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Plakativ oder philo­so­phisch?

Streitgespräch zwischen Michael Schmidt-Salomon und Joachim Kahl in Marburg

Religionskritische Veranstaltungen haben in Marburg während des Elisabeth-Jahrs 2007 Seltenheitswert. Das am 24. April veranstaltete Streitgespräch zum Thema „Religionsfreie Zone Marburg? Aktuelle und prinzipielle Fragen zu Religionsfreiheit und Religionskritik“ bildete da eine der wenigen Ausnahmen. Zum verbalen Schlagabtausch hatten der HU-Ortsverband Marburg und der Internationale Bund der Konfessionslosen und Atheisten (IBKA) eingeladen. Im Stadtverordneten-Sitzungssaal diskutierten der Marburger Philosoph Dr. Dr. Joachim Kahl und der Trierer Philosoph und Vorstandsvorsitzende der Giordano-Bruno-Stiftung (GBS) Dr. Michael Schmidt-Salomon.

Zu Beginn der Veranstaltung hatten beide Kontrahenten zunächst die Möglichkeit, ihre zentralen Positionen vorzustellen. Schmidt-Salomon machte den Anfang und stellte die von ihm initiierte Kampagne „religionsfreie Zone“ vor. Die Aktion rückte anlässlich des Welt-Jugendtags 2005 in Köln ins Bewusstsein einer breiteren Öffentlichkeit.
Schmidt-Salomon begründete seine Religionskritik damit, dass religiöse Konflikte im 21. Jahrhundert deutlich zunähmen und eine ernsthafte Bedrohung für den Weltfrieden darstellten. Er wies auf die herrschafts-stabilisierende Funktion des Glaubens hin und forderte die Abkehr vom Glauben an unantastbare Wahrheiten und ein entschiedenes Infragestellen von Heiligkeit. Die strikte Trennung von Kirche und Staat und die Durchsetzung nichtreligiöser Denksysteme nannte er als zentrale Ziele der Kampagne. Dabei verneinte er jedoch nicht die Religionsfreiheit des Einzelnen. Er betonte aber, Religion müsse Privatsache sein. Im öffentlichen Raum müssten weltliche Maßstäbe gelten. Schmidt-Salomons Vortrag zeigte schnell die auf öffentliche Wirkung angelegte Stoßrichtung der Aktion. So behauptete er, Gott könne als „imaginäres Alpha-Männchen“ verstanden werden. Zudem zitierte er Slogans wie „Heidenspaß statt Höllenqual“ oder „Glaubst du noch oder denkst du schon?“.

An der provokanten Ausrichtung dieser Kampagne setzte Kahl mit seiner Kritik an. Er bezeichnete die religionsfreie Zone als „Schnapsidee“ und als „totalitäre Idee“, da sie die positive Religionsfreiheit in Frage stelle. Er widersprach Schmidt-Salomon, indem er sich auf ein Plakat der Aktion bezog, auf dem in der Art eines Verkehrsschilds durchgestrichene betende Hände zu sehen sind. Kahl vertrat die Überzeugung, Religion könne kein Gegenstand administrativer Regelungen und Verbote sein. Zwar betonte auch er die Notwendigkeit, sich kritisch von religiösen Irrwegen abzugrenzen. Dabei setzte er aber stärker auf Toleranz und forderte einen sich selbst tragenden weltlichen Humanismus, der ohne Religion als Feindbild auskomme.

Auf Schmidt-Salomons Bekenntnis zur positiven Religionsfreiheit erwiderte er, dass dieses Zugeständnis eine religionsfreie Zone im echten Sinne der Worte unmöglich mache. Besonders kritisierte Kahl die Slogans Schmidt-Salomons. Den Spruch „Glaubst du noch oder denkst du schon?“ bezeichnete er als „flippige Frage in freigeistigen Kreisen“, die gläubigen Menschen grundsätzlich unterstelle, nicht zu denken.

In dem folgenden Schlagabtausch wurde schnell deutlich, dass die unterschiedlichen Ansichten der Kontrahenten sich vor allem auf die voneinander abweichenden Herangehensweisen, weniger aber auf die religionskritische Überzeugung bezogen. Schmidt-Salomon verteidigte die von Kahl kritisierten Slogans als notwendig, um in der medialen Öffentlichkeit präsent zu sein und Aufmerksamkeit bei den Menschen zu erregen. Er betonte, dass nur so Reaktionen von Massenmedien und Politik möglich seien. Dagegen warf er Kahl vor, sein akademischer Umgang mit dem Thema sei verstaubt und zur Wirkungslosigkeit verurteilt. Er stellte eine „halbierte Aufklärung“ fest, die sich nur auf den technischen, nicht aber auf den weltanschaulichen Bereich erstrecke. Die provokative Ausrichtung seiner Kritik betrachtete er als notwendig, um auf dieses Problem wirkungsvoll aufmerksam zu machen. Kahl reagierte darauf mit dem Vorwurf, Schmidt-Salomon nehme mit seiner Kampagne am von der Katholischen Kirche inszenierten „Religiotainment“ teil. Damit werde er nur ein vorübergehendes Medien-Echo erreichen und keine seriöse Aufklärungsarbeit leisten.
Die zahlreichen Reaktionen des Publikums kreisten hauptsächlich um die Slogans der Aktion „religionsfreie Zone“. Ein Teil des Auditoriums verteidigte die Provokationen und wies darauf hin, dass die augenzwinkernde Ironie nicht übersehen werden dürfe. Darüber hinaus seien die flapsigen Sprüche geeignet, auch weniger gebildete Menschen anzusprechen. Man dürfe nicht nur im Gelehrten-Zirkel diskutieren. Andere empfanden Fragen wie: „Glaubst du noch oder denkst du schon?“ als Unverschämtheit und hoben hervor, dass in der christlichen Tradition auch die Synthese aus Glauben und Einsicht versucht worden sei.

Das Streitgespräch zwischen Schmidt-Salomon und Kahl war eine gleichermaßen hochinteressante und unterhaltsame Veranstaltung. Die unterschiedlichen Argumente regten zum Nachdenken und zum Überprüfen eigener Positionen an. Sowohl die rhetorisch geschickte und provokante Art Schmidt-Salomons als auch der eher sachliche und intellektuelle Stil Kahls sorgten dafür, dass die gut zweistündige Veranstaltung vor knapp 50 Gästen rundum gelungen war. Selten wird ein komplexes und kontroverses Thema so anregend und erfrischend diskutiert. Die Veranstaltung, die vom Marburger Ortsverband der Humanistischen Union und dem IBKA als laizistischer Beitrag zum Elisabeth-Jahr verstanden wurde, bot einen angenehmen und notwendigen Kontrast zu den sonst eher unkritischen Veranstaltungen. Weitere Beiträge im Geiste dieses Streitgesprächs wären wünschenswert!

Markus Busche
ist wissenschaftlicher Dokumentar
Er lebt in Marburg und schreibt für verschiedene Online-Medien

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