertraulichkeit gegenüber den Berufshelfern eine noch gesteigerte Bedeutung zu, insbesondere da der Gefangene Arzt, Therapeut oder Sozialarbeiter nicht frei wählen kann. Auch die Verwirklichung des Resozialisierungsauftrages erfordert ein Vertrauen auf Vertraulichkeit: je weitgehender die Offenbarungsverpflichtung gefasst wird, desto weniger werden Gefangene bereit sein, sich ernsthaft auf medizinische, therapeutische oder pädagogische Angebote einzulassen.

Schon das noch bestehende Bundes-Strafvollzugsgesetz (StVollzG) schränkt diese Vertraulichkeit ein: nach § 182 Absatz 2 StVollzG müssen sich Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter gegenüber der Anstaltsleitung offenbaren, „soweit dies für die Aufgabenerfüllung der Vollzugsbehörde oder zur Abwehr von erheblichen Gefahren für Leib oder Leben des Gefangenen oder Dritter erforderlich ist.“ Als relevante Aufgaben der Vollzugsanstalt werden die Erfüllung des Vollzugsziels (Resozialisierung), der Schutz der Allgemeinheit sowie die Aufrechterhaltung eines geordneten Zusammenlebens in der Vollzugsanstalt angesehen.

Die Länder haben die neuen Gesetzgebungsverfahren seit der sogenannten Föderalismusreform kaum dazu genutzt, den Vertrauensschutz zu erhöhen. Zu konstatieren ist vielmehr, dass zum Teil die Offenbarungsverpflichtungen noch ausgeweitet worden sind. So verlangt das baden-württembergische Justizvollzugsgesetzbuch, dass Ärzte, Psychologen und Sozialarbeiter sich der Anstaltsleitung offenbaren, „soweit dies zur Abwehr von Gefahren für die Sicherheit der Justizvollzugsanstalt oder für Leib oder Leben von Gefangenen oder Dritten erforderlich ist oder die Tatsachen sonst für die Aufgabenerfüllung der Justizvollzugsanstalt erforderlich sind“ (§ 47 Absatz 2 Satz 2 JustizVollzGB I Baden-Württemberg) – mit anderen Worten: schon zur Abwehr einer drohenden Sachbeschädigung an einem anstaltseigenen Stuhl muss der Arzt die Vertraulichkeit brechen.

Akteneinsicht?

Regelmäßig mahnen die Datenschutzbeauftragten eine großzügigere Regelung des Rechts auf Auskunft und Akteneinsicht an. Gerade für Gefangene ist das Recht darauf, zu erfahren, was die Vollzugsanstalt über sie in ihren Akten niedergelegt hat, von existenzieller Bedeutung, sind sie in ihrer Lebensgestaltung doch abhängig von dem, was ihnen seitens der Vollzugsbehörde zugestanden wird. Daher muss dem Gefangenen ein berechtigtes Interesse daran zugebilligt werden, das sich aus den Akten über ihn ergebende Bild zu erfahren und gegebenenfalls zu korrigieren.

§ 185 StVollzG – und die meisten Landesvorschriften zum Auskunfts- und Akteneinsichtsrecht – gewährt dem Gefangenen zunächst einen umfassenden Auskunftsanspruch über die von der Anstalt gespeicherten Daten. Ein hierüber hinausgehendes Recht auf Akteneinsicht wird dem Gefangenen nur gewährt, „soweit eine Auskunft für die Wahrnehmung seiner rechtlichen Interessen nicht ausreicht und er hierfür auf die Einsichtnahme angewiesen ist“. Zusätzliche Hindernisse werden außerdem errichtet, wenn der Gefangene gar Kopien von für ihn wichtigen Dokumenten, wie dem Vollzugsplan oder psychologischen Gutachten zur Rückfallprognose haben möchte. Schließlich wird die Einsicht in die Aufzeichnungen der Ärzte oder Psychologen auf die sogenannten objektiven Befunde (beispielsweise Messungen) beschränkt mit der Begründung, dass der Offenlegung der subjektiven Einschätzungen Persönlichkeitsrechte des Arztes bzw. Therapeuten entgegenstünden.

Video­über­wa­chung rundum?

Außerdem sehen die neuen Landesvollzugsgesetze Ermächtigungen zur Nutzung von Videotechnologie in den Anstalten vor. Daran ist zunächst positiv, dass hier eine überfällige gesetzliche Regelung stattfindet und auch Grenzen des Einsatzes der Videoüberwachung definiert werden. Teilweise sind die Ermächtigungsnormen jedoch beträchtlich zu weitgehend, wenn sie unter bestimmten Umständen auch den Einsatz in den Hafträumen der Gefangenen erlauben (zum Beispiel § 34 Untersuchungshaftvollzugsgesetz NRW, § 32 JustizVollzGB I Baden-Württemberg). Damit würde ein massiver Eingriff in den letzten räumlichen Rückzugsbereich des Gefangenen in der Vollzugsanstalt erfolgen. Da dieser auch nicht nachvollziehen kann, wann tatsächlich eine optische Kontrolle durch Aufzeichnung oder zeitgleiches Mitschauen eines Bediensteten erfolgt, erzeugt eine derartige Überwachung den Eindruck permanenter Kontrolle und damit eines vollständigen Rückzugsverlustes. Soweit dies zur Vermeidung eines ansonsten konkret drohenden Suizides eingesetzt werden soll, wären andere Szenarien wesentlich weniger eingriffsintensiv und jedenfalls nicht deutlich unwirksamer, etwa die regelmäßige offene Kontrolle durch einen Bediensteten.

Literatur

Tätigkeitsberichte des Bundes- und der Landesbeauftragten für den Datenschutz: http://www.thm.de/zaftda/

Goerdeler, Jochen, Datenschutz, in: Ostendorf, Heribert (Hrsg.), Jugendstrafvollzugsrecht. Handbuch, 2. Auflage, Baden-Baden 2012 (im Druck).

Goerdeler, Jochen/Weichert, Thilo: Kommentierung zu §§ 179 ff. StVollzG, in: Feest, Johannes/Lesting, Wolfgang (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz. Kommentar, 6. Auflage, Köln 2012.

Hadeler, Henning, Datenschutz, in: Ostendorf, Heribert (Hrsg.), Untersuchungshaftvollzugsrecht, Handbuch, Baden-Baden 2012.

Schmid, Gabriele, Kommentierung zu §§ 179 ff. StVollzG, in: Schwind, Hans-Dieter u.a. (Hrsg.), Strafvollzugsgesetz. Bund und Länder. Kommentar, 5. Auflage, 2009.

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