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Inter­na­ti­onal agierende Spitzel

Grundrechte-Report 2012, Seite 160

Mit der Enttarnung des britischen verdeckten Ermittlers Mark Kennedy (alias Mark Stone) begann im Januar 2011 in Großbritannien und Deutschland eine Auseinandersetzung über die zunehmende grenzüberschreitende Spitzelausleihe. Kennedy beschnüffelte seit 2003 linke Bewegungen in Deutschland, Frankreich, Italien, Polen und Dänemark wie auch in den USA. Er arbeitete für eine Abteilung der britischen „National Extremism Tactical Coordination Unit“, die Ende der 1990er Jahre gegründet wurde, um anarchistische und globalisierungskritische Gruppen sowie die wachsende Tierrechtsbewegung auszuforschen. Der Spitzel hat erklärt, er sei mit einem manipulierten Telefon ausgestattet gewesen, über das seine Vorgesetzten jederzeit seine Position orteten. Wie andere mittlerweile aufgeflogene britische Spitzel bewegte sich Kennedy im antikapitalistischen Dissent!-Spektrum, das seit 2005 gegen Gipfeltreffen von G8 und NATO mobilisiert.

Die Verhandlung gegen Tierrechtsaktivisten in Österreich enthüllte weitere Details grenzüberschreitender Spitzelei: Im inzwischen mit Freisprüchen beendeten Gerichtsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung wurde eine verdeckte Ermittlerin vernommen, die an Treffen in Holland und der Schweiz teilgenommen hatte. Sie war ebenfalls mit einem manipulierten Mobiltelefon ausgerüstet, über das ihr stets mitreisender Polizeiführer sogar im Raum geführte Gespräche mithörte. Zwar wurden die verdeckten Maßnahmen zur „Gefahrenabwehr“ angeordnet, die erschnüffelten Ergebnisse wurden indes einer eigens für die Ermittlungen eingerichteten Sonderkommission geliefert.

Mit Simon Bromma wurde im Dezember 2010 in Heidelberg auch ein deutscher Polizist mit internationaler verdeckter Verwendung öffentlich gemacht (vgl. Martin Heiming, Grundrechte-Report 2011, S. 34 ff.): Der Beamte des Landeskriminalamtes Baden-Württemberg operierte unter anderem in Brüssel. Bei seiner nur durch Zufall erfolgten Enttarnung redete sich Bromma heraus, seine Schnüffelei hätte einer „Informationssammlung und Gefahrenprävention“ gedient. Möglich ist, dass Bromma der Brüsseler Polizei bei einer der größten anlasslosen Massenfestnahmen Belgiens rund um das „No Border Camp“ im September 2010 behilflich war. Damit hätte das baden-württembergische Innenministerium direkt geholfen, in Belgien das Recht auf Meinungs- und Versammlungsfreiheit einzuschränken.

Deutsche Behörden sind tonangebend

In Deutschland findet die Verwendung ausländischer Spitzel größtenteils in Verantwortung der Bundesländer statt. Das deutsche Bundeskriminalamt (BKA) übernimmt eine Scharnierfunktion und bahnt Einsätze über seine internationalen Kontakte an. Inzwischen wurde bekannt, dass allein für den G8-Gipfel in Heiligendamm rund ein Dutzend ausländische Spitzel vermittelt wurden, darunter verdeckte Polizisten ebenso wie private Informanten. BKA-Präsident Jörg Ziercke informierte, dass auch deutsche Polizeispitzel längst international bei Gipfelprotesten eingesetzt sind: Zum G8-Gipfel 2005 wurden demnach fünf nach Großbritannien entsandt. Derlei Austausch sei laut Ziercke üblich und fände auch bei „Hooligans, im Umfeld von Weltmeisterschaften oder bei anderen großen Sportereignissen“ Anwendung.

Das deutsche Innenministerium brachte unter deutscher EU-Präsidentschaft 2007 eine Entschließung des Rates auf den Weg, um „rechtliche und tatsächliche Probleme“ des internationalen Spitzeltauschs beiseite zu schaffen. Keine Regierung darf ihre Polizeikräfte ohne vorherige Erlaubnis auf fremdem Hoheitsgebiet tätig werden lassen. Einsätze müssen angemeldet und genehmigt werden, bilaterale Verträge legen nähere Bestimmungen fest und treffen Vereinbarungen etwa zur Dauer oder Berichtspflicht.

Offiziell gibt es keine internationale Institution, die für die grenzüberschreitende Synchronisierung der Spitzeldienste zuständig wäre. Hinter den Kulissen existiert indes seit 2001 eine „European Cooperation Group on Undercover Activities“ (ECG). Mitglieder sind fast alle EU-Staaten, hinzu kommen Albanien, Kroatien, Mazedonien, Norwegen, Russland, Schweiz, Serbien, Türkei und die Ukraine. Auch die EU-Polizeiagentur Europol nimmt teil. Laut Bundesregierung steht angeblich keine „Koordinierung oder Verabredung grenzüberschreitender Einsätze“ auf der Agenda der ECG. Das klingt verharmlosend, zumal es aus Berlin ebenso heißt, dass die „Erörterung der internationalen Zusammenarbeit“ anhand von „Fallbeispielen“ vorgenommen würde. Die innerhalb der Arbeitsgruppe entstehenden Kontakte dürften zudem für die jeweilige bi- oder multilaterale Verabredung zukünftiger Einsätze grundlegend sein. Derart nebulös vorangetriebene Spitzeleinsätze sind für Parlamentarier nicht kontrollierbar, für eine demokratische Öffentlichkeit ohnehin nicht.

Ziercke hatte sich zur Kontrolle der deutsch-britischen Spitzelausleihe im Innenausschuss des Bundestages in nicht-öffentlicher Sitzung zudem in bislang nicht aufgeklärte Widersprüche verstrickt. Zuvor galt, dass der Polizist Mark Kennedy im Land Berlin nicht aktiv gewesen sei und von dort „nicht berichtet“ habe. Obwohl Kennedy in der britischen Zeitung „Daily Mail“ erklärt, aus Berlin sogar Beweismittel nach Großbritannien geschafft zu haben, will der BKA-Präsident lediglich eine Anwesenheit zur „Legendenstützung“ erkennen. Die Rolle spielte er mit Hingabe: Als „Mark Stone“ wurde er beim Berliner Landeskriminalamt aktenkundig wegen des Anzündens eines Müllcontainers im Rahmen einer linksradikalen Demonstration Ende 2007. Hierfür wurde er verhaftet. Ein eingeleitetes Ermittlungsverfahren wurde später eingestellt. Kennedy hat sich selbst gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht zu erkennen gegeben und im gesamten Verfahren seine falschen Papiere benutzt. Inzwischen wurde bekannt, dass die britische Polizei hierzu eine entsprechende Dienstanweisung erlassen hatte. Ein verdeckt operierender Polizist hatte in Großbritannien unter seinem falschen Namen sogar folgsam unter Eid ausgesagt.

Spitze­le­in­sätze entziehen sich Straf­ver­fol­gung und Justiz

Die straf- und zivilrechtlichen Verstöße von Mark Kennedy werden auch zukünftig nicht geahndet. Die Bundesregierung meint, das eingestellte Ermittlungsverfahren gegen „Mark Stone“ würde als Strafverfolgung ausreichen – obwohl der Staatsanwalt nicht berücksichtigen konnte, dass es sich in Wirklichkeit um einen Polizisten gehandelt hatte.

Aktivisten müssen jedenfalls hohe Hürden überwinden, um die Verletzung ihrer Grundrechte zu verfolgen. Ihr Auskunftsrecht ist nicht grenzüberschreitend geregelt, obschon die Betroffenen der grenzüberschreitenden Spitzelei hieran berechtigtes Interesse haben: Die britischen Polizisten sind sexuelle Beziehungen eingegangen, haben Wohnungen betreten und – jedenfalls in Großbritannien – die anwaltliche Verteidigungsstrategie von Aktivisten ausgeforscht.

Die international agierenden Spitzel werden als heimliche Waffe gegen die europaweite Vernetzung antikapitalistischer Gruppen in Stellung gebracht. Die Einsätze sollen die erstarkenden internationalen Vernetzungen antikapitalistischer Zusammenhänge aufspüren. Hierfür wird tief in die Privatsphäre der Ausgeforschten eingedrungen. Weil für derartige Eingriffe zur Gefahrenabwehr schwerlich richterliche Beschlüsse besorgt werden können, konstruieren die Behörden gern Ermittlungsverfahren wegen „Verschwörung“ oder „krimineller Vereinigung“. Damit soll auf EU-Ebene (und mit der Türkei und Russland sogar darüber hinaus) jener Mechanismus etabliert werden, wie er auch für die bilaterale deutsch-britische Spitzelausleihe grundlegend war: Mit selbst fabrizierten dubiosen „Risikoanalysen“ wird eine Bedrohung inszeniert, zu deren konspirativen Handhabung sich die Behörden bereits entsprechende grenzüberschreitende Werkzeuge geschaffen haben. Auf der Strecke bleiben Verhältnismäßigkeit und öffentliche Kontrolle.

Doch es gibt Gegenwehr im Spitzel- und Überwachungsdickicht: Unter dem Titel „Maßnahmen gegen Observation“ ist eine beeindruckende Broschüre im Internet erschienen, die Handreichungen zum Erkennen und Vermeiden von Spitzelei und Überwachung liefert (http://media.de.indymedia.org/media/2011/06//310342.pdf).

Literatur

Monroy, Matthias, Using false documents against “Euro-anarchists”: the exchange of Anglo-German undercover police highlights controversial police operations, www.statewatch.org/analyses/no-146-undercover-exchange-protests.pdf

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