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Unglaub­liche Bespit­ze­lungs­ak­tion des Bayerischen Verfas­sungs­schutzes

Grundrechte-Report 2013, Seite 174

Ende 2011 stellte sich durch einen Zufall heraus, dass ein V-Mann des Bayerischen Verfassungsschutzes ein breites Bündnis „Rettet die Grundrechte“ bei ver.di München bespitzelte. Als der V-Mann starb, wurden bei ihm gefundene Tonbänder an Organisationen geschickt, bei deren politischen Aktionen er dabei gewesen war. Die Überraschung bei den Empfängern war groß, als sich herausstellte, dass die Tonbänder Berichte an den Bayerischen Verfassungsschutz zum Inhalt hatten. Sie betrafen Aktionen des Bündnisses, die vor Erlaß des Bayerischen Versammlungsgesetzes von 2008 eindrucksvolle Demonstrationen und eine in wichtigen Punkten dann erfolgreiche Verfassungsbeschwerde zum Gegenstand hatten. Im Feld der unglaublichen Übergriffe des Verfassungsschutzes eine besondere Kategorie: Staatliche Bespitzelung mit geheimdienstlichen Mitteln des demokratischen Prozessgegners vor dem Bundesverfassungsgericht.

Verfas­sungs­schutz unter­wan­dert Kläger­or­ga­ni­sa­tion vor dem Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt

Im Juni 2007 hatte sich in München wegen ständiger staatlicher Repressionen, insbesondere im gewerkschaftlichen Bereich, auf Initiative von ver.di München ein Bündnis „Rettet die Grundrechte“ gebildet. Als im Januar 2008 die bayerische Staatsregierung mit damals absoluter Landtagsmehrheit als erstes Land nach der Föderalismusreform von 2006 ein eigenes Versammlungsgesetz vorlegte, organisierte das Bündnis Demonstrationen mit z.T. 5.000 Teilnehmern. In den Berichten des V-Mannes an den Verfassungsschutz wurden dann auch Namen von voraussichtlichen Rednerinnen und Rednern genannt, u.a. Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (heutige Bundesjustizministerin), Angelika Lex (Rechtsanwältin und Bayerische Verfassungsrichterin), Klaus Hahnzog (Rechtsanwalt und Bayerischer Verfassungsrichter), Margarethe Bause (Vorsitzende Landtagsfraktion der Grünen). Der bayerische Gesetzentwurf entfernte sich noch weiter als das bisherige Versammlungsgesetz des Bundes von den Forderungen der im Artikel 8 des Grundgesetzes garantierten Versammlungsfreiheit, die für unsere Demokratie schlechthin konstituierend ist. Dagegen blieben auch Anhörungen und Debatten im Landtag und eine Tag und Nacht eine Woche lang besetzte Mahnwache im Blickfeld des Landtages ohne  Erfolg.

Am 16. September 2008 wurde schließlich die im Bündnis lange besprochene Verfassungsbeschwerde unmittelbar gegen das Gesetz in Karlsruhe eingereicht. Als Beschwerdeführer traten als Auswahl aus dem großen Teilnehmerkreis des Bündnisses eine Reihe von Gewerkschaften, NGO’s und Parteien auf: DGB und Einzelgewerkschaften, Bund Naturschutz, Journalistenverband, Humanistische Union, SPD, FDP, Linke, Grüne, Attac und viele andere.

Von besonderer Bedeutung war dabei die Beteiligung des DGB Bayern – zum ersten Mal in der Geschichte des DGB erhob dieser Klage gegen ein allgemeinpolitisches Gesetz.

Am 17. Februar 2009 erließ das Bundesverfassungsgericht dann eine einstweilige Anordnung (1 BvR 2492/08). Darin wurde eine Reihe von Bußgeldvorschriften einstweilen außer Kraft gesetzt, ebenso wurden Vorschriften des Artikels 9 über Datenerhebung, Bild- und Tonaufzeichnungen, Übersichtsaufnahmen und -aufzeichnungen modifiziert. Nach der Landtagswahl von 2008 hat die CDU/FDP-Koalition unter dem Druck des verfassungsrechtlichen Verfahrens das Gesetz dann geändert. Dies war ein demokratischer Erfolg, nicht nur für Bayern sondern auch für andere Bundesländer, die Bayern nachfolgten oder nachfolgen wollten.

Bisherige Ausein­an­der­set­zung mit dem Bayerischen Verfas­sungs­schutz

Sofort nach dem Bericht über die Spitzelaffäre hat der Verfasser beim Landesamt für Verfassungsschutz den Auskunftsanspruch nach Artikel 11 Absatz 1 BayVSG geltend gemacht. Nach 6 Wochen erhielt er die Antwort, dass „zur Erfüllung der gesetzlich festgelegten Aufgaben des Amtes keine Daten zu Ihrer Person in Dateien oder Akten gespeichert sind.“ Etwas ausführlicher war der Bayerische Innenminister Herrmann: „Im Rahmen des gesetzlichen Auftrags nimmt der Verfassungsschutz aber auch Kontakte seiner Beobachtungsobjekte wahr. Insofern muß derjenige, der sich bewußt in ein Aktionsbündnis mit Organisationen begibt, von denen er weiß bzw. von denen bekannt ist, dass es sich um Beobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes handelt, damit rechnen, dass unter die Beobachtung von Extremisten auch deren Bündnistaktik fällt.“ Auf Nachfrage, ob während der langen Dauer von 6 Wochen bis zur Antwort auf die beanspruchte Auskunftserteilung vielleicht Daten gelöscht worden seien, kam die Antwort: „Wann im Einzelfall eingehende Informationen vor Verarbeitung gelöscht worden sind, ist nicht feststellbar. Könnten wir den Inhalt gelöschter Informationen noch nachvollziehen, würde dies dem Zweck der Löschung widersprechen.“

Weiterer Briefwechsel und ein langes persönliches Gespräch mit dem Präsidenten des Amtes und seinen Spitzenbeamten brachten keine weiteren Aufklärungen über den Anlaß der Bespitzelung oder wer das „Beobachtungsobjekt“ war.

Der Vorgang beweist wieder einmal, wie undemokratisch verbohrt der Verfassungsschutz selbst gegenüber Bürgern ist, die die Verfassung mit Hilfe der Verfassungsgerichte (erfolgreich!) schützen wollen. Die völlige Einseitigkeit gegen „Links“ zeigt sich etwa darin, dass der ehemalige KZ-Häftling Ernst Grube persönlich als „Linksextremist“ im Verfassungsschutzbericht 2011 genannt wurde, gleichzeitig aber bei der Grundsteinlegung für das NS-Dokumentationszentrum in München von drei offiziellen Rednern als „Ehrengast“ begrüßt wurde: Vom Münchner Oberbürgermeister, vom bayerischen Kultusminister und vom Staatsminister für Kultur vom Bund aus Berlin.

Dringend erfor­der­liche Reform des Verfas­sungs­schutzes

Es verwundert nicht, wenn öfters die Abschaffung der Verfassungsschutzämter gefordert wird, wenn man allein die Ergebnisse der verschiedenen Untersuchungsausschüsse der Parlamente betrachtet. Die Humanistische Union hat im Januar 2013 ein Memorandum vorgelegt, in dem nicht nur anhand der zahllosen Skandale des Verfassungsschutzes der vergangenen Jahrzehnte seine Schädlichkeit für den demokratischen Rechtsstaat nachgewiesen wird und die Aussichtslosigkeit seiner Reformierbarkeit, sondern in dem auch jede einzelne gesetzliche Aufgabe der Verfassungsschutzbehörden analysiert und als überflüssig nachgewiesen wird, entweder hinsichtlich der Hauptaufgabe der Beobachtung verfassungswidriger Bestrebungen als unnütz, die demokratische Gesellschaft sich besser selbst im politischen Meinungskampf schützen kann, oder aber hinsichtlich der Beobachtung von Gewalt- und Straftaten überflüssig, weil dies ohnehin und besser die Strafverfolgungsorgane tun. Zum Zeitpunkt des Redaktionsschlusses bildete sich eine Koalition von Bürgerrechtsorganisationen zur ersatzlosen Abschaffung der Verfassungsschutzbehörden.

Allerdings erscheint es dem Verfasser fraglich,  ob sich hierfür die erforderlichen gesetzgeberischen Mehrheiten finden werden. Unabhängig davon sieht er bei der Abschaffung der Verfassungsschutzämter die dringende Gefahr, dass der Polizei Aufgaben und Befugnisse im Vorfeld übertragen werden. Das wird ja jetzt schon versucht und konnte etwa bei der „Präventiven Telekommunikationsüberwachung (TKÜ)“ in Niedersachsen und Bayern nur mit Hilfe des Bundesverfassungsgerichts verhindert werden. Damit fiele das unbedingt notwendige Trennungsgebot, auf das nach den schlimmen Erfahrungen in der Nazizeit und der DDR keinesfalls verzichtet werden kann. Deshalb wurde vom Verfasser am 27.3.2012 nach Diskussion in der SPD-Landtagsfraktion Bayern ein Forderungskatalog der folgenden dringenden Reformmaßnahmen vorgelegt:

  1. Weg von den Innenministerien, die häufig die Sicherheit vor Grundrechte und Demokratie setzen, so dass nicht selten die Verfassungsgerichte die Verfassung vor den Verfassungsschützern schützen müssen
  2. Unabhängige, nur mit Rechtsaufsicht von den Justizministerien bedachte Körperschaften
  3. Wahl der Präsidenten durch die Parlamente
  4. Stärkung des parlamentarischen Einflusses und Kontrolle
  5. Verfassungsschutzbeauftragte ähnlich dem Wehrdienstbeauftragten
  6. Beirat mit breiter Verankerung im bürgerschaftlichen Bereich
  7. Verzicht auf V-Leute
  8. Auskunftserteilung nicht nur an natürliche Personen, sondern auch an Gruppierungen.

Unsere Demokratie muß lebendig sein, wache und aktive Bürger sind der beste Verfassungsschutz. Ein so wenig transparenter und kontrollierter Verfassungsschutz bewirkt nur die Einschüchterung vieler, auf die unsere Gesellschaft angewiesen ist.

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