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Wie ein Stadt­ju­gend­pfarrer den Landfrieden brach... - Sächsische Polizei krimi­na­li­siert aufs Neue antifa­schis­ti­sches Engagement

Grundrechte-Report 2012, Seite 127

Der Jenaer Stadtjugendpfarrer Lothar König wanderte gerade über die Berge in Tirol, als am 10. August 2011 die Dresdner Polizei in seine Wohnung in der Thüringer Universitätsstadt eindrang und diese durchsuchte. Die Computer sowie weitere Datenträger des Pfarrers, ferner sein dort abgestellter VW-Transporter wurden beschlagnahmt. Die Polizeibeamten beriefen sich dabei auf einen zwei Tage zuvor vom Amtsgericht Dresden ausgestellten Durchsuchungsbeschluss. Darin heißt es, der Pfarrer sei u. a. eines „schweren, aufwieglerischen Landfriedensbruchs“, strafbar nach den §§ 125 Absatz 1 Nummer 1, 125a Absatz 1 Nummer 2 Strafgesetzbuch, verdächtig. Die Tat sei am 19. Februar 2011 während einer Demonstration in Dresden begangen worden, die sich gegen einen „Gedenkmarsch“ neonazistischer Gruppierungen zur Bombardierung der Stadt im Zweiten Weltkrieg richtete.

Nun ist Pfarrer König in der Tat für sein Engagement gegen neonazistische Aktivitäten bekannt. Das hatte ihm bereits Anfang Februar 2011 ein – inzwischen eingestelltes – Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts, Mitglied einer „kriminellen Vereinigung“ zu sein, eingebracht – er sollte einem linken Schlägertrupp angehören, der seit 2009 in Sachsen Jagd auf Rechtsradikale machen soll. König hat auch an der fraglichen – zum Zeitpunkt der Durchsuchung fast ein halbes Jahr zurückliegenden – Demonstration teilgenommen, und zwar als Fahrer seines VW-Transporters, der mit einem Lautsprecher versehen war. Worin aber erblickte das Amtsgericht Dresden nun den „schweren, aufwieglerischen Landfriedensbruch“ des Pfarrers, der nach dem Text des Strafgesetzbuches immerhin „Gewalttätigkeiten gegen Menschen oder Sachen“ sowie auch das Mit-sich-Führen einer Waffe, „um diese bei der Tat zu verwenden“, voraussetzt?

Zwar ist es bei der Anti-Nazi-Demonstration in Dresden vereinzelt zu Ausschreitungen gekommen. Der Durchsuchungsbeschluss wirft dem Pfarrer aber keineswegs vor, etwa mit Steinen auf Polizisten geworfen oder auf andere Weise Gewalttätigkeiten begangen zu haben. Vielmehr habe dieser „aus seinem Fahrzeug heraus“ die Demonstranten „zu Gewalttätigkeiten gegen Personen und Sachen aufgewiegelt,“ behauptet der von Richter Hlavka unterzeichnete Beschluss. Begründung: „Der Beschuldigte führte das Fahrzeug und wirkte gleichzeitig überwiegend selbst als Sprecher auf die gewaltbereite Menge ein, indem er die Menschenmenge dirigierte, Meldungen weitergab und das Fahrzeug auch als Sammelpunkt für Ortsunkundige einsetzte. So wurde mehrfach über den Lautsprecher aufgerufen, dass sich z. B. die ‚Norddeutschen oder die Nordrheinwestfalen‘ im Bereich des Lautsprecherfahrzeuges versammeln sollten.“ – Es bleibt das Geheimnis des Richters, warum die Aufforderung an ortsunkundige und andere Demonstrierende, sich am Lautsprecherwagen zu versammeln, schon eine Aufwiegelung zu Gewalttaten darstellen soll. Mit keiner Zeile vermag der immerhin achtseitige Durchsuchungsbeschluss zu belegen, womit sich der Pfarrer des „schweren aufwieglerischen Landfriedensbruchs“ schuldig gemacht haben soll. Einem Zweitsemester im Jurastudium würde man eine so unschlüssige „Beweisführung“ schlicht um die Ohren schlagen.

Hohe Hürden für Wohnungs­durch­su­chungen

Dabei geht es nicht etwa um prozessuale Peanuts, sondern um die Rechtfertigung eines überaus gravierenden Grundrechtseingriffs: Die Unverletzlichkeit der Wohnung soll den Bürgern und Bürgerinnen einen privaten Rückzugsraum sichern, in den der Staat nur unter engen prozessualen und materiellen Voraussetzungen eindringen darf. Entsprechend hoch sind die Hürden, die das Bundesverfassungsgericht für solche schweren Grundrechtseingriffe errichtet hat: „Das Gewicht des Eingriffs verlangt als Durchsuchungsvoraussetzung Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Ein Verstoß gegen diese Anforderung liegt vor, wenn sich sachlich zureichende plausible Gründe für eine Durchsuchung nicht finden lassen,“ heißt es z. B. im Kammerbeschluss des Gerichts vom 5. Mai 2011 zur Durchsuchung einer Anwaltskanzlei (Az. 2 BvR 1011/10). Vor allem bedürfe die Durchsuchung, so das Bundesverfassungsgericht weiter, „einer Rechtfertigung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“ – Es gehört nicht viel Scharfsinn dazu, festzustellen, dass der Durchsuchungsbeschluss gegen Pfarrer König diese hohen verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine Wohnungsdurchsuchung in keiner Weise erfüllt. Sie verletzt vielmehr das Grundrecht der Unverletzlichkeit der Wohnung in eklatanter Weise. Der Grundrechtsverstoß wiegt umso schwerer, weil der Stadtjugendpfarrer Berufsgeheimnisträger ist und deshalb im Hinblick auf die ihm von Rat Suchenden anvertrauten persönlichen Daten besonderen rechtlichen Schutz genießt.

Die Polizei – Hilfstruppe der Neonazis?

Die Frage nach den eigentlichen Beweggründen der Verantwortlichen drängt sich auf. Einiges spricht für die Annahme, dass es gar nicht um das „Auffinden von Beweismitteln“ (so der hierfür einschlägige § 102 Strafprozessordnung) für den angeblichen „schweren Landfriedensbruch“ des Pfarrers ging, sondern vor allem um die Ausforschung und Einschüchterung der „Antifa-Szene“ in den ostdeutschen Bundesländern. Durch die Auswertung der in der Wohnung beschlagnahmten Datenträger erhoffte sich die Polizei offenbar Informationen über die Mitstreiter und Mitstreiterinnen des für sein Engagement gegen Neonazis bekannten Stadtjugendpfarrers und deren Netzwerke. Damit verfolgte die Durchsuchungsaktion offenbar das gleiche Ziel wie die massenhafte Erfassung von Handydaten bei derselben Demonstration gegen den Naziaufmarsch am 19. Februar 2011 (vgl. dazu den Beitrag von Fredrik Roggan auf Seite 100 ff.).

Darüber hinaus stellt sich die beunruhigende Frage, was mit diesen und anderen auch bei weiteren Hausdurchsuchungen gesammelten Daten über Antifaschisten sonst noch geschieht. Schon seit Längerem kursieren in Neonazikreisen Listen mit genauen Angaben über ihre politischen Gegner, die dann nicht selten Morddrohungen o. ä. erhalten. Zumindest für eine dieser „Proskriptionslisten“ der Neonazis musste die sächsische Landesregierung unlängst bestätigen, dass darin Daten aus Akten der Kriminalpolizei enthalten waren (Berliner Zeitung vom 3./4.12.2011). Über das Ausmaß der Verquickung von Teilen der „Sicherheitsbehörden“ wie Polizei und Verfassungsschutz mit der Neonaziszene lässt sich nach der Aufdeckung der jahrelang unbehelligten „Zwickauer Terrorzelle“ nur mutmaßen. Umfassende Aufklärung täte Not – stattdessen diskutieren Politiker nur über eine stärkere Zentralisierung des Verfassungsschutzes sowie über die Chancen eines NPD-Verbots.

Sowohl aus Sachsen als auch aus anderen Bundesländern wird inzwischen über ein brutales Vorgehen von Polizeikräften gegen Teilnehmer und Teilnehmerinnen an Sitzblockaden gegen Neonazidemonstrationen berichtet, so z. B. am 24. September 2011 im brandenburgischen Neuruppin. Bei der Polizei scheint sich ein aus der deutschen Geschichte sattsam bekanntes Feindbild wieder zu verfestigen. Erleben wir die Rückkehr zu Verhältnissen wie in der späten Weimarer Republik, als die angeblich politisch neutrale Polizei den Nazihorden den Weg durch die Innenstädte freiknüppelte?

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