Publikationen / Mitteilungen / Mitteilungen Nr. 197

Ein Bündnis der Angst?

Mitteilungen19707/2007Seite 10

Die bürgerrechtlichen Kritiker tun Wolfgang Schäuble einen Gefallen. Sie unterstreichen seine Selbststilisierung als starker Innenminister und schüchtern teilweise selbst die Bürger ein.

Mitteilungen Nr. 197, S. 10

Wolfgang Schäubles Versprechen ist hohl. Selbst wenn alle von ihm vorgeschlagenen Maßnahmen (vom polizeilichen Zugriff auf die Maut-Daten bis zur heimlichen Ausspähung von Computern) auf einmal verwirklicht würden, hätte dies keine relevante Auswirkung auf die Sicherheitslage im Land. Keiner von Schäubles Plänen ist dringend erforderlich oder auch nur naheliegend. Es könnte also auf alle verzichtet werden.

Wir sollten uns an die 90er-Jahre erinnern. Damals wurde mit viel Getöse der Große Lauschangriff eingeführt, also die Wohnraumüberwachung mittels Wanzen. Nur so könne man die Strukturen der organisierten Kriminalität aufklären, hieß es damals. Gemessen an dieser Propaganda, gab es den Lauschangriff dann doch recht selten, etwa 30 mal pro Jahr, vor allem bei ungeklärten Mordfällen. Es ist zwar schön, dass die Polizei das neue Instrument so zurückhaltend einsetzte, die Zahlen zeigen aber, dass sie es eigentlich nicht brauchte.

Mit anderen heiß umstrittenen Maßnahmen ist das nicht anders. Rasterfahndungen gab es in den letzten 30 Jahren genau zwei Mal, beide waren Fehlschläge. Als in Niedersachsen das präventive Abhören von Telefonen eingeführt wurde, nutzte die Polizei es in eineinhalb Jahren nur vier Mal. Und bevor der Bundesgerichtshof die Online-Durchsuchung von Computern vorerst stoppte, gab es ganze vier Anträge der Polizei.

Die lautesten Debatten werden also oft um Befugnisse geführt, die in der Praxis die geringste Bedeutung haben. Aber das scheint das unausgesprochene Bündnis zwischen Innenminister und Bürgerrechtlern zu sein: Der eine spielt den starken Max, und die anderen sind auf Kommando empört. Darüber könnte man schmunzeln, wenn dabei nicht beide Seiten versuchten, die Öffentlichkeit unnötig einzuschüchtern. Der Innenminister mit der Terrorbedrohung und die Bürgerrechtler mit der Angst vor Big Brother.

Denn so überflüssig Schäubles Vorschläge sind, so übertrieben ist auch die wilde Sorge vor ihnen. Schließlich droht trotz des beeindruckenden Schäuble-Katalogs keine permanente „Rundumüberwachung“. Niemand könnte mit allen verfügbaren Befugnissen gleichzeitig überwacht werden. So etwas dürfte und würde kein Gericht genehmigen. Es geht vielmehr um eine Ergänzung des gesetzlichen Instrumentenkastens. Die Polizei hätte also vor allem mehr Auswahl, wie sie gegen einen konkret Verdächtigen ermitteln will.

Der Schutz der Intimsphäre wurde in den letzten Jahren sogar gestärkt. Reine Privatgespräche mit Familie und engen Freunden dürfen nicht mehr abgehört oder ausgewertet werden, entschied das Bundesverfassungsgericht, weder in der Wohnung noch am Telefon. Diese Vorgabe gälte natürlich auch bei der geplanten heimlichen Ausspähung von Computern. Es ist auch nicht richtig, dass der Staat damit zum ersten Mal Zugriff auf private Festplatten nehmen kann. Bei jeder Hausdurchsuchung konnte er einen Computer beschlagnahmen oder die Festplatte kopieren. Es wurde also auch bisher darauf vertraut, dass die Polizei nur die Mails und Dateien liest, die sie für die Strafverfolgung braucht.

Wie aber ist das mit dem „Generalverdacht“, unter den die gesamte Bevölkerung nun vermeintlich gestellt wird. Auch das ist eine unglückliche Formulierung. So werden bei der geplanten Vorratsspeicherung zwar Telefon- und Internetprovider gezwungen, Verbindungsdaten zu speichern („wer spricht mit wem wie lange“), die sie in Zeiten der Flatrates eigentlich gar nicht mehr bräuchten. Mit dieser Zwangsspeicherung ist aber gerade kein Verdacht verbunden. Die Daten bleiben beim Provider, und die Polizei kann nur bei konkreten Ermittlungen darauf Zugriff nehmen.
Grundsätzlich aber ist es gut, wenn die Polizei ihre Arbeit macht. Und falls neue Methoden erlauben, Täter schneller und effizienter zu identifizieren, wäre das ein Argument für diese Methoden und nicht dagegen. Manche Kritiker der neuen Gesetze erwecken den Eindruck, als lebten wir in einer Diktatur, in der die Polizei automatisch auf der anderen Seite steht.

Viel wichtiger als die Diskussion um Polizeimethoden ist aber die Sicherung innerer Toleranz. Solange religiöse, sexuelle und politische Minderheiten ihre Vorlieben ausleben und kommunizieren können, ist ein wirklich autoritärer Staat noch fern. London ist die Stadt mit den meisten Video-Kameras, aber es ist eine freie Stadt, weil es eine tolerante Stadt ist.

Das Bundesverfassungsgericht hat 1983 in seinem Volkszählungsurteil die Befürchtung geäußert, dass die Bürger nicht mehr von ihren Freiheiten Gebrauch machen, wenn sie zu sehr überwacht werden. Das Kriterium ist richtig. Wenn die Menschen eingeschüchtert sind, hat die Demokratie ein Problem. Noch ist die ganz große Zahl der Menschen in Deutschland aber nicht eingeschüchtert, sie gehen sogar so sorglos mit ihren Daten um, dass Datenschützer wütend werden.

Aber eigentlich ist das ein gutes Zeichen. Gibt es einen besseren Vertrauensbeweis für die Demokratie als leichtsinnige Bürger? Es wäre doch ein Treppenwitz der Geschichte, wenn gerade Bürgerrechtler und Datenschützer aus hedonistischen Luftikussen noch verschüchterte Duckmäuser machen. Überzogene Warnungen vor dem Polizeistaat sind für die Demokratie fast so gefährlich wie exzessive Überwachungsfantasien.

Christian Rath
ist rechtspolitischer Korrespondent der taz und anderer Zeitungen sowie seit Anfang der 90er-Jahre Mitglied der Humanistischen Union.

Der Beitrag erschien in zuerst in der tageszeitung vom 20.  April 2007.

nach oben