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Ansprache zur Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises

Mitteilungen09/2001Seite 68-69

Mitteilungen Nr. 175. S. 68-69

Ansprache des Bundesvorsitzenden der HUMANISTISCHEN
UNION Dr.Till Müller-Heidelberg zur Verleihung des Fritz-Bauer-Preises am 10. Juni 2001

(…) ich begrüße Sie alle ganz herzlich zur Verleihung des
Fritz-Bauer-Preises 2001 an die Erstunterzeichner der
Anzeige in der taz vom 21.April 1999 mit dem „Aufruf an
alle Soldaten der Bundeswehr, die am Jugoslawienkrieg
beteiligt sind: Verweigern Sie Ihre weitere Beteiligung an
diesem Krieg (…)“.
Heute vor zwei Jahren endete der erste Krieg, den
Deutschland nach über einem halben Jahrhundert der Friedensverpflichtung
geführt hat: Der Kosovo-Krieg. Ebenfalls
heute – vor 19 Jahren, nämlich 1982 – fand die zentrale
Friedensdemonstration in Bonn statt, die größte Demonstration,
die die Bundesrepublik je erlebt hatte; unter den
300.000 für den Frieden und gegen Militarisierung
Demonstrierenden befanden sich neben einigen unserer
heutigen Preisträger auch zahlreiche heutige Regierungsmitglieder.
Wie sich doch die Zeiten ändern! Sie sehen, wir
haben den heutigen Tag zur Verleihung des diesjährigen
Fritz-Bauer-Preises nicht ohne Bedacht gewählt.
Der heute verliehene Preis ist benannt nach dem früheren
hessischen Generalstaatsanwalt Fritz Bauer, der zu den
Mitbegründern der ersten Bürgerrechtsorganisation in
Deutschland, der HUMANISTISCHEN UNION, gehörte. Er wird
verliehen an unbequeme und unerschrockene Frauen und
Männer, die sich besonders für Gerechtigkeit und Menschlichkeit
eingesetzt haben.Wieso ist ein solcher Preis benannt
nach einem Generalstaatsanwalt? Wieso wird er
heute erstmals an eine Gruppe verliehen? Was haben die
heutigen Preisträger mit ihren Vorgängerinnen und Vorgängern
(…) gemeinsam, was preiswürdig ist? (…)
Fritz Bauer wurde 1933 wegen seiner Nazigegnerschaft aus
dem Justizdienst entlassen, während die große Masse der
deutschen Richterschaft mit den neuen Machthabern gut zurecht
kam.Fritz Bauer fiel aus dem Rahmen.Auch als er 1961
zu den Mitgründern der HUMANISTISCHEN UNION gehörte,war
dies nicht gerade typisch für einen deutschen Staatsanwalt.
Ebensowenig, als er mit Energie und gegen viele Widerstände
in Frankfurt den Auschwitz-Prozeß durchsetzte – nicht
um die Schuldigen zu bestrafen, sondern um einen Strafprozeß
als Instrument der
Aufklärung, der gesellschaftlichen Entwicklung zu benutzen.
Deshalb verleiht die HUMANISTISCHE UNION den Fritz-Bauer-
Preis an Frauen und Männer, die aus dem Rahmen fallen, die
gegen den Strich bürsten, die ihrem Gewissen folgen, die
sich für Gerechtigkeit und Menschlichkeit einsetzen –
schlimm genug, daß dies häufig schon automatisch als aus
dem Rahmen fallend gilt.
Mit überwältigender Mehrheit hat der Deutsche Bundestag
den Kosovo-Krieg gebilligt. Ich will mich nicht vertieft zu
diesem Krieg, zu seinen Voraussetzungen, zu seinen Folgen
äußern. Das werden der Laudator Dr. Hans-Joachim Gießmann
und für die Preisträger Dr. Elke Steven tun. Ich begnüge
mich insoweit mit einem Zitat von Willy Wimmer,
Stellvertretender Vorsitzender der Parlamentarischen Versammlung
der NATO:„Noch nie haben so wenige so viele so
gründlich belogen wie im Zusammenhang mit dem Kosovo-
Krieg.“ Gegen die damalige Stimmung haben unsere heuti
Soldaten
der Bundeswehr, die am Jugoslawien-Krieg beteiligt
sind, mit der Aufforderung, ihre Beteiligung an diesem Krieg
zu verweigern, entworfen und in der tageszeitung vom
21. April 1999 veröffentlicht. Sie fühlten sich ihrem Gewissen
verpflichtet. Sie hielten das Eintreten für ihre Überzeugung
und für Völker- und Verfassungsrecht für wichtiger
als persönliche Nachteile, die voraussehbar waren und die
eingetreten sind: Anklagen und Strafverfahren. Zwar hatte
auch die HUMANISTISCHE UNION seit Sommer 1998 mehrfach
vor dem drohenden Militäreinsatz im Kosovo gewarnt, sich
an Bundestag und Parteigremien gewandt, und auch andere
Persönlichkeiten und Gruppierungen vertraten dieselbe Auffassung.
Aber im Frühjahr 1999 waren es doch wenige, die
öffentlich bemerkbar gegen diesen Angriffskrieg Position
bezogen. Das Wort von Christian Morgenstern erwies sich
wieder einmal als richtig: „Die zur Wahrheit wandern,
wandern allein.“
Die Suche nach dem jeweiligen Fritz-Bauer-Preisträger is
langwierig und schwierig, manchmal quälend.Viele Namen
werden abgewogen.Aber als ich in den Weihnachtstagen des
Jahres 2000 den Rechtsprechungsreport Nr. 1 der IALANA
(Juristen und Juristinnen gegen atomare, biologische und
chemische Waffen. Für gewaltfreie Friedensgestaltung) las
mit u.a. dem Urteil des Amtsgerichts Tiergarten vom 2. März
2000, mit dem unser heutiger Preisträger Dr. Christidis
als einer der Erstunterzeichner freigesprochen wurde und
mit der verfassungsrechtlichen Einschätzung des Kosovo-
Krieges durch den ehemaligen Bundesverfassungsrichter
Dr. Helmut Simon auf der Tagung in Bad Boll, fiel es mir und
den Mitgliedern des Bundesvorstandes der HUMANISTISCHEN
UNION wie Schuppen von den Augen: Diese Erstunterzeichner
der taz-Anzeige sind die würdigen Fritz-Bauer-Preisträger
des Jahres 2001. Sie sind gegen die veröffentlichte
allgemeine Meinung aufgestanden, sie sind ihrem Gewissen
gefolgt, sie haben den Kampf um Verfassung und Völkerrecht,
der wesentlicher Teil jeder Bürgerrechtsarbeit sein
muß, aufgenommen, sie haben sehenden Auges
persönliche Nachteile in Kauf genommen und
sich nicht bereit erklärt, sich verbiegen zu lassen.
Dies ist das Gemeinsame der Fritz-Bauer-Preisträger
seit über 30 Jahren. Es ist, wie die mittlerweile
schon traditionelle Formulierung anläßlich der
Preisverleihung lautet, „das Einstehen für den demokratischen
Rechtsstaat, aber auch das Wissen,
daß es nicht reicht, sich an die Formen des
Rechts zu halten, sondern daß Menschlichkeit
und das Streben nach Gerechtigkeit hinzukommen
müssen, daß der Gesetzesvollzug nicht
genügt, sondern daß man mit dem Herzen dabei
sein muß. Das Gemeinsame ist das Streben, eine
gerechte menschliche Gesellschaft zu schaffen.“
Die von uns geehrten 28 Erstunterzeichner des
Aufrufs in der taz vom 21.April 1999 sind nicht
die einzigen, die standhaft geblieben sind, die
Nachteile für ihre Position in Kauf genommen
haben. Neben ihnen gibt es Zweitunterzeichner
der Anzeige, die dieselben Nachteile erleiden
müssen, und darüber hinaus viele preiswürdige
Personen mit gleicher Position.Wir können nicht
alle auszeichnen. Wir mußten uns für eine abgrenzbare
Gruppe entscheiden, nämlich die Erstunterzeichner. Alles
andere wäre willkürlich. Aber wir ehren selbstverständlich
mit diesen Preisträgern stellvertretend auch alle anderen, die
ebenso eingetreten sind für Friedensstaatlichkeit, für Verfassungs-
und Völkerrecht – und damit für die Menschenrechte.
Wenn sie – wie einer der Preisträger es formulierte in seinem
Dankesbrief – diesen „Preis eher als Ansporn denn als
Ehrung für eine Leistung in der Vergangenheit“ sehen, so
entspricht dies durchaus unserer Intention (…)

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