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Vorschlag zur gesetz­li­chen Regelung von Patien­ten­ver­fü­gung und Sterbehilfe

Mitteilungen19707/2007Seite 7

Mitteilungen Nr. 197, S. 7

Wie wir in den letzten Mitteilungen ausführlich berichteten, will sich der Bundestag in diesem Jahr endlich mit einer gesetzliche Regelung der Patientenverfügungen beschäftigen. Am 29. März fand dazu eine erste Diskussion im Plenum des Parlaments statt. Inzwischen liegen den Abgeordneten drei verschiedene Gesetzentwürfe vor, über die im Herbst diskutiert und abgestimmt werden soll.
Der Bundesvorstand der Humanistischen Union hat auf seiner Sitzung Anfang Juni 2007 beschlossen, in diese Diskussion mit einem eigenen Gesetzesvorschlag einzugreifen. Die von den Parteien vorgelegten Entwürfe schränken teilweise die Reichweite und Verbindlichkeit von Patientenverfügungen gegenüber dem bisherigen Rechtsstand ein (Entwürfe von Bosbach/Röspel sowie Zöller). Keiner der vorliegenden Entwürfe bemüht sich um eine strafrechtliche Klarstellung von indirekter und passiver Sterbehilfe, geschweige denn eine Legalisierung aktiver Sterbehilfe.

Nach einer ausführlichen Diskussion hat sich der Vorstand deshalb mehrheitlich auf einen Vorschlag für einen Gesetzentwurf geeinigt, der sowohl die strafrechtliche Freigabe der aktiven Sterbehilfe als auch die uneingeschränkte (zivilrechtliche) Verbindlichkeit von Patientenverfügungen umfasst. Die Vorstandsmitglieder verständigten sich darauf, die Straffreiheit auf der Ebene der Rechtswidrigkeit zu regeln. Am generellen Tötungsverbot wird damit festgehalten. Unterschiedliche Meinungen gab es jedoch nach wie vor bei der Frage, ob eine aktive Sterbehilfe nur dann zugelassen werden sollte, wenn die Betroffenen nicht mehr zum (assistierten) Selbstmord fähig sind.

Wir stellen den Vorschlag für einen eigenen Gesetzentwurf der Humanistischen Union hier zur Diskussion. Der erste, strafrechtliche Teil des Gesetzentwurfs, wurde bereits in den Mitteilungen 192 (S.17-18) vorgestellt.  Der gesamte Vorschlag wird auch als Antrag für die Delegiertenkonferenz der HU am 22./23. September 2007 in Hannover eingebracht.

A. Aktive Sterbehilfe

Wir schlagen folgende Neuregelung des § 216 Strafgesetzbuch vor:

§ 216 Tötung auf Verlangen
Nicht rechtswidrig sind Handlungen in Fällen
1.  des Unterlassens oder Beendens einer lebenserhaltenden medizinischen Maßnahme, wenn dies dem Willen des Patienten entspricht,
2.  der Anwendung einer medizinisch angezeigten leidmindernden Maßnahme, die das Leben als nicht beabsichtigte Nebenwirkung verkürzt,
3.  einer Tötung auf Grund des ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten.

Die Neuregelung stellt alle Formen der Sterbehilfe („Tötung auf Verlangen“) straffrei. Unter den Absätzen 1 und 2 werden die passive und die indirekte Sterbehilfe geregelt. Da für diese Fälle eine gesetzliche Regelung fehlt, gilt für die Anwendung passiver und indirekter Sterbehilfe bisher kasuistisches Richterrecht. So kommt es immer wieder zu widersprüchlichen Rechtsanwendungen. Unser Vorschlag folgt in den Absätzen 1 und 2 vollständig dem Bericht der Arbeitsgruppe „Patientenautonomie am Lebensende“ vom 10. Juni 2004 (Kutzer-Kommission).

Mit dem dritten Absatz wird darüber hinausgehend die aktive Sterbehilfe legalisiert. In der bisherigen Fassung des § 216 Absatz 1 Strafgesetzbuch wird die Tötung auf Verlangen lediglich strafmildernd anerkannt: „Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.“ Dagegen würde mit unserem Vorschlag die aktive Sterbehilfe straffrei gestellt, sofern sie auf das ausdrückliche und ernstliche Verlangen desjenigen zurückgeht, der getötet werden will.

Wir sehen unseren Vorschlag in der Tradition der von Arthur Kaufmann bereits 1983 vorgeschlagenen Einführung eines neuen § 216 StGB. Sein Vorschlag enthielt mit dem Bezug auf die „guten Sitten“ jedoch eine für die praktische Anwendung problematische Einschränkung: „Wer eine Tötung auf Grund des ausdrücklichen und ernstlichen Verlangens des Getöteten vornimmt, ist nur dann strafbar, wenn die Tat trotz des Verlangens gegen die guten Sitten verstößt.“

Mit der vorgeschlagenen neuen Regelung würde die aktive Sterbehilfe unter der Voraussetzung legalisiert, dass ein ausdrückliches und ernsthaftes Verlangen der betroffenen Person vorlag. Für dessen Prüfung könnte auf die bereits in der bisherigen Rechtssprechung entwickelten Kriterien eines ernsthaften und ausdrücklichen Verlangens zurückgegriffen werden, die gegenwärtig für die Strafmilderung vorliegen müssen. Diese Kriterien würden dann für die Begrenzung der aktiven Sterbehilfe als straffreies Handeln (und die Abgrenzung der Sterbehilfe gegenüber der Tötung) herangezogen.

Last but not least: Nach einer Legalisierung der Sterbehilfe können alle, die das wünschen, in ihrer Patientenverfügung selbstbestimmt entscheiden, für welche Fälle sie ausdrücklich eine aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen wollen – wie bereits jetzt über die passive und indirekte Sterbehilfe.

B. Verbind­lich­keit und Reichweite von Patien­ten­ver­fü­gungen

Wir schlagen einen neuen § 1901b für das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) und eine Änderung des § 1904 BGB vor:

§ 1901b Patientenverfügungen
(1) Der Betreuer hat den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen des Betreuten zu beachten. Liegt eine Patientenverfügung über die Einwilligung oder die Verweigerung der Einwilligung in bestimmte ärztliche oder pflegerische Maßnahmen vor, die auf die konkrete Entscheidungssituation zutrifft, so gilt die Entscheidung des Betreuten nach Eintritt der Äußerungsunfähigkeit fort. Dem Betreuer obliegt es, diese Entscheidung durchzusetzen. Das gilt auch dann, wenn die Erkrankung noch keinen tödlichen Verlauf genommen hat.
(2) Der Absatz 1 gilt auch für Bevollmächtigte, soweit der Vollmachtgeber nichts anderes bestimmt hat.

§ 1901b BGB regelt die Patientenverfügung als nicht an eine bestimmte Form gebundenes Rechtsinstitut des bürgerlichen Rechts. Danach sind der Betreuer und die behandelnden Ärzte an den in einer Patientenverfügung geäußerten Willen gebunden. Ist die Patientenverfügung ausdrücklich oder nach Auslegung auf die konkrete Behandlungssituation anwendbar, so gilt der darin niedergelegte Wille bei eingetretener Entscheidungsunfähigkeit des Patienten ohne Wenn und Aber.

Unser Vorschlag entspricht bis auf eine Abweichung dem Vorschlag der Kutzer-Kommission: Diese hatte in Absatz 1 Satz 3 vorgeschlagen, dass der Betreuer die Entscheidung durchzusetzen hat, soweit ihm dies zumutbar sei. Eine solche Einschränkung halten wir für kontraproduktiv. Sie könnte in der Praxis dazu führen, dass dem Betreuer durch die Hintertür eine eigene Entscheidungsgewalt eingeräumt wird.

Ebenso wenig begrenzt unser Vorschlag die Verbindlichkeit der Patientenverfügung auf das Vorhandensein einer irreversiblen, tödlich verlaufenden Grunderkrankung. Entgegen der Auffassung des Bundesgerichtshofes vom 17. März 2003 sind wir der Meinung, dass der Betreuer unter Bezug auf eine Patientenverfügung in jeder Phase der Behandlung verlangen kann, dass eine medizinische indizierte Behandlung nicht durchgeführt oder eingestellt wird. Den in der Patientenverfügung niedergelegten Willen des Patienten gilt es auch dann zu beachten, wenn dessen Grundleiden noch keinen irreversibel tödlichen Verlauf angenommen hat und sein Leben durch die Behandlung erhalten werden könnte. Es gehört zu dem unveräußerlichen Selbstbestimmungsrecht des aktuell entscheidungsunfähigen Patienten, dass er eine solche Entscheidung auch im Voraus treffen und von seinem Vertreter die Durchsetzung seines Willens erwarten kann. Liegt mit der Patientenverfügung eine solche Entscheidung vor, dann bedarf es keiner Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Behandlung, er muss nur für die Durchsetzung dieses Willens Sorge tragen.

Aus unserer Sicht bedarf es einer klaren gesetzlichen Regelung, weil sich in der Praxis sowohl Ärzte als auch Betreuer immer wieder auf die in der Rechtslehre und der Rechtsprechung anzutreffende Auffassung berufen, dass auch eine Patientenverfügung, welche die konkrete Behandlungssituation genau betrifft, nur als ein Indiz bei der Ermittlung des mutmaßlichen Patientenwillens zu werten sei und eine zusätzliche Einwilligung des Betreuers in die ärztliche Behandlung einzuholen sei, obwohl der (betreute) Patient diese Entscheidung bereits selbst getroffen hat.

Die im Folgenden für den Betreuer vorgeschlagenen Regelungen sollen entsprechend auch für den gesetzlichen Vertreter nach den § § 1358a, 1618b BGB gelten:

§ 1904 Genehmigung des Vormundschaftsgerichts bei ärztlichen Maßnahmen
(1) Die Einwilligung des Betreuers in eine Untersuchung des Gesundheitszustands, eine Heilbehandlung oder einen ärztlichen Eingriff bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die begründete Gefahr besteht, dass der Betreute auf Grund der Maßnahme stirbt oder einen schweren und länger dauernden gesundheitlichen Schaden erleidet. Ohne die Genehmigung darf die Maßnahme nur durchgeführt werden, wenn mit dem Aufschub Gefahr verbunden ist.
(2) Die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung des Betreuers in eine ärztliche Maßnahme nach Absatz 1 Satz 1 bedarf der Genehmigung des Vormundschaftsgerichts, wenn die Maßnahme medizinisch angezeigt und anzunehmen ist, dass der Betreute auf Grund des Unterbleibens oder des Abbruchs der Maßnahme stirbt. Bis zur Entscheidung über die Genehmigung hat das Vormundschaftsgericht die im Interesse des Betreuten erforderlichen Maßregeln zu treffen.
(3) Eine Genehmigung nach Absatz 1 und 2 ist nicht erforderlich, wenn zwischen Betreuer und Arzt Einvernehmen darüber besteht, dass die Erteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung dem Willen des Patienten entspricht.
(4) Die Genehmigung nach Absatz 1 und 2 ist zu erteilen, wenn die Erteilung, die Verweigerung oder der Widerruf der Einwilligung dem mutmaßlichen Willen des Betreuten entspricht. Hierfür bedarf es individueller konkreter Anhaltspunkte. Fehlen diese, ist das Wohl des Betreuten maßgebend. Dabei ist im Zweifelsfall dem Lebensschutz des Betreuten Vorrang einzuräumen. Liegt eine ausdrückliche, auf die Entscheidung bezogene Erklärung des Patienten vor, so hat das Vormundschaftsgericht festzustellen, dass es seiner Genehmigung nicht bedarf.
(5) Ein Bevollmächtigter kann in eine der in Absatz 1 Satz 1 oder Absatz 2 Satz 1 genannten Maßnahmen nur einwilligen, sie verweigern oder die Einwilligung widerrufen, wenn die Vollmacht diese Maßnahmen ausdrücklich umfasst und schriftlich erteilt ist. Die Genehmigung des Vormundschaftsgerichts ist nicht erforderlich.

Unser Vorschlag folgt hier dem Entwurf der Kutzer-Kommission. § 1904 Abs. 2 BGB ist erforderlich, da die Einschaltung des Vormundschaftsgerichts nötig ist, wenn zwischen Arzt und Betreuer Zweifel oder Meinungsverschiedenheiten über den Inhalt des Patientenwillens bestehen. Für die Entscheidung über den Verzicht auf lebenserhaltende oder lebensverlängernde Maßnahmen ist aber allein der Patientenwille, und nicht die ärztliche Indikation als solche maßgebend.

Nach § 1904 Abs. 3 BGB sollen Betreuerentscheidungen von der nach Absatz 1 und 2 grundsätzlich bestehenden Genehmigungspflicht nur befreit sein, wenn zwischen Arzt und Betreuer Einvernehmen darüber besteht, dass die Entscheidung des Betreuers dem Patientenwillen entspricht. Dann soll die Durchsetzung des unstrittigen Patientenwillens nicht mit einem gerichtlichen Verfahren belastet werden, das die Durchsetzung des Patientenwillenserheblich verzögert. Im Falle eines mutmaßlichen Missbrauchs der Patientenverfügung hat auch nach der vorgeschlagenen Regelung jeder das Recht, zur Kontrolle ein Vormundschaftsgericht anzurufen.

In § 1904 Abs. 4 BGB wird geregelt, nach welchen Kriterien das Vormundschaftsgericht über die Zustimmung bzw. Ablehnung medizinischer Eingriffe durch den Betreuer zu entscheiden hat. Das Vormundschaftsgericht soll bei seiner Entscheidung über die Rechtmäßigkeit der Einwilligung (nach Absatz 1) oder über die Verweigerung bzw. den Widerruf der Einwilligung (nach Absatz 2) des Betreuers dahin gehend überprüfen, ob diese Entscheidung dem mutmaßlichen Patientenwillen entspricht. Das Recht jedes Menschen auf Selbstbestimmung gebietet es, den in einer Patientenverfügung im Voraus geäußerten Willen in gleicher Weise zu achten wie den Willen eines äußerungsfähigen Patienten. Im Zweifelsfall ist für den Schutz des Betreuten zu entscheiden.

In § 1904 Abs. 5 BGB wird schließlich festgelegt, dass es für den Bevollmächtigten keine Genehmigungspflicht durch das Vormundschaftsgericht gibt.

Rosemarie Will
ist Professorin für Öffentliches Recht und
Bundesvorsitzende der Humanistischen Union

Geltende Fassung des § 216 Straf­ge­setz­buch

§ 216 Tötung auf Verlangen
(1) Ist jemand durch das ausdrückliche und ernstliche Verlangen des Getöteten zur
Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf
Jahren zu erkennen.
(2) Der Versuch ist strafbar.

Alter­na­tiv­vor­schlag der Straf­rechts­lehrer (1984)

§ 216 Tötung auf Verlangen
1. Ist jemand durch das ausdrückliche und ernsthafte Verlangen es Getöteten zur Tötung bestimmt worden, so ist auf Freiheitsstrafe von sechs Monaten bis zu fünf Jahren zu erkennen.
2. Das Gericht kann unter den Voraussetzungen des Abs. 1 von Strafe absehen, wenn die Tötung der Beendigung eines schwersten vom Betroffenen nicht mehr zu ertragenden Leidenszustandes dient, der nicht durch andere Maßnahmen behoben oder gelindert werden kann.
3. Der Versuch ist strafbar.

Vorschlag von Ullrich Klug (1984)

§216 Tötung auf Verlangen
(1) und (2) wie bisher.
(3) Der Täter handelt dann nicht rechtswidrig, wenn er die Tat begangen hat, um einen menschenwürdigen Tod herbeizuführen.
(Deutscher Bundestag, Protokoll des Rechtsausschusses 10/51, S. 145 – Wahlperiode 1983-1987)

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