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...so bleibst du ein „Verfas­sungs­feind“ - Auf die Einstellung kommt es an - VDJ in Thüringen auf dem Gesin­nungs­index

Grundrechte-Report 2013, Seite 133

Buchstäblich aus der Zeit gefallen und aus den Schlacken des „Kalten Krieges“ gezimmert ist der im 40. Jahr der Berufsverbote entdeckte Thüringer Runderlass „über die Prüfung der persönlichen Eignung für den öffentlichen Dienst“ (StAnz. Nr. 34/ 1992, S.1122, Nummer 39/1994, S. 2504) aus dem Jahr 1992. Neben den erforderlichen Angaben zu Status und Qualifikationsvoraussetzungen belehrt der Erlass auch über die Pflicht zur Verfassungstreue im öffentlichen Dienst. Und damit keine Zweifel darüber aufkommen, was darunter zu verstehen ist, ist ein Verzeichnis von „extremistisch und extremistisch beeinflussten Organisationen“ angefügt
(http://www.thueringen.de/imperia/md/content/text/justiz/jpa/gesamt_runderlass.pdf) .                              

Das seit der Veröffentlichung im Staatsanzeiger unveränderte Verzeichnis folgt in seiner Machart ganz dem bayerischen Paten und präsentiert sich als skurriles Raritätensammelsurium von Parteien und Vereinigungen von damals und von dieser Zeit.  Dem entspricht das äußere Erscheinungsbild des im Internet eingestellten Erlasses als  schwer verwittertes Patchwork.

Neben diversen „rechts- und linksextremistischen“ Organisationen sind ebenso die wichtigsten Massenorganisationen in der DDR aufgeführt, u.a. der FDGB, die FDJ, die GSF  und auch der Verband der Kleingärtner, Siedler und Kleintierzüchter. Es finden sich weiter bestehende, in Thüringen wohl beleumdete Organisationen wie die Volkssolidarität, deren derzeitiger Vorsitzender ehemals Sozialminister und CDU Landtagsabgeordneter gewesen ist, und die VVN/BdA, dessen Mitglied und Ehrenbürger Weimars Ottomar Rothmann am Auschwitz-Gedenktag 2012 die Gedenkrede im Thüringer Landtag gehalten hat.

Als „linksextremistisch beeinflusste Organisation“ ist auch die 1972 gegründete, parteipolitisch unabhängige Vereinigung Demokratischer Juristinnen und Juristen gelistet, zu der neben Praktikerinnen und Praktikern in der Anwaltschaft, den Gewerkschaften, der Verwaltung, Justiz und Staatsanwaltschaft ebenso Angehörige in den Hochschulen und der Ausbildung zählen. Seit vielen Jahren gibt sie den Grundrechte-Report mit heraus.

Nachdem die VDJ von der Staatskanzlei der Ministerpräsidentin Aufschluss verlangt hatte, wie sie auf die Liste geraten und auf welcher Basis die vorgenommene Qualifikation als „extremistisch beeinflusste Organisation“ erfolgt ist, ist die Bürokratie des Innenministeriums aus dem Dämmer einer Endlosbefassung gerissen worden. Einer Antwort  der Bundesregierung vom 09.08.2007     (http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/16/062/1606210.pdf)
auf eine Kleine Anfrage der Fraktion DIE LINKE ist zu entnehmen, dass sich der Thüringer Runderlass seit diesem  Zeitpunkt in Überarbeitung befindet.

Der feine Unterschied: befleckte und unbefleckte Mitglieder

Das Innenministerium hat die rechtliche Bewertung in seiner Antwort nun darauf gestützt, dass die VDJ bei Inkrafttreten des Runderlasses wegen der Nähe zur DKP von den Verfassungsschutzbehörden beobachtet worden und deshalb in der Anlage zum Runderlass aufgeführt sei. Die VDJ ist jedoch zu diesem Zeitpunkt nicht Gegenstand von Beobachtungen des Verfassungsschutzes gewesen. Gestützt auf diese unzutreffende Prämisse und die Feststellung, dass die VDJ „mittlerweile nicht mehr als linksextremistische Organisation beurteilt“ werde, gelangt das Ministerium zur Aufrechterhaltung und Rechtfertigung seiner bisherigen Praxis dann in bemerkenswerter Volte zu dem Schluss, dass die „derzeit noch erfolgende Nachfrage hinsichtlich einer – auch früheren – Mitgliedschaft sich daraus ergibt, dass eine frühere Mitgliedschaft im Hinblick auf frühere Aktivitäten der VDJ weiterhin nicht ohne Relevanz ist“.

Diese Sicht offenbart nicht nur ein ungewöhnliches, sondern auch ein gespaltenes Verfassungsverständnis der Vereinigungsfreiheit i. S. des Artikels 9 Absatz 1 GG, indem es abstrakt zwischen dem Vereinskörper und den Mitgliedern, die zu nicht näher definierten Zeiten bereits „früher“ der VDJ angehörten, meint unterscheiden zu können und als weitere Konsequenz zwischen quasi dauerhaft belasteten langjährigen und unbelasteten jüngeren Mitgliedern differenziert.

Abgesehen davon, dass eine originäre Rechtsgrundlage für die Erstellung von organisationsqualifizierenden Verzeichnissen für die Eignungsbeurteilung für den öffentlichen Dienst nicht ersichtlich ist, berührt die „Verschlagwortung“ von Vereinigungen als „extremistische Organisation“ das in Artikel 9 Absatz 1 GG geschützte „Prinzip freier sozialer Gruppenbildung“ (BVerfGE 50, 290, 353; 38, 281, 302f; 80, 244, 252f). Der Begriff des Extremismus ist weder tatsächlich noch rechtlich definiert, sondern ein Wertungsbegriff „des politischen Meinungskampfes und der gesellschaftswissenschaftlichen Auseinandersetzung“, der in „Wechselwirkung mit sich wandelnden politischen und gesellschaftlichen Kontexten und subjektiven Einschätzungen“ steht (so Beschluss des BVerfG vom 08.12.2012 – 1 BvR 1106/08). Reputation, Wirkungsmöglichkeiten und Mitgliederentwicklung von Vereinen werden durch nicht lizensierte staatliche Verrufserklärung nachteilig beeinflusst (vgl. für den Bereich der Pressefreiheit Beschluss des BVerfG vom 28.05.2005 – 1 BvR 1072/01) und verletzen insoweit die in Artikel 9 Absatz 1 GG geschützte Vereinigungsfreiheit.

Der Makel wird dann noch vertieft, wenn Verzeichnisse dieser Art von den Behörden mit Ewigkeitswert ausgestattet werden.

Der Innenminister hat nun die mehrfach erklärte „Überarbeitung“ des Runderlasses avisiert und im August 2012 mitgeteilt, dass das Verzeichnis durch eine aktualisierte Liste ersetzt werden solle, die sich an den jeweils letzten Verfassungsschutzberichten orientiere, worin die VDJ nicht mehr genannt sei und die den Ressorts „unverzüglich“ zur Verfügung gestellt werde.

Die Dimension der Zeit folgt im Freistaat Thüringen allerdings eigener Dramaturgie und Taktung. Ende November 2012 hat das Innenministerium alle Ministerien und andere Behörden „zur Vermeidung von rechtlichen Auseinandersetzungen“ darüber unterrichtet, dass das Organisationsverzeichnis zum Runderlass „zunächst“ insofern geändert werden soll, als die VDJ dort „gestrichen wird“. Eine Veröffentlichung dieser Änderung ist nun zum „nächstmöglichen Termin“  im Staatsanzeiger vorgesehen.

An der negativen „Verschlagwortungspraxis“ selbst, mit der Organisationen stigmatisiert werden, ändert sich jedoch nichts. Etwas bleibt faul im Freistaat Thüringen.

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