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Brüder, zur Sonne, zu Facebook?

Grundrechte-Report 2013, Seite 39

Junge Menschen treffen sich. Sie unterhalten sich. Sie streiten und freuen sich. Sie schmieden Pläne und zeigen Urlaubsfotos. Das ist normal und war immer so. Seit 2004 geschieht all dies aber nicht nur in Parks, Kneipen und WGs sondern auch bei Facebook. Eine Milliarde Nutzer weltweit. 25 Millionen davon in Deutschland. Millionen von Posts (Eintragungen in Online-Foren) werden in Deutschland täglich auf Profilen und in Gruppen verfasst.

Facebook als Organi­sa­ti­ons­platt­form…

Manche dieser Posts drehen sich um Eiscreme, Hundebabys und Seitensprünge. Andere handeln jedoch von schwer- bis unerträglichen Arbeitsbedingungen, von Menschen, die sich trotz Krankheit zur Arbeit schleppen, von Kündigungen unbequemer Mitarbeiter und den Versuchen eine Gegenwehr dem Arbeitgeber gegenüber zu entwickeln. Haben sich vor 150 Jahren die Sozialisten in Turnvereinen und vor 50 Jahren gestandene Gewerkschafter im DGB – Haus getroffen, so treffen sich heute junge Arbeitnehmer in geheimen Gruppen bei Facebook. Nicht nur in der „Arabellion“ sondern auch im ruhigen Deutschland wird Facebook zunehmend als Plattform zur Organisation von Arbeiterkämpfen entdeckt.

Im November 2012 wurde in Münster vor dem Arbeitsgericht ein Fall verhandelt, in dem nicht nur die Chancen sondern auch die Gefahren von Facebook deutlich wurden.

In einer Stadt wie Münster lebt das Call-Center Gewerbe auf wie Schimmel in schlecht belüfteten Bädern. Tausende von Studenten suchen einen Job. Viele zum ersten Mal. Sie hängen nicht an dem Job, planen nicht, ihr ganzes Leben davon zu bestreiten. Lehrjahre sind keine Herrenjahre, das wissen sie. Eine Prise Naivität, dazu die Bereitschaft, schlechte Arbeitsbedingungen hinzunehmen, gepaart mit einem gewerkschaftlichen Organisationsgrad gegen Null, ergeben ein prima Rezept für aufstrebende Arbeitgeber. Bessere Bedingungen für Lohndrückerei sind kaum zu finden.

Ein Call-Center in Münster hatte in Arbeitsverträgen jeglichen Urlaubsanspruch kategorisch ausgeschlossen. Nach der erfolgreichen Klage einer ehemaligen Mitarbeiterin schien das Risiko, nun doch Urlaubzeiten bezahlen zu müssen, zu groß geworden. Neue Verträge sollten her. Hierin wurde bezahlter Urlaub nun formal gewährt. Im Kleingedruckten allerdings wurde der faktisch gleich bleibende Lohn in einen „Grundlohn“ und eine „Voraburlaubsabgeltung“ gespalten. Letztlich war dies nichts anderes als der rechtlich überaus fragwürdige Versuch, den Urlaub auf diesem Weg weiterhin nicht zahlen zu müssen.
Bei ca. 15 der über 100 Mitarbeiter regte sich gegen diese Verträge Widerstand. Man beschloss, sie nicht zu unterzeichnen. Der Arbeitgeber regierte ungehalten und begann nach einigen Drohungen Taten in Form von exemplarischen Kündigungen folgen zu lassen. Um dem entgegen zu treten, gründeten die Mitarbeiter des Call-Centers bei Facebook eine geheime Gruppe. „Geheime Gruppen“ sind bei Facebook private Nachrichtenseiten, auf denen nur Gruppenmitglieder schreiben können. Solche Seiten sind für alle anderen User unsichtbar.  In dieser Gruppe begannen sie sich darüber auszutauschen, wie man auf den Druck von oben reagieren könnte. Von Anzeigen bei Gewerbeaufsicht und Staatsanwaltschaft bis zur Gründung eines Betriebsrates wurden kunterbunt Ideen notiert und hin und her gesendet. So auch die Idee, bei der nächsten Kündigung unwilliger Mitarbeiter, aus Protest kollektiv Arbeitsschichten abzusagen. In dem Maße, wie der Druck des Arbeitgebers zunahm, verschärfte sich auch der Ton in der geheimen Facebook-Gruppe. Dann wurde der Klägerin gekündigt. Als sie dies bereits am Abend zuvor vermuten musste, postet sie, dass sie am kommenden Tag zum Arzt und nicht zur Arbeit gehen werde. Gesagt getan. Am nächsten Tag war sie krank und erhielt am selben Tag die erwartete Kündigung.

…und wie man den Chef damit glücklich macht

Was war geschehen? Die geheime Gruppe hatte sich als Falle entpuppt. Mitnichten waren die Arbeitnehmer in ihrem abgeschlossenen Forum unter sich. Der Arbeitgeber hatte die ganze Zeit über mitgelesen. Wie er an die Zugangsdaten kam, wollte er vor Gericht nicht im Detail darlegen. Schenkte man ihm Glauben, müsste der Gruppenmitglieder nicht nur offiziell sondern auch inoffiziell Mitarbeiter des Chefs gewesen. Schenkte man ihm keinen Glauben, bliebe es der Fantasie überlassen, mit welchen Tricks er auf die Profile zugreifen konnte.  Laut der Homepage „Chip.de“ benötigt man hierfür ganze 4 Minuten.

Die Kündigungsgründe bezogen sich auf Aussagen, die in ausschließlich der geheimen Gruppe getätigt worden waren. Sowohl der gruppeninterne Vorschlag einer kollektiven Schichtabsage als auch die angekündigte Krankmeldung sollten dem Arbeitgeber als Kündigungsgrund dienen. Das Arbeitsgericht Münster sah im Ergebnis in der Ankündigung der Krankmeldung einen ausreichenden Kündigungsgrund.

Der Arbeitgeber hatte nicht nur einen kurzen Blick auf das Facebook Profil geworfen oder nur einen kurzen Post zugespielt bekommen. Im Prozess präsentierte er hunderte von Seiten voller Facebook-Screenshots. Auf diesen Seiten fanden sich nicht nur die Posts der Klägerin. In seinem Besitzt waren darüber hinaus die persönlichen Daten von allen Gruppenmitgliedern.

Über Monate hatten die Gruppenmitglieder unzählige Kommentare in Facebook veröffentlicht. Viele mit Bezug auf das Arbeitsverhältnis, andere aber auch rein persönlicher Natur. Es ist schwer vorstellbar wie ein Arbeitgeber an tiefere Einblicke in die Gefühls- und Gedankenwelt seiner Untergebenen gelangen sollte, wenn nicht durch das unerwünschte Eindringen in den privaten Austauschbereich der Gruppe. Diese so gewonnenen Daten wertete der Arbeitgeber systematisch aus und pickte sich aus ihnen die belastenden Posts heraus, um mit ihnen seine Kündigung zu begründen. Die unliebsamen Mitarbeiter hatten ihm auf diesem Weg also nicht nur einen Vorwand für die Kündigung, sondern auch gleich den benötigten Beweis für das Gericht mitgeliefert.

Privat­sphäre? Nicht mit uns!

Naiv könnte man meinen, private Kommunikation mit Freunden und Mitarbeitern wäre Privatsache. Man könnte meinen, nach Art 1 GG iVm Art 2 Absatz 1 GG müsse der Staat die Privatsphäre schützen und achten. Weit gefehlt. Wenn unternehmerische Interessen auf dem Spiel stehen kann man so einen unzugänglichen Schutzraum schlecht gebrauchen. Der Arbeitgeber habe das „berechtigte Interesse“ zu wissen, ob ein Arbeitnehmer ihm Schaden will, sagen die Juristen, wenn sie meinen, dass wirtschaftlichen Interessen Priorität eingeräumt werden soll. Dass im Fall von Facebook Gruppen neben den „schädigenden“ Posts regelmäßig ein komplettes Persönlichkeitsprofil der Mitglieder erstellt werden kann und dass bei der Frage der Verwertbarkeit solcher Daten mindestens eine genaue Abwägung zwischen den beeinträchtigten Grundrechten und dem „berechtigten Interesse“ des Arbeitgebers stattzufinden hätte, hat bei den deutschen Arbeitsgerichten bislang wenig Anklang gefunden. Mit einer Selbstverständlichkeit, die um den  Vorrang ökonomischer Interessen weiß, wurden die Daten aus Münster – wie auch in anderen Städten und Verfahren – als Beweise gegen die Arbeitnehmer herangezogen.

Politisch noch brisanter wird die Angelegenheit, wenn man sich noch einmal die Dimension der Facebook Nutzung zum einen und den konkreten, Inhalt der Facebook Gruppe in Münster vor Augen führt. Abgesehen von einem ziellosen Ausspionieren von Arbeitnehmern wird den Arbeitgebern durch die Arbeitsgerichte so zudem ermöglicht, die ersten Versuche junger Menschen, sich als Arbeitnehmer zu organisieren, gezielt zu torpedieren. Denn wie soll es überhaupt den Ansatz einer Organisation geben wenn stets befürchtet werden muss, dass der Chef mitliest und eine Verwertung aller Aussagen im Arbeitsverhältnis und vor Gericht befürchtet werden muss? Solch weitgehende Arbeitgeberbefugnisse sind also, insbesondere nachdem das Bundesarbeitsgericht den Grundsatz der Tarifeinheit aufgegeben hat, auch im Lichte von Artikel 9 GG kritisch zu betrachten. Die Koalitionsfreiheit kann nämlich als Grundrecht nur funktionieren, wenn auch bereits die Schritte zu einer gewerkschaftlichen Organisation hin einen Schutz erfahren. Und der erste Schritt ist und war immer, dass sich Arbeitnehmer über ihre Arbeitsbedingungen austauschen. Die dafür notwendigen, geschützten und vertraulichen Räume können aber nicht statisch sein, sondern müssen sich mit einem veränderten gesellschaftlichen Kommunikationsverhalten ebenfalls ändern.

Auch wenn die einzelnen Gerichte solche politischen Implikationen nicht bedacht haben mögen: Der Startschuss für die fröhliche Datenjagd ist gefallen. Insoweit kann Arbeitnehmern nur geraten werden, bei Überlegungen zum Arbeitskampf in Facebook-Gruppen auch immer freundlich den Chef zu grüßen.

Literatur

„Hackademy“: Fieser Facebook-Hack im Video, Artikel vom 20.10.2012,  siehe: http://www.chip.de/news/-Hackademy-Fieser-Facebook-Hack-im-Video_58062031.html

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