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Deutsche Bank kauft Lehrstühle

Grundrechte-Report 2012, Seite 83

Erst im Frühjahr 2011 wurde bekannt, in welchem Maße die Wissenschaftsfreiheit in Deutschland verletzt wird. Auf der Hauptversammlung der Deutschen Bank am 26. Mai 2011 wurde der Kauf von Lehrstühlen öffentlich. Hintergrund ist zunächst ein Sponsor- und Kooperationsvertrag zwischen der Deutschen Bank und der Humboldt-Universität zu Berlin (HU) sowie der Technischen Universität Berlin (TU) aus dem Jahr 2006. Der Vertrag ist das peinlichste Unterwerfungsdokument unter die Interessen einer Großbank, das bisher bekannt geworden ist. Wir sind von der Rüstungs-, Pharma-, Atom- und Chemielobby einiges gewöhnt, aber der Berliner Fall ist an ungeschminkter Dreistigkeit kaum zu überbieten. Etwas zynisch ließe sich auch von einem dilettantischen Betriebsunfall der Deutschen Bank sprechen, die sonst eine ungleich diskretere Beeinflussung bevorzugt.

In der Hand der Deutschen Bank?

Die Deutsche Bank beabsichtigte 2006 eine konzerneigene Forschungseinrichtung „Quantitative Products Laboratory“ in Berlin aufzubauen. Sie entsandte dazu Managing Director Dr. Marcus Overhaus an die mathematisch-naturwissenschaftlichen Fakultäten von HU und TU und wurde bald fündig. In der Vorlage Nr. 87 KUR 44/06 verabschiedeten das Kuratorium und der Senat der HU gegen die Stimmen der Studierenden und eines Kuratoriumsmitglieds den Sponsor- und Kooperationsvertrag.

Dieser Vertrag regelt:

  • Die Vertragspartner vereinbaren in einer gemeinsamen Forschungsinitiative Innovationsprojekte auf Search- and Business-Fields.
  • Zur Unterstützung finanziert die Deutsche Bank an der HU Berlin eine Professur „Angewandte Finanzmathematik“ und an der TU Berlin eine Professur „Finanzmathematik“. Die Förderung über drei Millionen Euro ist auf vier plus vier Jahre angelegt und soll ca. 20 Stellen für wissenschaftliches Personal umfassen.
  • Zentrales Steuerungsinstrument ist ein formal paritätischer Lenkungsausschuss, der durch den von der Deutschen Bank gestellten Vorsitzenden entscheidend dominiert wird.
  • Die Besetzung der Professuren erfolgt im Einvernehmen mit der Deutschen Bank, wobei zunächst unklar bleibt, ob Vertreter der Deutschen Bank auch in den Berufungskommissionen sitzen sollen. Mindestens ein Vertreter der Deutschen Bank war bisher Mitglied in einer Berufungskommission. Zu den Dienstpflichten der zu berufenden Hochschullehrer gehören auch die im Vertrag mit der Deutschen Bank festgelegten Pflichten.
  • Die Lehrverpflichtung ist mit mindestens zwei Semesterwochenstunden niedrig angesetzt. Hochschulprofessoren lehren im Normalfall neun Stunden.
  • Alle Forschungsergebnisse sind vor einer Veröffentlichung „zur Freigabe vorzulegen“. Die Entscheidung über die Freigabe trifft der Managing Director – also die Deutsche Bank.

Dieser Vertrag ist eine eindeutige Instrumentalisierung der Hochschulen im Interesse der Deutschen Bank. Er verdeutlicht aber auch die Selbstaufgabe zweier Universitäten, die die grundgesetzlich verbürgte Wissenschaftsfreiheit mit Füßen treten. Dass das alles vor der Finanzmarktkrise so ungeschminkt dreist und ohne öffentlichen Streit über die Bühne gegangen ist, sagt etwas über die Macht der Banken und über den prinzipienfesten Opportunismus der Verantwortlichen beider Universitäten aus.

Kein Einzelfall?

Es gibt einige Hinweise, dass die Deutsche Bank auch an anderen universitären Einrichtungen Lehrstühle oder Lehrpersonal bzw. Zuschüsse für Lehrbeauftragte in Anlehnung an das Berliner Muster beeinflusst hat: Universität Mailand, Universität Luxemburg, School of Finance (Universität Frankfurt), House of Finance (Privatuniversität Frankfurt), European School of Management and Technology (Berlin). Damit gibt es nach unseren Recherchen fünf weitere Universitäten und Privathochschulen, die solche Verträge abgeschlossen haben. Sie tun aber alles, um Transparenz zu verhindern. Die Deutsche Bank gab über Josef Ackermann anlässlich der Hauptversammlung 2011 die Auskunft, die Deutsche Bank habe zehn Millionen Euro zusätzlich in den letzten Jahren für Lehrpersonal bereitgestellt. Der Kauf von Lehrstühlen durch die Deutsche Bank wurde auf der Hauptversammlung am 26. Mai 2011 provozierend vorgestellt. Die öffentliche Resonanz war gewaltig. Viele wichtige Medien berichteten. Die Deutsche Bank äußerte sich nur ad hoc auf der Aktionärsversammlung. Der Stifterverband der deutschen Wissenschaft renovierte inzwischen seine Leitlinien für Stiftungsprofessuren. Nach einem Aufruf der Zeitung „die tageszeitung“ wurden noch mehrere Fälle von zumindest fragwürdigen Verträgen dokumentiert (u. a. Telekom). Das Stiftungsverzeichnis von über 800 Stiftungsprofessuren belegt zudem, dass vor allem der Maschinenbau, die Chemie- und Pharmaindustrie, die Banken- und Technologiekonzerne an Stiftungsprofessuren oder ganz normalen Lehrstühlen interessiert sind. Dass sich die Kultusministerkonferenz und die Hochschulrektorenkonferenz so zurückhaltend darin verhalten, irgendwelche Mindeststandards zu formulieren, hat einen Grund. Man will sich nicht bei den Hochschulen einmischen und deren Verantwortlichkeit unangetastet lassen. Das mag verständlich sein, ist aber nicht sehr verantwortungsbewusst in Zeiten, in denen für Hochschulen jeder zusätzliche Lehrstuhl angesichts der Sparzwänge willkommen ist. Da fällt die „Moral“ der Freiheit der Wissenschaft schon mal unter den Tisch. Der Preis ist die Diskreditierung der Wissenschaftsfreiheit, die man auf den Hund kommen lässt.

Freiheit der Wissen­schaft?

Wie sollte das Verhältnis von Ökonomie, Politik und Wissenschaft zueinander beschaffen sein? Sowohl das posaunenbäckige Credo von der Freiheit der Wissenschaft als auch das pragmatische Wissenschaftsmodell von Jürgen Habermas postulieren eine relative Autonomie der Wissenschaft. Das soll einen wechselseitigen Lernprozess zwischen Ökonomie, Politik, Wissenschaft und Zivilgesellschaft ermöglichen.

Die Distanz der Wissenschaft ist die Voraussetzung für die wirkliche Veränderung der Praxis. Nicht auf dem Schoß der Praxis zu sitzen und das geneigte Ohr der Mächtigen zu erreichen, ist die grundgesetzlich geschützte Wissenschaftsfreiheit, sondern die Distanz, die erst die Freiheit zur Wahrheitsfindung und Urteilsfähigkeit schafft.

Die Praxis ist jedoch widersprüchlich und unübersichtlich: Wer ist dafür verantwortlich, dass die Universitäten fast nur noch mit neoklassischen wirtschaftswissenschaftlichen und betriebswirtschaftlichen Fachausrichtungen ausgestattet sind – und andere theoretische Ansätze (Keynesianismus, Solidarische Ökonomie, Marxismus, Wirtschaftsethik u. a.) weitgehend fehlen? Es müsste ein Beben durch die Gesellschaft gehen, wenn die Folgeschäden solch ökonomistischen Denkens in den Finanzmarktkrisen zu besichtigen sind. Wer kontrolliert eigentlich die tausende von An-Instituten, die unter der Flagge von Wissenschaft und Praxis an den Universitäten oft im Dunkeln segeln? Sie repräsentieren überwiegend die Interessen der Praxis. Wer bestimmt über die gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und ihre notwendigen wissenschaftlichen Bearbeitungsversuche? Und wer darf in der Republik darüber bestimmen, welche Lehrstühle mit welchen Personen und welchen Ausrichtungen besetzt werden? Und wer hat das wirkliche Sagen bei ca. tausend Stiftungsprofessuren, die von wohlwollenden Stiftern, mächtigen Industrie- und Dienstleistungsunternehmen oder Kulturschaffenden gesponsort werden? Keine Frage: Insgesamt fluten eher ökonomische Interessen die Wissenschaft bis zu der vermeintlichen Ökonomisierung durch Bachelor- und Master-Studiengänge.

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