Ein Relikt aus der NS-Zeit: das Rechtsberatungsgesetz von 1935
Mitteilung Nr. 174, S. 45-46
Es ist schon merkwürdig: Einerseits gelten wir Deutschen als besonders gesetzesgläubig. andererseits hat uns die Entstehung unserer Gesetzesbücher nie besonders interessiert. Ein Gesetz, mit dessen Ursprung die Auseinandersetzung lohnt, ist das Rechtsberatungsmissbrauchsgesetz vom 13. Dezember 1935. Dieses Gesetz verbietet jede geschäftsmäßige Rechtsberatung und Rechtsbesorgung ohne Erlaubnis, gleichviel ob sie gewerblich oder unentgeltlich erfolgt. Die noch immer herrschende Meinung bejaht „Geschäftsmäßigkeit“ bereits dann, wenn der altruistisch handelnde Bürger sich bei einer einmaligen Beratung vornimmt, Mitbürgern, insbesondere sozial schwachen Menschen, seinen Rat auch künftig nicht zu versagen. Über die Beweggründe des NS-Gesetzgebers von 1935 wird gestritten. In den Augen der Befürworter des Gesetzes hatten die NS-Machthaber wohlmeinend neben dem Konkurrenz-schutz der Anwaltschaft und der „Sicherung der Reibungslosigkeit der Rechtspflege“ nichts anderes im Sinn, als gutgläubige Bürger „vor unqualifizierter Rechtsberatung“ zu bewahren. Nur rein zufällig sei das Gesetz zu einem Zeitpunkt ergangen, in dem die National-sozialisten ein Interesse daran hatten, kritische Einblicke durch nicht konzessionierte Bürger, insbesondere durch die aus ihren Berufen vertriebenen jüdischen und sonst politisch missliebigen Juristen in die Justiz- und Verwaltungspraxis des Unrechtsstaates zu verhindern. Diese Art, ein bis heute weltweit einzigartiges Gesetz zu „entnazifizieren“, ist allzu gutgläubig. Zu denken geben sollte bereits jene Ausführungsbestimmung, nach der Juden, insbesondere die jüdischen Juristen, von der Möglichkeit einer Erlaubniserteilung vollständig ausgeschlossen waren. Zwar ist diese antisemitische Regelung nach 1945 beseitigt worden. Gerade weil die Machthaber Beeinträchtigungen der „Reibungslosigkeit der Rechtspflege“ auch von anderer Seite befürchteten, haben sie aber auch alle nichtjüdischen Volljuristen in das Verbot einbezogen und sogar die uneigennützig geleistete Rechtsberatung unterschiedslos unter Strafe gestellt. Auch dies spricht dafür, daß es ihnen weniger um ein Verbot unzulänglicher Rechtsberatung durch irgendwelche Laien (sog. Winkeladvokaten) ging als darum, den jüdischen und aus sonstigen politischen Gründen aus Justiz und Anwaltschaft „entfernten“ Juristen die Möglichkeit zu nehmen, das erworbene Wissen durch, sei es auch unentgeltliche, Beratung anderer Bürger, gar durch Beratung von „Staatsfeinden“ anzuwenden. In den Ohren klingen sollten allen Verteidigern des Rechtsberatungsgesetzes auch jene unmaskierten Verlautbarungen von NS-Rechtsfunktionären, wonach „ein solches Gesetzgebungswerk im marxistisch-liberalistischen Parteienstaat eine völlige Unmöglichkeit gewesen wäre, das nur auf dem festen Boden nationalsozialistischer Weltan-schauung entstehen konnte und in jahrelanger Arbeit vorbereitet wurde von dem Bund National-Sozialistischer Deutscher Juristen“ (Raeke, Dienst am Recht, Juristische Wochenschrift 1936, S. 1). Zu den Merkwürdigkeiten der Rechtsgeschichte nach dem „Zusammenbruch“ von 1945 gehört es, daß das Rechtsberatungs-missbrauchsgesetz vom 13. Dezember 1935 – nunmehr unter der Bezeichnung Rechtsberatungsgesetz – in der Bundesrepublik unverändert, durch eine Gesetzesänderung von 1980 sogar noch verschärft, in Geltung geblieben ist, ganz im Unterschied etwa zu den vielen Gesetzesnormen der DDR, deren Außerkrafttreten in dem Überleitungsvertrag von 1990 geregelt worden ist. Mit Ausnahme einer kürzlich ergangenen Entscheidung des Landgerichts Dresden (Urteil vom 28. November 2000, Neue Justiz 2001, S. 150) hat bislang auch kein bundesdeutsches Gericht ernsthaft die Frage nach der Verfassungsmäßigkeit oder der Notwendigkeit einer verfassungskonformen Auslegung des Gesetzes gestellt.
Einen merkwürdigen Beitrag zu der noch immer rückständigen Auseinandersetzung mit der nationalsozialistischen Vergangenheit hat stattdessen kürzlich die Braunschweiger Justiz auf ihre Art geleistet: Ein pensionierter Jurist, Richter am Oberlandesgericht Helmut Kramer hatte (mit gerichtlicher Zulassung nach § 138 StPO!) unentgeltlich einen Pazifisten verteidigt, der wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz angeklagt war, weil er seinerseits Totalverweigerer verteidigt hatte. Am Ende seines Plädoyers hatte Kramer Anzeige gegen sich selbst erstattet, mit der Begründung – wie konnte es anders sein -, daß er Freunden und anderen Bürgern noch nie seinen rechtlichen Beistand verweigert habe, wenn diesen Unrecht gedroht habe. Helmut Kramer wurde tatsächlich vom Amtsgericht Braunschweig verurteilt. Eine unerlaubte „geschäftsmäßige Rechtsberatung“ sahen Staatsanwaltschaft und Amtsgericht u.a. darin, daß Kramer im Jahre 1990 die zunächst untätig gebliebene Staatsanwaltschaft Braunschweig dazu gebracht hatte, das Todesurteil des Sondergerichts Braunschweig gegen eine im Jahre 1944 hingerichtete junge Frau aufheben zu lassen. Anlaß zu dieser Selbstanzeige Kramers war die Beobachtung, daß das Rechtsberatungsgesetz in selektiver Anwendung immer wieder dann aus egoistischen Behördeninteressen missbraucht wird, wenn uneigennützig handelnde, rechtlich besonders versierte Bürger im Bestreben, ausländischen Flüchtlingen, Sozialhilfeempfängern und anderen sozial Schwachen oder sonst rechtlich Hilfsbedürftigen zu ihrem Recht zu verhelfen, Behörden genauer au die Finger sehen wollen. Wie sehr manche Juristen zum Missbrauch des Rechtsberatungsmissbrauchsgesetzes – so der ursprüngliche Name des Gesetzes – neigen, zeigt ein Fall aus Velbert: Dort hatte die Staatsanwaltschaft den bosnischen Bürgerkriegsflüchtling Elvedin Aliselovic aus Srebenica des „illegalen Grenzübertritts“ beschuldigt. Die Staatsanwaltschaft billigte dem Muslim zwar im Prinzip das Recht zur Flucht zu, machte den straflosen Übertritt in die Bundesrepublik indessen von der vorherigen Erlangung eines Visums abhängig. Einen Rechtsanwalt konnte der Flüchtling sich nicht leisten. Deshalb wurde er zu der Gerichtsverhandlung von einem Pfarrer – Mitglied einer Flüchtlingsinitiative – begleitet. Den verwies der Richter unter stillschweigender Berufung auf das Rechtsberatungsgesetz sogleich in den Zuschauerraum, um sodann den seines einzigen Fürsprechers Beraubten unter Androhung einer möglichen Strafschärfung dazu zu bringen, seinen Einspruch gegen den Strafbefehl zurückzunehmen (das Düsseldorfer Justizministerium hat übrigens die Verurteilung wieder rückgängig gemacht, wohl im Gnadenwege, nicht ohne indirekte Kritik an jener Art richterlichter Rechtsfindung). Unter der Robe eines Richters wird man nicht ohne weiteres Fremdenfeindlichkeit vermuten dürfen. Nur scheint es auch in der Justiz mitunter unterschiedliche Grade von ausländerfreundlicher Gesinnung zu geben. Und nimmt man den Gesamtbereich von Justiz und Verwaltung in den Blick, handelt es sich hier um keinen Einzelfall im Umgang mit Ausländern. Denn immer wieder hört man von Asylrechtskammern der Verwaltungsgerichte, die ehrenamtlich tätige Fürsprecher von Ausländern von der Verhandlung ausschließen, während andere Kammern der Notwendigkeit einer Kompensation der erhöhten Sprach- und Rechtsunkundigkeit von Ausländern Rechnung tragen. In anderen Fällen drohen Ausländerämter solch altruistischen Helfern mit Anzeigen wegen Verstoßes gegen das Rechtsberatungsgesetz. Ressentiments gegenüber Fremden sind also nicht auf Jugendgewalt beschränkt, sondern können sich in subtileren Formen äußern. Auch dem gilt es entgegenzutreten.
Was das Rechtsberatungsgesetz angeht, ist ein solches Verbot uneigennützigen Handelns ein Fremdkörper.
Detleff Prellwitz, stv. Bundesvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen und Juristinnen
Anmerkung der Red.:
Zur Problematik des Rechtsberatungsgesetzes und seiner Praxis hat der Oberlandesrichter i.R. (und HU-Mitglied) Dr. Helmut Kramer den Klageweg beschritten und inzwischen eine Verfassungsbeschwerde eingereicht (vgl. auch Mitteilungen Nr. 171, S. 68: Rechtswidrige Rechtsberatung v. Constanze Oehlrich). Zu diesem Thema sind in der letzten Zeit folgende Aufsätze erschienen: Karl-Heinz Lehmann: Ist das Rechtsberatungsgesetz zeitgemäß? in: Neue Justiz. Heft 7/2000: 337 ff.; Michael Kleine-Cosack: Vom Rechtsberatungsmonopol zum freien Wettbewerb. in: NJW Heft 22/2000: 1593 ff.; Klaus Hennemann: Disziplinierungsinstrument Rechtsberatungsgesetz. in: Betrifft Justiz, Heft 3/2000: 329 ff.; Egon Schneider: Das Rechtsberatungsgesetz auf dem Prüfstand. in: ZAP 2000: 1165 ff.; Theo Rasehorn: Zur Pönalisierung der informellen Rechtsberatung durch das RBerG. in: Deutsche Richterzeitung 2000: 442 ff.; Michael Kleine-Cosack: Erosion des Rechtsberatungsmonopols. in: Betriebsberater, Heft 30, 27.07.00 („Die Erste Seite“); Constanze Oehlrich: Reformiert das Rechtsberatungsgesetz! in: Forum Recht 2000: 123 ff.; Helmut Kramer: Die Entstehung des Rechtsberatungsgesetzes im NS-System und sein Fortwirken. in: Kritische Justiz 2000: 6000 ff.; Karl-Heinz Lehmann: Kommentar zu dem Urteil des Landgerichts Dresden vom 28. November 2000. in: Neue Justiz 2001: 150 f.
Die Verfassungsbeschwerde von Helmut Kramer steht im Internet und ist unter den folgenden Adressen abrufbar: www.dfg-vk.de/4_3/2000_2_a.htm oder www.betrifftjustiz/verfassungsbeschwerde/verf-erg.rtf
Die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristen (ASJ) verlangt inzwischen, daß die ehrenamtliche, kostenlose Rechtsberatung zugelassen wird. Der ASJ-Vorsitzende (und HU-Beirat) Dr. Klaus Hahnzog forderte Ende April, dieses Verbot im Rechtsberatungsgesetz aufzuheben, um vor allem ärmeren Bürgern damit zu helfen (taz v. 28.04.2001).