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2. Diskus­si­ons­bei­trag

Mitteilungen03/2000Seite 13-14

Mitteilung Nr. 169, S. 13-14

Über Wochen und Monate erschien auf meine Internetabfrage zum Stichwort „Humanistische“ „Keine passenden Artikel gefunden“. D. h. von der HU ist nichts in den Zeitungen zu lesen. Als ich dann am 16.11.1999 in der Berliner Zeitung fündig wurde, stimmte mich das auch nicht froher: „Eine Freigabe der Pornografie und aller freiwilligen sexuellen Handlungen hat die Humanistische Union gefordert.“  Am 13.12.1999 vertrat Herr Hanke als „Bundesvorstand der Humanistischen Union“ die Pro-Pornografie-Position im selben Blatt.

Das wirft eine Reihe von Fragen auf:

1. Wann wurde von welchem Gremium die „Freigabe der Pornografie und aller freiwilligen sexuellen Handlungen“ als HU-Position festgestellt? Handelt es sich um einen Beschluß des Bundesvorstands? Das könnte das Protokoll der BuVo-Sitzung vom 14.11.1999 vermuten lassen, wo von einer Besprechung der „aktuellen Pressemitteilung“ zur Tagung „Pornografie und Jugendschutz“ die Rede ist.

2. Für welche Pornografie wünscht Herr Hanke bzw. „die Humanistische Union“ eine Freigabe? Gelegentliche Blicke auf Zeitschriftenstände und Besuche einer Videothek sowie manche anderen Erfahrungen hatten mich in dem Glauben leben lassen, es sei so ziemlich alles legal käuflich zu erwerben, was sich auf diesem Gebiet denken läßt. Ich wüßte gern präzise, wo das Grundrecht auf Pornografie mit Füßen getreten wird.

3. Herr Hanke beruft sich auf „wissenschaftliche Untersuchungen“. Daß ich sie nicht kenne, mag an mir liegen. Ich wage aber zu bezweifeln, daß eine seriöse Untersuchung in dieser Pauschalität und Monokausalität den Zusammenhang Freigabe von Pornografie = Rückgang von Vergewaltigungen behauptet, wie das von Herrn Hanke dargestellt wird, schon allein weil Vergewaltigung weit weniger die aggressive Variante von Sexualität als vielmehr die sexuelle Form von Aggression ist. Ich kenne allerdings eine ganze Reihe von Arbeiten zur Therapie mit Sexualstraftätern (z.B. von Lorenz Böllinger und Hartwig Lohse), die jeder und jedem deutlich machen müßten, wie verfehlt bei dieser Thematik einfache Antworten und Kausalitäten sind, heißen sie nun „Schwanz ab“ oder „Schuld ist nur die Sexualunterdrückung“. Es ist mir auch kein Therapieansatz für Sexualstraftäter bekannt, bei dem diesen Pornos gezeigt würden, um die Rückfallgefahr zu senken – was ja eine einfache und billige Methode wäre, wenn die These von Herrn Hanke stimmen würde.

4. Seit sich herumgesprochen hat, daß auch Wissenschaft interessengeleitet ist, hat der Spruch „Die Wissenschaft hat festgestellt…“ beträchtlich an Glanz eingebüßt. Bei dem der Pornografiefreigabe durchaus vergleichbaren Thema „Gewaltdarstellung“ brachten die VertreterInnen der „Dampfkesseltheorie“ wissenschaftliche Untersuchungsergebnisse, daß Gewaltfilme die Aggressionen abbauen, VertreterInnen der „Lernen-am-Modell“-Theorie verwiesen auf gegenteilige Untersuchungsergebnisse. Muß ich damit rechnen, daß sich die HU demnächst in Verteidigung der „Freiheit“ und mit Berufung auf wissenschaftliche Untersuchungen für mehr Gewaltdarstellungen in den Medien einsetzt?

5. Genauso undifferenziert wie die Forderung nach Freigabe „der“ Pornografie ist die Aussage, „natürlich“ würde man generelle Straffreiheit nur für freiwillige sexuelle Handlungen fordern. Gunter Schmidt, gewiß der Sexualfeindlichkeit nicht verdächtig, hat in seinem Aufsatz „Über die Tragik pädophiler Männer“ dieses Problem der – scheinbaren – Freiwilligkeit in sexuellen Beziehungen von Kindern mit Erwachsenen mit der gebotenen Sorgfalt und Unaufgeregtheit dargelegt (Zeitschrift für Sexualforschung 2/99 S. 132 -139). Die einfache Aussage „der/die macht das ja freiwillig“ geht nur zu oft an der Wahrheit vorbei.
Wenn das so einfach wäre mit der Freiwilligkeit – sogar mit der subjektiv so empfundenen – könnte man sich z.B. Überlegungen sparen, wie „freiwillig“ die freiwillig geleisteten unbezahlten Überstunden sind, die inzwischen ganz selbstverständlich erwartet werden. Wie „freiwillig“ ist Kinderarbeit in Entwicklungsländern? Wie „freiwillig“ tragen Frauen im Iran den Tschador? Wie ist das, wenn die ArbeiterInnen in Atomkraftwerken für den Erhalt ihres Arbeitsplatzes streiken und die VerbraucherInnen im Bewußtsein ihrer kommerziellen Freiheit den Stromlieferanten wählen, der dank Atomstrom am billigsten ist? Wenn der Bauer „freiwillig“ gentechnisch verändertes Saatgut anbaut und der Verbraucher „freiwillig“ gentechnisch veränderte Lebensmittel ißt, weil man ja schließlich nicht die „Kommerzialisierung fast aller Lebensbereiche“ ausblenden darf, wie Herr Hanke meint?
Woher nimmt die HU das Recht, gegen Lauschangriff, gegen Ausweitung der Rechte der Polizei zu kämpfen, wenn die Mehrheit der Bevölkerung diese Maßnahmen nicht nur völlig „freiwillig“ hinnimmt, sondern sie sogar befürwortet?

Weg mit Einschränkungen für Parteispenden! Denn mit dem Vorwurf illegaler Spendenpraxis kann man mißliebige Politiker ausschalten! Ist das die Logik von Herrn Hanke, wenn er argumentiert: Weg mit Einschränkungen für Pornografie, denn mit dem Pornographievorwurf kann man „politisch mißliebige Äußerungen“ unterdrücken?
„Für den Bürgerrechtler“ schließt sich laut BuVo-Mitglied Hanke damit „der Kreis“. Für die Bürgerrechtlerin könnte sich allerdings die Frage stellen – und zwar keineswegs nur wegen des antifeministischen Zungenschlags der Veröffentlichung in der BZ – , in was für einen Kreis sie da als HU-Mitglied geraten ist.

Im Moment bereite ich eine Veranstaltung zur Kriminalitätsprävention bei Jugendlichen vor. Als Mitveranstalter konnte ich den Kinderschutzbund gewinnen. Ich bin nur froh, daß Berlin weit ist und die Berliner Zeitung hier nicht gelesen wird. Ich wäre ausgesprochen dankbar, wenn ich von dieser Sorte unterstützender Pressearbeit verschont bliebe. Es ist mir klar, daß man mit Pornografie leichter in die Zeitung kommt als mit spröderen Themen. Es ist mir auch klar, daß in einer Zeitung eine differenzierte Argumentation  zwangsläufig verkürzt wird. Aber genau das sollte anderen Leuten, insbesondere dem für die Pressearbeit zuständigen BuVo-Mitglied auch bewußt sein. Genauso, wie bewußt sein müßte, welcher Personenkreis von dergleichen griffig formulierten Forderungen angesprochen wird und welche man damit irritiert. Ich für meine Person verspüre nicht die geringste Neigung, demnächst gefragt zu werden: „Ah, Humanistische Union? Das sind doch die, die sich für Pornografie und Sex mit Kindern stark machen!“
Ursula Neumann

Dipl.-Psych. Ursula Neumann
Trottbergstr. 13
77704 Oberkirch-Bottenau

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