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Brief­wechsel in Sachen Straf­vollzug

Mitteilungen09/2000Seite 61-62

Mitteilung Nr. 171, S. 61-62

Brief an Justizminister K. Schelter, Potsdam (15.03.2000)

Sehr geehrter Herr Minister,
seit 10 Jahren bin ich für die „Nothilfe Birgitta Wolf e.V.“ ehrenamtlich in der Gefangenenbetreuung tätig. Derzeit tausche ich Briefe mit 6 Inhaftierten in verschiedenen JVAen, und Besuche erfolgen auch. Da ich mich für Langstrafer entschieden habe, kann ich die Entwicklung einzelner Häftlinge gut verfolgen – einen Bauzener betreue ich schon 8 Jahre, zwei Brandenburger 5 Jahre. Immer wieder stelle ich fest, dass ein bisschen menschliche Zuwendung kleine Wunder bewirken kann. Ich beobachte z.B., wie der Pfarrer Johannes Drews in der JVA Brandenburg für Häftlinge in aller erster Linie Mensch ist. Ihm vertrauen sie. Wie man in einen Wald hereinruft, so schallt es heraus. Und Druck erzeugt Gegendruck. Was sich zur Zeit in einigen deutschen Gefängnissen abspielt, hat nichts mehr mit der Umsetzung des Strafvollzugsgesetzes zutun. Die Inhaftierten sind zu Freiheitsentzug verurteilt – das ist in Ordnung, denn sie haben gegen die Gesetze verstoßen. Sie sind aber nicht verurteilt zu Demütigung, Kränkung, Beleidigung, Entmündigung.
Ich bin Vollzugshelferin in der JVA Tegel, Haus 5 und leite dort zwei Gruppen. Dort leben Langstrafer im wohngruppenähnlichen Vollzug. Es herrscht nicht annähernd so viel Frust wie in anderen Häusern. Natürlich ist mir klar, dass nicht jeder Häftling dafür geeignet ist – aber für die Geeigneten könnte es man doch wenigstens versuchen. Dort sind Kartentelefone ständig benutzbar – in Brandenburg, Haus 4 z.B. ist Telefonieren nur nach Anmeldung, mit einem Beamten im Rücken, zeitlich begrenzt möglich. Glauben Sie, dass das resoziali-sierend ist? Über Vorkommnisse im Arrest rede ich gar nicht erst.
Sie, Herr Minister, unterstützen die Forderung einiger Leute, unter 14-jährige Straftäter in geschlossene Heime zu sperren, mit den Worten: „Und ich habe dafür Verständnis.“
Wissen Sie, in was für Bedingungen diese Kinder hineingeboren werden – ungewollt, ungeliebt, umhergestoßen?
Glauben Sie, dass diese Kinder in geschlossenen Heimen besser werden? Noch etwas – für die Sicherheit in Gefängnissen wurde in letzter Zeit eine Menge Geld ausgegeben. Die zweite Mauer, wenige Meter hinter der ersten, in der JVA Brandenburg ist in meinen Augen ein Witz. So viel ich weiß, ist über diese Mauer noch nie jemand entwichen. Besser wäre es, das Geld würde in die Ausbildung und Bezahlung von Sozialarbeitern gesteckt und Therapeuten erhielten eine angemessene Bezahlung.
Dass Sie der Firma Villmann in Brandenburg gekündigt haben, zeigt mir ebenfalls, dass Sie am falschen Ende sparen, weitere 45 Häftlinge sitzen 23 Stunden weggesperrt und können auf Rache sinnen. Arbeit ist für Häftlinge das Wichtigste überhaupt. Glauben Sie, mit solchen Maßnahmen die Durchsetzung der Verordnung zur angemessenen Bezahlung von Inhaftierten begegnen zu können? Freizeitangebote sind gering und deren Entzug wird massiv zur Bestrafung eingesetzt.
Da ich für die Humanistische Union Gefangenenbriefkontakte bundesweit vermittle, weiß ich, dass in vielen JVAen Zustände herrschen, die eine Geiselnahme praktisch herausfordern. Und die Masse der Verantwortlichen beugt sich dem Druck der durch überzogene Darstellungen der Medien geschürten Meinung der Öffentlichkeit. Gut, dass es Ausnahmen gibt. In Norddeutschland hat ein Gefängnisleiter kürzlich das Handtuch geworfen, weil er die Zustände im Vollzug nicht mehr verantworten konnte. Auch Herr Höflich hat, wie ich gerade las, aufgegeben – aus welchen Gründen auch immer. Birgitta Wolf, die Sie vielleicht aus Bayern kennen, hat einmal gesagt, wenn ein Staat seine Betrüger betrügt (z.B. Lohn), und seine Mörder tötet (z.B. durch endlose Strafen), dann ist er nicht besser als seine Täter.
Sehr geehrter Herr Minister, ich bitte Sie, Ihre Einstellung zum Strafvollzug zu überdenken. Gegen die Anwendung der Gesetze gibt es nichts zu sagen. Aber Gerechtigkeit und Menschlichkeit dürfen dabei nicht auf der Strecke bleiben.

Mit freundlichem Gruß
Helga Engel

Antwort von Minister Schelter auf den Brief von Helga Engel:

Sehr geehrte Frau Engel,
vielen Dank für Ihr Schreiben vom 15. März 2000. Einige der von Ihnen angesprochenen Vollzugsbedingungen, die Ihnen in Ihrer Tätigkeit als ehrenamtliche Vollzughelferin aufgefallen sind, möchte ich im Folgenden aufgreifen.
Zunächst möchte ich betonen, dass ich das Engagement und den Arbeitseinsatz ehrenamtlicher Mitarbeiter im Vollzug begrüße. Der Kontakt inhaftierter Menschen zu externen Mitarbeitern stellt eine wichtige Grundlage auf dem Weg zur Wiedereingliederung dar. In dem Bemühen, sich für die Rechte und Belange von Gefangenen einzusetzen, darf jedoch die vollzugliche Seite, nämlich der im Strafvollzugsgesetz verankerte Auftrag, die Sicherheit der Allgemein-heit zu schützen, nicht aus dem Blickfeld verloren werden.
So ist es zum Beispiel in einer Justizvollzugsanstalt mit notwendig hohem Sicherheitsstandard wie der JVA Brandenburg a.d.H. mit den Sicherheitsanforderungen nicht vereinbar, Gefangene ungehindert Telefonate führen zu lassen. Neben anderen Gründen stehen auch Sicherheitsüberlegungen der Fortführung des Arbeitseinsatzes von Gefangenen bei dem Unternehmerbetrieb Villmann entgegen. Die aus dem dort vorzufindenden Arbeitsfeld resultierenden unzähligen Möglichkeiten, gefährliche Gegenstände in den Vollzug einzubringen, machten diese Arbeitsplätze ungeeignet für Gefangene des geschlossenen Vollzuges.
Es trifft auch zu, dass kleine, überschaubare Vollzugseinheiten, wie sie zum Beispiel zum Wohngruppenvollzug gehören, zu einer Entspannung im vollzuglichen Alltag beitragen. Hier befindet sich der Strafvollzug im Land Brandenburg noch in der Entwicklung. In einigen Bereichen sind Wohngruppen bereits eingerichtet worden.
Insgesamt befindet sich der Strafvollzug in einem ständigen Prozess der Umgestaltung, indem einerseits die Bedingungen des Freiheits-entzuges verbessert, zugleich aber auch das Spannungsverhältnis zwischen dem Schutz der Allgemeinheit und der zweckmäßigen Öffnung des Vollzuges nach außen, in das Handeln einbezogen werden müssen. Ich würde mich freuen, wenn Sie diesen Aspekt auch im Rahmen Ihrer kritischen Begleitung des Strafvollzuges bei Ihrer Arbeit berücksichtigen und Verständnis für diese Seite des Strafvollzuges vermitteln würden.

Mit freundlichen Grüßen
Prof. Dr. Kurt Schelter

aus der Gefangenenzeitung der JVA Brandenburg „Unsere Zeitung“ 5/00

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