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Racist Profiling bei der deutschen Bundes­po­lizei - Stichproben nach dem äußeren Erschei­nungs­bild

Grundrechte-Report 2013, Seite 83

Ein Student wird im Zug auf dem Weg von Kassel nach Frankfurt/Main von zwei uniformierten Beamten der Bundespolizei aufgefordert, sich auszuweisen. Er möchte den Grund für die Maßnahme erfahren, erhält keine Antwort und widersetzt sich der Aufforderung. Daraufhin beginnen die Polizisten den Rucksack des Studenten nach Ausweispapieren zu durchsuchen. Ganz selbstverständlich duzen sie ihn und fragen ihn, ob die sich im Rucksack befindende Schokolade geklaut sei. Nachdem sie keine Ausweispapiere finden können, wird der Student zur nächsten Dienststelle der Bundespolizei gebracht. Passantinnen, die ihm zur Seite stehen wollen, werden mit den Worten angeherrscht, sie hätten gar keine Rechte und: „Du kannst mich mal!“ Der 25- Jährige erhebt daraufhin Klage vor dem VG und möchte die Rechtswidrigkeit der Maßnahmen festgestellt wissen. Einer der Bundesbeamten schilderte freimütig, dass der Reisende ihm nur aufgrund seiner Hautfarbe aufgefallen sei. Er spreche Leute an, die ihm als Ausländer erschienen. Das VG Koblenz entschied am 28. Februar 2012, dass die Maßnahmen rechtmäßig gewesen seien. Nach § 22 Absatz 1 a Bundespolizeigesetz (BPolG) dürften die Beamten entsprechende Lageerkenntnisse und einschlägige grenzpolizeiliche Erfahrungen zugrunde legen. Die Strecke, auf der der Kläger kontrolliert wurde, werde für die unerlaubte Einreise und zu Verstößen gegen das Aufenthaltsgesetz genutzt. Aus Kapazitäts- und Effizienzgründen dürfe die Polizei die Maßnahmen auf Stichprobenkontrollen beschränken und bei der Auswahl der anzusprechenden Personen sich von dem äußeren Erscheinungsbild leiten lassen.

Racist Profiling gerichtlich legitimiert

Die Regelung sei laut Gericht auch nicht verfassungswidrig. Zwar werde durch die Identitätsfeststellung das Grundrecht des Klägers auf informationelle Selbstbestimmung berührt. Da dies aber nicht schrankenlos gewährt werde, müsse der Einzelne Einschränkungen im überwiegenden Allgemeininteresse hinnehmen. Das Gericht sah auch keinen Verstoß gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip, denn der Eingriff in sein Persönlichkeitsrecht durch die Aufforderung, sich auszuweisen sei in seiner Art und Intensität denkbar gering. Das Gericht meinte lapidar, dass Personen sich ständig im Alltag ausweisen müssten, so z. B. in Kantinen, bei Veranstaltungen und im Gesundheitswesen. Durch das Erfordernis entsprechender Lageerkenntnisse und grenzpolizeilicher Erfahrung sei zudem ausreichend gewährleistet, dass das Gesetz kein vollkommen willkürliches, durch kein Ziel determiniertes Kontrollieren ermöglicht. Besonders weil die Strecke einerseits den Verkehr ab dem Internationalen Flughafen Rhein/Main aufnehme und andererseits aber auch in Richtung der Hessischen Erstaufnahmeeinrichtung in Gießen verlaufe, sah das Gericht die Voraussetzungen des § 22 Absatz 1a BPolG als erfüllt an und keinen weiteren Aufklärungsbedarf. Schließlich stellten die Richter noch fest, dass die Durchsuchung des Rucksackes ebenso rechtmäßig gewesen sei, da die Identität des Klägers nicht anders habe festgestellt werden können. In der mündlichen Berufungsverhandlung vom 29.10.2012 brachte das OVG Rheinland-Pfalz unmissverständlich zum Ausdruck, dass es diese Praxis für verfassungswidrig halte, woraufhin es zu einer übereinstimmend erklärten Erledigung des Verfahrens kam. Auf die Erledigungserklärungen hin wurde das Urteil des VG Koblenz für wirkungslos erklärt.

Rassis­ti­sche und verfas­sungs­wid­rige Praxis

Trotz seiner juristischen Wirkungslosigkeit ist das Koblenzer Verfahren nicht bedeutungslos. Die Bundespolizei hat offen eingestanden diese rassistische Praxis durchzuführen und als „effektiv“ gerechtfertigt; durch den Koblenzer Richterspruch wurde diese – zumindest zeitweise – legitimiert. Diese Vorgehensweise wird auch „Racial Profiling“ oder „Ethnic Profiling“ genannt, wobei der Begriff des „Racist Profiling“ zu bevorzugen ist, da „Racial“ voraussetzt, dass es „Rassen“ gibt und die Zuordnung einer Person zu einer Ethnie ebenso Menschen aufgrund scheinbar objektiver Kriterien in bestimmte konstruierte Gruppen einteilt. Bei dieser polizeilichen Maßnahme wird auf verallgemeinernde Kriterien wie Hautfarbe und andere äußerliche Merkmale, statt auf Verhalten und objektive Beweise als Verdachtsmomente abgestellt. Der Menschenrechtsausschuss der Vereinten Nationen versteht dies unmissverständlich als rassistische Diskriminierung. Diese Praxis ist in den USA und Großbritannien verboten, denn sie ist eine Form der nach internationalem Recht verbotenen rassitischen Diskriminierung und untergräbt die Verpflichtung der Europäischen Union auf Nichtdiskriminierung als einen ihrer Grundwerte. Durch diese Maßnahmen werden rassistische Denkmuster in der Polizei und der weißen deutschen Mehrheitsgesellschaft genährt und potenziert.

Die Koblenzer Entscheidung hat diese gleichheitsrechtliche Dimension des Falles völlig verkannt und ist mit keinem Wort auf die Aussage des Polizisten eingegangen, er habe den Kläger aufgrund seiner Hautfarbe kontrolliert. Artikel 3 Absatz 3 Satz 1 GG verbietet jedoch eine Ungleichbehandlung „wegen“ der dort aufgeführten Merkmale, und enthält ein Anknüpfungs- oder Differenzierungsverbot unabhängig davon, was von der Regelung bezweckt wird. Bei dem besonders schwierigen Merkmal der „Rasse“, dass ohne abwertende Fremdzuschreibungen nicht funktioniert, werden Stereotype konstruiert. Danach können Deutsche nur Weiß sein (als Verdeutlichung der Kategorie groß geschrieben). Dass das VG Koblenz diese rassistische und erniedrigende Personenkontrolle von der Intensität mit einer Kantinenausweiskontrolle vergleicht, kann nur zynisch verstanden werden. Verfehlt wäre es auch, an das Merkmal der Staatenstaatsangehörigkeit eines Drittstaates (Nicht EU-Staates) anzuknüpfen. Diese ist zwar weder in Artikel 3 Absatz 3 GG noch in den einschlägigen europa- oder völkerrechtlichen Vorschriften als verbotenes Differenzierungsmerkmal aufgeführt. Aber unabhängig von der Tatsache, dass das fragwürdige Differenzierungskriterium „Staatsangehörigkeit“ einer Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht stand halten würde, kann bei der verdachtsunabhängigen Personenkontrolle gerade nicht nach Staatsangehörigkeit differenziert werden. Diese wird überhaupt erst nach der Identitätsfeststellung bekannt. Aber auch das – hier lediglich unterstellte – staatliche Interesse an einer Migrationskontrolle kann eine einseitige Schlechterstellung in Folge einer mittelbaren Anknüpfung an das Merkmal „Rasse“ im Sinne einer rassistischen Zuschreibung biologischer Merkmale zu einer bestimmten Staatsangehörigkeit nicht rechtfertigen. Das verfassungsrechtliche Diskriminierungsverbot stellt gerade einen uneingeschränkten Gewährleistungsbereich persönlicher Integrität dar, der auch wegen seines engen Zusammenhangs mit der Menschenwürde nicht angetastet werden darf. Nicht nur die erstinstanzliche Entscheidung des VG, sondern auch die Reaktion der Polizeigewerkschaft nach der Berufungsverhandlung vor dem OVG, es handele sich dabei um „schöngeistige Rechtsprechung“, die der polizeilichen Praxis nicht gerecht werde, zeigen einmal mehr, wie fest Rassismus in den Köpfen verankert ist und nicht einmal vor Gericht erkannt wird.

Literatur

OLG Frankfurt, Az.: 2 Ss 329/11

VG Koblenz, Az. 5 K 1026/11.KO

OVG Rheinland-Pfalz, Az. 7 A 10532/12

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