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Diskret homophob - Sexuelle Orien­tie­rung als flücht­lings­recht­li­cher Verfol­gungs­grund

Grundrechte-Report 2013, Seite 147

Viele lange Jahre hat Tarek Abdallah* sich nicht zu seiner sexuellen Orientierung bekannt, aus Scham und aus Angst, die gesellschaftlichen und religiösen Konventionen zu brechen. Abdallah wurde im Sudan geboren. Seit gut vier Jahren ist der mittlerweile 32-Jährige in Deutschland, er führt eine schwule Beziehung. Bis dahin war es ein leidvoller Weg. Bei seiner Einreise 2008 hatte Abdallah einen Asylantrag gestellt, er sei politisch aktiv gewesen im Sudan, hatte er dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) berichtet, einmal sei er deswegen auch inhaftiert worden. Das BAMF glaubte ihm nicht. Dass er schwul sei, hatte Abdallah verschwiegen. Im September 2011 outete er sich gegenüber der Behörde, er stellte einen Asylfolgeantrag, im Sudan sind Schwule mit der Todesstrafe bedroht. Das BAMF lehnte auch diesen Antrag ab. Abdallah hätte sich früher offenbaren sollen, so die Begründung. Zudem sei seine sexuelle Orientierung nicht so bedeutsam, „dass er hierauf nicht verzichten könnte“, er habe ja bis zu seinem 27. Lebensjahr problemlos im Sudan leben können. Eine Verfolgung, erst recht die Todesstrafe, müsse Abdallah nicht befürchten, die sudanesischen Behörden wüssten noch nichts von seiner sexuellen Orientierung. Das BAMF geht offenbar davon aus, dass Homosexualität als abnormes Verhalten verzichtbar sei – eine diskriminierende Sichtweise, die man eigentlich als längst überwunden geglaubt hatte.

Schließlich verweist das BAMF auf ein Gutachten des Lesben- und Schwulenverbandes, das den Asylantrag von Abdallah ursprünglich stützen sollte. Demnach ist Abdallah während seiner Schulzeit zunächst von Mitschülern und später von Erwachsenen vergewaltigt worden. Es sei unklar, so das BAMF, „wie es dem Antragsteller dann noch möglich sein konnte, homosexuelle Beziehungen zu führen.“ Undenkbar wäre es, dass z.B. bei einer vergewaltigten heterosexuellen Frau von Amts wegen beschieden würde, ihr sei eine Eheschließung in Zukunft nicht mehr möglich.

„Etwas Zurück­hal­tung, bitte!“

In weltweit 78 Staaten sind schwul-lesbische Handlungen durch staatliche Gesetze verboten. In mindestens fünf Staaten droht die Todesstrafe. Hinzu kommen brutale Diskriminierungen durch die Familie, das soziale Umfeld oder nicht-staatliche Gruppierungen. Wie viele Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung in Deutschland einen Asylantrag stellen oder als Flüchtlinge anerkannt werden, ist hingegen nicht bekannt. Die Bundesregierung teilte im vergangenen Jahr nur mit, dass eine begründete Furcht vor Verfolgung nach Einschätzung der Behörde eher selten vorgetragen und glaubhaft gemacht wird.

Dass die sexuelle Orientierung ein flüchtlingsrechtlicher Verfolgungsgrund sein kann, ist mittlerweile unbestritten, dies hat nicht zuletzt die EU-Qualifikationsrichtlinie in ihrem Artikel 10 Absatz 1 d) aus dem Jahre 2004 klargestellt. Das BAMF lehnt Anträge jedoch immer wieder, wie auch im Fall von Tarek Abdallah, mit dem Argument ab, dass die Betroffenen ihre sexuelle Orientierung „diskret“ oder „im Verborgenen“ leben könnten, um einer Sanktion zu entgehen. Auch einzelne Gerichte tragen diese Argumentation. So etwa das VG Bayreuth im Fall von Samira Ghorbani Danesh aus dem Iran, wo seit der Islamischen Revolution 1979 etwa 4.000 Schwule und Lesben hingerichtet wurden: Das Gericht kam in seinem Urteil aus dem März letzten Jahres zu dem Schluss, das „bei entsprechend zurückhaltendem Lebenswandel, den alle Homosexuellen im Iran praktizieren, die unbehelligt leben wollen, keine Verfolgungsmaßnahmen zu befürchten“ seien. Den Antragsteller_innen wird zugemutet, ihre sexuellen Beziehungen vor der Öffentlichkeit geheim zu halten.

Ein verheim­lichtes Recht ist kein Recht

Ähnlich wurde bis zuletzt argumentiert, als es um die Ausübung der Religion ging. Dabei hat der Europäische Gerichtshof (EuGH) im September 2012 auf eine Vorlagefrage des BVerwG klargestellt, dass Asylantragsteller_innen nicht zugemutet werden kann, auf bestimmte Glaubensbekundungen oder Glaubensbetätigungen zu verzichten, um eine Gefahr der Verfolgung zu vermeiden (Urteil vom 5.9.2012,  Rechtssachen C-71/11 und C-99/11). Ob das auch für die sexuelle Orientierung gilt, hat der EuGH noch nicht beurteilt. Indes hat der britische Supreme Court bereits 2010 entschieden, dass nicht verlangt werden kann, die sexuelle Orientierung im Herkunftsland zu verstecken, denn dies bedeute, den Menschen das Grundrecht schlechthin zu verweigern. Oder, wie es UNHCR in den Leitlinien zur sexuellen Orientierung von 2008 formuliert: „Ein verheimlichtes Recht ist kein Recht.“

Ebenso inakzeptabel ist es, wenn eine besondere Schwere der Verfolgung im Herkunftsland verlangt oder gar, wie das VG Augsburg in einer Entscheidung von 2011, die Kriminalisierung von sexuellen Orientierungen akzeptiert wird, soweit dies dem „Schutz der öffentlichen Moral“ diene. Nach Artikel 9 Absatz 2 der EU-Qualifikationsrichtlinie ist jede staatliche Maßnahme, die als solche diskriminierend ist oder in diskriminierender Weise angewandt wird, eine flüchtlingsrechtliche Verfolgung.

Misstrauen und Stereo­ty­pi­sie­rung

Eine weitere Hürde sind die hohen Anforderungen, die gelten, wenn die Antragsteller_innen ihre sexuelle Orientierung glaubhaft machen müssen. Oftmals fühlen sich die Betroffenen nicht in der Lage, direkt nach ihrer Ankunft in Deutschland von ihrer Verfolgung wegen ihrer sexuellen Orientierung zu berichten. Ihr Schamgefühl verbietet es ihnen, darüber zu sprechen. Was jedoch nicht gleich nach der Einreise vorgetragen wird, wird jedoch später als „gesteigertes Vorbringen“ nicht mehr berücksichtigt. Oftmals wird der Asylantrag auch mit der Begründung abgelehnt, es würde keine „irreversible Homosexualität“ vorliegen. Dies geht zurück auf eine Entscheidung des BVerwG aus dem Jahre 1988, an der sich noch immer Gerichte orientieren. Teilweise verlangen das BAMF oder die Gerichte ein sexualmedizinisches Gutachten zur Glaubhaftmachung, was von Betroffenen selbst bezahlt werden muss. Oder die Beamt_innen belassen es bei einer subjektiven Einschätzung, und bedienen dabei Klischees: Wer schwul ist, muss tuntenhaft wirken, eine Lesbe muss maskulin auftreten. Für Verhaltensweisen fernab der gängigen Stereotypen ist kein Platz.

Es geht auch anders

Auch in anderen europäischen Staaten sind  homophobe Vorurteile noch immer äußerst wirkmächtig, wenn wegen der sexuellen Orientierung Asyl beantragt wird, wie die Studie „Fleeing Homophobia“ belegt, die 2011 von Wissenschaftler_innen der Freien Universität Amsterdam veröffentlicht wurde. Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Italien: Dort reicht es für die Anerkennung bereits der Nachweis aus, dass schwule oder lesbische Handlungen im Herkunftsland unter Strafe stehen und die betroffene Person glaubhaft vorträgt, dass sie homosexuell ist.

* Namen von der Redaktion geändert

Literatur

Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der Fraktion Die Linke, Asylrechtlicher Umgang mit homosexuellen Flüchtlingen und der Einschränkung der sexuellen Vielfalt, BT-Drs. 17/8357

Annegret Titze, Sexuelle Orientierung und die Zumutung der Diskretion, Zeitschrift für Ausländerrecht und Ausländerpolitik 2012, S. 93 ff.

Nora Markard / Laura Adamietz, Keep it in the Closet? Flüchtlingsanerkennung wegen Homosexualität auf dem Prüfstand, Kritische Justiz 2011, 294 ff.

Sabine Jansen / Thomas Spijkerboer, Fleeing Homophobia. Asylum Claims Related to Sexual Orientation and Gender Identity in Europe, Amsterdam 2011

International Lesbian, Gay, Bisexual, Trans and Intersex Association, State Sponsored Homophobia, 2012

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