Publikationen / Mitteilungen

Ausschnitt aus der Rede von Dr. Till Müller-Hei­del­berg

Mitteilungen12/2001Seite 102

Mitteilungen Nr. 176 S. 102

[…] Ab den siebziger Jahren sind Gegenstand der Aufmerksamkeit der HU maßgeblich die Sicherheitsapparate der Bundesrepublik Deutschland, die die Freiheitsrechte der Bürger bedrohen.
Der Extremismusbeschluß vom 28.1.1972 leitet die Praxis der „Berufsverbote“, die nun Jahrzehnte lang die Diskussion beherrscht und ein unrühmliches deutsches Lehnwort in fremden Sprachen wird. In insgesamt 3,5 Mill. Fällen wird die sog. Regelanfrage bei den Verfassungsschutzämtern durchgeführt. Bereits im Geburtsjahr des „Radikalenerlasses“ hatte der Verbandstag der Humanistischen Union seine Verfassungswidrigkeit festgestellt. Für mich […] war […] völlig klar, daß […] spätestens das Verfassungsgericht, diesen Beschluß und die Praxis für verfassungswidrig erklären würde. Wir wurden enttäuscht, auch vom BVerfG. Erst 1996 stellte die Große Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte letztinstanzlich fest, daß hierin ein Verstoß gegen die Menschenrechte der Meinungs- und Vereinigungsfreiheit zu sehen ist.
In der Auseinandersetzung mit den Linksterroristen der RAF bezieht die Humanistische Union in spezifischer Weise Position. Wer auch nur nach der Motivation der RAF-Mitglieder fragte, wer auch nur ihr Verhalten zu verstehen (nicht zu rechtfertigen) versuchte, wurde von der Öffentlichkeit mit dem politischen Kampfbegriff des „Sypathisanten“ belegt und stigmatisiert. […] [A]m 9. September 1977 [schreibt die Humanistische Union] an den damaligen Bundespräsidenten Walter Scheel einen offenen Brief, in dem eine rationale Überprüfung des Sympathiesantenbegriffs eingefordert und der Präsident gebeten wird, das Gewicht seines Amtes und das Ansehen seiner Person für die Bewahrung der politischen und geistigen Freiheit in der Bundesrepublik einzusetzen. Bundespräsident Walter Scheel hat sich über weite Strecken die Argumentation der HU zu eigen gemacht. In seiner Ansprache beim Staatsakt für Hanns Martin Schleyer in Stuttgart am 25. Oktober 1977 nannte er einerseits deutlich die aktiven Helfer und Propagandisten der Gewalt und des Terrors beim Namen, distanziert sich jedoch gleichzeitig von den verheerenden Folgen des überbordenden Sympathiesantenbegriffs. „[…] Haben diejenigen, die die Terroristen geistig oder materiell unterstützen, überhaupt noch nicht begriffen, was eine demokratische Lebensordnung ist, so haben diejenigen, die auf der menschlichen Würde auch des Terroristen bestehen, die Demokratie zu Ende gedacht.“ […]

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