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Krieg zum Schutz von Menschen­rech­ten? Erwiderung zum Beitrag von Jürgen Roth

Mitteilungen03/2001Seite 12

„Anmerkungen zur Demokratisierung in Serbien“ in den HU-Mitteilungen IV/2000

Mitteilung Nr. 173, S. 12

Der Beitrag von Jürgen Roth mit der euphemistischen, die blutige Realität des Krieges verdrängenden Überschrift fordert zu einer Erwiderung geradezu heraus.

J. R. wirft den Kritikern und Kritikerinnen der NATO-Angriffe auf Jugoslawien vor, sie würden das Völkerrecht zum Recht der Regierenden über die Völker degradieren.
Obwohl er damit argumentiert, kennt er das moderne Völkerrecht offenbar kaum: Eine seiner wesentlichen Errungenschaften besteht darin, dass es dem alten Recht der Staaten, Kriege gegen andere Staaten zu führen, dem ius ad bellum, eine klare Absage erteilt und kriegerische Gewalt auf die in der UNO-Charta genau umschriebenen Ausnahmefälle begrenzt (die beim Jugoslawienkrieg unzweifelhaft nicht vorlagen). Das heißt nun mitnichten, dass es völkerrechtlich verboten sei, sich in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Gerade der internationale Einsatz für Menschenrechte ist eine solche zulässige „Einmischung“ – die Frage ist nur, mit welchen Mitteln dies geschieht. Wenn der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Türkei wegen der Anwendung der Folter verurteilt, ist das selbstverständlich eine zulässige Einmischung. Auch die Humanistische Union und andere Bürgerrechtsorganisa-tionen dürfen und müssen sich weltweit (und natürlich auch „zu Hause“) engagieren, um Menschenrechtsverletzungen zu verhindern.

Um auf die Menschenrechtsverletzungen des Milosevic-Regimes zu reagieren, gab es ein breites Arsenal von gewaltlosen Handlungs-möglichkeiten, die aber keineswegs konsequent genutzt wurden. Krieg hingegen ist ein untaugliches Mittel, um Menschenrechte durchzusetzen. Warum? – J. R. sollte sich glücklich schätzen, nicht selbst einen Krieg erlebt zu haben. Vielleicht wäre er sonst aus bitterer Erfahrung klüger und wüsste, dass Opfer der modernen Waffen, der Bomben und Raketen, gerade die Zivilbevölkerung ist, kaum aber jemals die für Menschenrechtsverletzungen Verantwortlichen. Unschuldige „zum Schutz der Menschenrechte“ zu töten, widerspricht jeglichen Rechtsgrundsätzen und ist auch ethisch verwerflich, selbst wenn man die Opfer zu „Kollateralschäden“ schönredet.
Darüber hinaus wird eine solche sogenannte „humanitäre Intervention“ in der Völkerrechtsliteratur weithin abgelehnt, weil sie eine wohlfeile Einladung für alle mächtigen Staaten wäre, andere Staaten anzugreifen – schließlich gibt es vielerorts bedrohte Minderheiten. Graue Theorie? – Keineswegs: Schon im 19. Jahrhundert intervenierten die europäischen Mächte im Osmanischen Reich vor allem unter dem Vorwand des „Schutzes christlicher Minderheiten“. Auch das Hitler-Regime berief sich 1939 zur Rechtfertigung der militärischen „Zerschlagung der Rest-Tschechei“ auf eine „humanitäre Intervention“ zugunsten der Sudetendeutschen. (Diese Beispiele und eine detaillierte Erörterung finden sich in dem Aufsatz des OVG-Richters und profunden Kenners der Materie Dieter Deiseroth, „Humanitäre Intervention“ und Völkerrecht, NJW 1999, S. 3084 ff.) –  Wie würde J. R. es beurteilen, wenn Russland in die Türkei einmarschiert, um der Kurdenverfolgung ein Ende zu setzen? – Das Beharren auf der strikten Begrenzung kriegerischer Gewalt auf die in der UN-Charta ausdrücklich geregelten Fälle ist also nicht „beckmesserisch“, wie J. R. meint, sondern entspringt humanistischer Vernunft als Konsequenz Jahrtausende langen Völkergemetzels.

Wie hieß es noch – ganz in diesem Sinne – in der Koalitionsverein-barung zwischen „rot/grün“ vom 20. Oktober 1998 im Abschnitt XI ? „Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik…Die Beteiligung deutscher Streitkräfte an Maßnahmen zur Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit ist an die Beachtung des Völkerrechts und des deutschen Verfassungsrechts gebunden. Die neue Bundesregie-rung wird sich aktiv dafür einsetzen, das Gewaltmonopol der Vereinten Nationen zu bewahren und die Rolle des Generalsekretärs der Vereinten Nationen zu stärken“. – Alles Schnee von gestern? Wie kurz doch das Gedächtnis ist, wenn man die Macht schmeckt!

Richtig peinlich wird der Beitrag von J. R., wenn er die „bösen“ Russen und Chinesen anprangert, weil sie im Weltsicherheitsrat gegen militärische Maßnahmen gegen Jugoslawien gestimmt haben, und sich dann stolz an die eigene Brust klopft: „Es ist ein Verdienst der deutschen EU-Präsidentschaft, die internationale Staaten-gemeinschaft endlich doch wieder in ihr Recht gesetzt zu haben“. Da ist es wieder: Das alte Feindbild („der Osten“) und nationalistische Überheblichkeit – hatten wir das nicht in der deutschen Geschichte bis zum Überdruss? Sind die GRÜNEN, für die J. R. im Bundestag arbeitet, als Regierungspartei inzwischen schon so weit mutiert, dass sie (auch) an diese alte und unselige Tradition anknüpfen, nachdem sie für viele Menschen eine Zeit lang Hoffnungsträger einer humanistischen Zukunftsperspektive waren? – Tempora mutantur, et Viridies in illis.

                                                      Prof. Dr. jur. Martin Kutscha, Berlin,
Bundesvorsitzender der Vereinigung Demokratischer Juristinnen und  Juristen e. V. (VDJ) und Mitglied im Beirat der Humanistischen Union 

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