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Frankfurt ohne Grundrecht auf Versamm­lungs­frei­heit

Grundrechte-Report 2013, Seite 105

F3ür die Zeit vom 16. bis 19. Mai 2012 erließ das Ordnungsamt der Stadt Frankfurt für die ganze Stadt ein Versammlungsverbot. Ein breites Bündnis von Gruppen und Organisationen unter dem Namen „Blockupy“ hatte zu Protesten gegen die europäische Krisenpolitik und die Verarmung breiter Bevölkerungsgruppen in der EU aufgerufen. Die Stadt Frankfurt befürchtete, von diesen Protesten gingen schwerwiegende Gefahren für die Stadt aus. Die Vielzahl der Demonstrierenden und die beabsichtigten Blockaden könnten den „Frankfurter Einwohnern und den hier Geschäftsansässigen sowie den Reisenden und allen übrigen Menschen, die sich an diesen Tagen in die Frankfurter Innenstadt begeben (…) in Abwägung ihrer ebenfalls schützenswerten Grundrechte nach Artikel. 2 (Freiheit der Person), 4 (Gewissensfreiheit), 12 (Berufsfreiheit), 14 (Eigentum; alle Erläuterungen durch d.Verf.) des Grundgesetzes nicht zugemutet werden“, teilte sie in den Verbotsverfügungen mit.  Insbesondere wurde befürchtet, die Funktionsfähigkeit der Europäischen Zentralbank wie auch anderer Banken könnte beeinträchtigt werden.

Die Klagen des Bündnisses gegen diese Verbote führten in Eilverfahren nur zur Zulassung der Großdemonstration am Samstag unter einer langen Liste von Auflagen. All die anderen Verbote von Versammlungen des Blockupy-Bündnisses wurden auch vom Bundesverfassungsgericht in einer Eilentscheidung bestätigt. In der Eile prüfen die Gerichte leider oft genug nicht, ob die Gefahrenprognosen der Polizei zumindest plausibel belegt werden.

Dass die Stadt Frankfurt hiermit das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit über vier Tage für die ganze Stadt außer Kraft setzen wollte, wurde deutlich, als mit denselben Begründungen weitere Demonstrationen verboten wurden. Eine Gedenkveranstaltung der Jusos an die homosexuellen Opfer der NS-Diktatur und eine Mahnwache der Ordensleute für den Frieden wurden ebenfalls verboten. Das Komitee für Grundrechte und Demokratie meldete eine Versammlung „Für das uneingeschränkte Grundrecht auf Versammlungsfreiheit“ an. Diese sollte an dem Feiertag, Christi Himmelfahrt, von 12 bis 18 Uhr neben der Paulskirche, der Wiege der Demokratie, stattfinden. Auch diese Kundgebung wurde verboten. Im Eilverfahren vor dem Verwaltungsgericht Frankfurt wurde das Verbot bestätigt,  der Verwaltungsgerichtshof entschied kurzfristig gar nicht. Nachträglich erhob das Grundrechtekomitee Klage.

Dasselbe Gericht, das in der Eilentscheidung dem Verbot der Versammlung für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit zugestimmt hatte, kam nach langer Verhandlung zu dem Schluss, die Stadt wäre in der Eile ihrer Pflicht zur Kooperation nicht nachgekommen, das Verbot sei deshalb rechtswidrig (Az 5 K 2229/12.F). Jedoch sah die Kammer „keine Veranlassung, von ihrer damals getroffenen Gefahrenprognose, die das Vollverbot der Blockupy-Veranstaltung begründete, abzurücken“.

Verbot ohne Gefah­ren­pro­gnose

Auch die zeitlich begrenzte Versammlung auf dem Paulsplatz wurde mit denselben Begründungen verboten wie die Proteste von Blockupy. Die Stadt behauptete, diese Kundgebung sei eine Ersatzveranstaltung, obwohl der Veranstalter nicht im Bündnis von Blockupy beteiligt war. Die Sicherheitsbedenken müssten auch auf diese Veranstaltung ausgedehnt werden. Die Klage gegen dieses Verbot musste folglich auch das gesamte  Versammlungsverbot für Blockupy angreifen.

Die Akteneinsicht ergab jedoch keine Anhaltspunkte für konkrete Gefahren. Eine Gefahrenprognose muss mit Tatsachen oder zumindest mit auf Tatsachen gestützten Indizien begründet werden. Wenn die Polizei konkrete Gefahren benennen kann, dann muss geprüft werden, ob diesen mit Auflagen begegnet werden kann. Für solche Prüfungen und Überlegungen gab es keine Indizien. Stattdessen argumentierten die Stadt – und in der Verwaltungsgerichtsverhandlung auch ein Richter – weiterhin mit pauschalen Vermutungen. Als Beleg wurden willkürlich Internetaufrufe genannt, die von keinem der Anmelder von Versammlungen ins Netz gestellt worden waren. Eine Aktion in Berlin mit Booten, die die öffentliche Sicherheit gar nicht gefährdet hatte, wurde zum Beweis der Gefährlichkeit herangezogen, weil in manchen Aufrufen von Booten die Rede war, die man braucht, wenn die Stadt „geflutet“ wird. So wurden jede Dramatisierung, jede theatralische Formulierung, jedes werbende Bild wörtlich genommen und die Katstrophe hineininterpretiert. Und wie seit Jahren und Jahrzehnten wurde in dieser „Gefahrenprognose“ wieder vor den 2.000 „Autonomen“ gewarnt. Auch hier fehlte, wie üblich, jeder Beleg für ihre Teilnahme wie auf ihre „Gefährlichkeit“ für die Stadt Frankfurt.

Obwohl auch Blockaden unter dem Schutz des Versammlungsrechts stehen, wie das Oberverwaltungsgericht NRW (5 A 1701/11) kürzlich wieder festgehalten hat, behauptete die Stadt Frankfurt, durch die beabsichtigten Blockaden würden „andere Personen zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung gezwungen. Dies stellt eine Ausübung von Gewalt und damit eine Nötigung im Sinnes des § 240 StGB dar.“ Seit dem sogenannten Sitzblockadeurteil des Bundesverfassungsgerichts von 1995 ist dies zumindest eine ignorante Behauptung. Möglichkeiten, mit begrenzenden Auflagen und möglichen Versammlungsauflösungen den „Gefahren“ zu begegnen, wurden nicht erwogen.

Proteste trotz Aufent­halts­ver­boten, Festnahmen und weiträu­migen Absper­rungen

Im Vorfeld verhängte die Stadt Frankfurt gegen mehr als 400 Personen Aufenthaltsverbote für die gesamte Innenstadt (vgl. Heiming in diesem Grundrechte-Report, S. 109 ff.). Die Widersprüche dagegen führten zur Zurücknahme dieser Verbote, da bei Gericht erhebliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit deutlich wurden. Busse – vor allem die aus Berlin und Hamburg – wurden an den Tagen vor der Großdemonstration auf Parkplätzen festgehalten. Busse und Personen wurden durchsucht und gefilmt. Auch diese Personen erhielten ein mündliches – rechtswidriges – Aufenthaltsverbot, das in einigen Fällen mit der beabsichtigten Teilnahme an einer verbotenen Versammlung begründet wurde. Ein Aufenthaltsverbot darf aber gemäß Hessischem Sicherheits- und Ordnungsgesetz nur zur Verhinderung von Straftaten erlassen werden. Die Teilnahme an einer verbotenen Versammlung wäre allenfalls eine Ordnungswidrigkeit. Auch der Ordnungsdezernent informierte jedoch die Öffentlichkeit fälschlich, dass Bürger, die trotz Verbot demonstrieren, Straftaten begingen.

Die Verbote der Stadt ließen befürchten, dass sich viele potentielle Teilnehmer von den Protesten abschrecken lassen würden. Ja, dass gerade die friedliebenden Menschen, die Familien, die gutbürgerlichen Bürger angesichts der ausgemalten Schrecken zu Hause bleiben würden. Das ist einerseits eine alte Erfahrung, da sich tatsächlich viele nicht trauen, den staatlichen Verboten zu trotzen. Auffallend aber ist, dass es längst auch eine andere Entwicklung gibt. Viele Gruppen haben gelernt, dass sie sich ihre Rechte nehmen müssen, dass sie mit kreativen Mitteln den Protest bunt, laut und friedlich machen können. Dass Rhythmusinstrumente, clowneske Einlagen, dass ein gemeinsames Hinsetzen oder Händehochhalten helfen kann, den Provokationen der vorgeschickten Polizei zu widerstehen. Und so war Frankfurt trotz aller Verbote in diesen Tagen eine bunte Stadt mit Ansprachen, kulturellen Beiträgen und Diskussionen.

Trotz dieser offensiven Friedlichkeit berichtete der „Ermittlungsausschuss“ in Frankfurt von 1430 Personen, die in Gewahrsam genommen oder gekesselt wurden. Rechtsanwälten wurde der Zugang zu ihren Mandanten verwehrt. Zelte und Schlafsäcke von Anreisenden wurden beschlagnahmt. Immer wieder wurde auch während der bestätigten Großdemonstration, die ohne besondere Vorkommnisse verlief, systematisch mit Video überwacht.

2013 will das Bündnis „Blockupy“ wieder nach Frankfurt kommen und für das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit in Frankfurt streiten. Sie brauchen die Unterstützung aller Demokraten.

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