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Wir brauchen eine Kultur des Friedens

Mitteilungen06/2000Seite 49

Mitteilung Nr. 170, S. 49

`s ist Krieg! … Und ich begehre nicht schuld daran zu sein, dichtete Matthias Claudius (1740-1815) in seinem gern zitierten Kriegslied. Und Wolfgang Borchert (1921-1947) forderte angesichts neuer Kriegsvorbereitungen in seinem gern zitierten Essay: Dann gibt es nur eins!: Sag NEIN!
Beides ist gut und lobsam und richtig, doch nicht genug: Es gilt nicht nur gegen Krieg und Rüstung und Militarismus zu sein und zu agieren, sondern aktiv und mit Herz und Verstand dafür zu sorgen, daß Frieden möglich ist und bleibt: ’s ist Friede! … Und ich freue mich, daran mitgewirkt zu haben! Und: Du Mann, du Frau, wenn Leute daran arbeiten, eine Friedensgesellschaft zu schaffen, dann gibt es nur eins! Mach mit!
Was sollt ich machen … was? dichtete Matthias Claudius weiter. Das ist die Frage angesichts der Ohnmacht des einzelnen, heute – angesichts der Globalisierung und der Übermacht von Wirtschaft und (Waffen-)Lobby – mehr denn je: Was sollt ich machen … was? Zwei Neuerscheinungen suchen darauf eine Antwort zu geben, indem sie den Istzustand analysieren (und wie es dazu kam) und Modelle für die Zukunft erarbeiten.
Daß es sich bei dem von Imbusch und Zoll herausgegebenen Buch Friedens- und Konfliktforschung nach zwei Jahren schon um die zweite Auflage handelt, ist erfreulich. Daß es – neuer Kriege wegen – einer Erweiterung bedurfte, macht traurig, darf aber nicht zur Resignation führen, ebensowenig wie der erste Satz des Vorworts: Bis heute existiert in Deutschland kein Studiengang für Friedens- und Konfliktforschung.
Teil I des Buches liefert Grundlagen: Karlheinz Koppe zeigt in seinem Aufsatz Geschichte der Friedens- und Konfliktforschung den mühsamen Weg der Friedenswissenschaft bei uns (siehe z.B. die Gättinger Erklärung von 1957, die Deutsche Forschungsgemein-schaft) und anderswo (SIPRI, Bertrand Russell … ) auf. Von Thorsten Bonecker und Peter Imbusch werden die Begriffe der Friedens und Konfliktforschung (Konflikt, Gewalt, Krieg, Frieden) definiert, ihr Gebrauch analysiert und Konflikttheorien vorgestellt.
Teil II (Konfliktanalysen) befaßt sich mit Konflikten zwischen Staaten und Bevölkerungsgruppen (Jugoslawien, Rwanda/Burundi, „Islamischer Fundamentalismus“ – letzterer Begriff bewußt in Anführungszeichen!) und innerhalb Deutschlands mit Interessenkon-flikten (Migration, …kologie, § 218, Radikalenerlaß … ); besonders deutlich wird schließlich das Kriegsinteresse, das Schüren und militärische „Lösen“ von Konflikten im Kapitel NATO-Osterweiterung von Michael Berndt, der aufzeigt, daß es in erster Linie um ökonomische Positionen vor allem der USA geht, um Ressourcen und um Vormachtstellung. (Der Aggressor befindet sich außerhalb, und die Definitionsmacht über Sicherheit liegt im Westen).
In Teil III (Friedensethik, Friedenserziehung und Konfliktregelung) befaßt sich Hans Nicklas mit der wichtigen Frage der Friedenser-ziehung, genauer der Erziehung zur Friedensfähigkeit, wobei er sich im wesentlichen auf die (gut dargestellten) Ziele beschränkt und die Mittel und Methoden nur streift. Aber gerade hier gilt: Der Weg ist das Ziel! Der evangelische Theologe Michael Haspel (Einführung in die Friedensethik) referiert die Lehre vom gerechten Krieg und (im wesentlichen) Wolfgang Hubers Friedensethik und beschränkt sich dabei auf die christlich-abendländische Philosophie und Theologie, ja subsumiert gar die humanistischen Bewegungen der Renaissance einschließlich Erasmus von Rotterdam mit seiner 1517 erschienenen Schrift, Klage des Friedens, unter den friedensethischen Impuls der lutherischen Reformation.
Die Friedensethik bildet auch einen Kernpunkt des Buches, Die Kultur des Friedens. Dabei macht Horst-Dieter Strüning in seinem Beitrag Plädoyer für eine andere, neue Friedensethik deutlich, daß es
eben nicht genügt, sich auf die christlich-abendländische Ethik zu berufen, was ja auch Volker Rühe mit seiner Rede, Mut zur Verantwortung – Deutschland und der Frieden in Europa – 1996 in der Hamburger Sankt-Katharinen-Kirche tat. Gerade mit den dieser Rede zugrundeliegenden Prämissen setzt sich Strüning auseinander und hält seine auf der Verantwortungsethik basierende Gegenrede.
Auch Volker Bialas fordert in seinem Beitrag, Gesellschaftliche Krise und die Kultur des Friedens, eine neue Ethik auf dem Prinzip der Mitverantwortung und des Holismus und beruft sich dabei u.a. auf den afrikanischen Philosophen John S. Mbiti (Ich bin, weil wir sind, und weil wir sind, bin ich) und auf den brasilianischen Befreiungs-theologen Leonardo Boff (Das höchste Gut liegt in der Unversehrt-heit der kosmischen Gemeinschaft). Auch Bialas fordert eine Friedenserziehung, aber nicht in Form einer Erziehung zu, sondern einer Einübung in: in Mediation, in die Prinzipien der Gewaltfreiheit von Kindheit an. Das bisherige westliche Zivilisationsmodell, das die Zerstörung anderer Kulturen  in ihren imperialen und kolonialen Geschichtsepochen planmäßig betrieben hat und den Raubbau der Naturressourcen und Umweltverschmutzung betreibt, ist zu einem sinnstiftenden Handeln offenbar nicht mehr fähig, während sich die Bevölkerungsmehrheit von dem Spektakel einer inszenierten Spaßkultur ablenken läßt und die Preisgabe des gemeinschaftlich Erworbenen, des öffentlichen Raumes zugunsten des Privaten fast widerstandslos hinnimmt. Ursachen für die Werte- und Kulturkrise unserer Zivilisation sieht Bialas u.a. im Rationalismus und der dualistischen Weltauffassung, der Aufspaltung von Ich und Körperwelt, die die Weltentfremdung zur Folge hat. Bialas definiert Frieden als das Gesetz menschlichen Lebens, recht zu handeln; wenn zwischen den Menschen und den Völkern Gerechtigkeit herrscht. Die von ihm propagierte Kultur des Friedens basiert auf den Maximen von Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und Mitgefühl, individuell gesehen: weg vom konsumorientierten Anspruchsdenken und hin zu partnerschaftlicher Teilhabe; weg von Effizienzdenken und individueller Besitznahme und hin zu tätiger Mitmenschlichkeit und zu einem bewußten Miteinander mit der Natur, weg vom Ich und hin zum Wir.
Wissenschaftlich fundiert und klar, prägnant und präzise argument-ierend und formulierend geht Volker Bialas in dem Beitrag, Die zweite Chance, für eine friedliche Weltgestaltung – Bedingungen einer globalen Friedensordnung zu Werk: Hier entwickelt und erläutert er die notwendigen und hinreichenden Bedingungen (politisch, wirtschaftlich, ethisch etc.) der Realisierung eines mäglichen globalen Friedensprozesses.
Ähnlich exakt, kritisch und pointiert argumentiert Ernst Woit in Ideologien des globalen und regionalen Vorherrschaftsstrebens, worin er u.a. Propaganda-Kampagnen und den systematischen Mißbrauch der Wissenschaften anprangert, und in Gesellschaftliches Bewußtsein zwischen Friedenssehnsucht und Kriegsbereitschaft – Massenkommunikative Aspekte zu einer Kultur des Friedens.
Diesen gut lesbaren und in ihrer Argumentation nachvollziehbaren Artikeln, zu denen sich noch die von Wolfgang Scheler (Kriegsideologie – Friedensideologie. Substanz und Gestaltwandel nach dem Kalten Krieg und Fortschritt des Friedens in Idee und Wirklichkeit), von Hermann Klenner (über die Europäische Union) und von Maja Brauer (über die Vereinten Nationen) gesellen, stehen andere gegenüber, deren sprachliches Niveau und deren Verständlichkeit zu wünschen übrig lassen, und auf die ich gerne verzichtet hätte (Endre Kiss, Andrzej Kiepas und Raymond Swing), zumal sich in so einem Reader verschiedenster AutorInnen Wiederholungen fast zwangsläufig ergeben.
Was mir aber insgesamt an den beiden Büchern gefällt, ist der reale Blick und die trotzdem optimistische, engagierte und mutmachende Zukunftsschau. Ganz im Sinne von Jean Paul (1763-1825), der in seiner Kriegserklärung gegen den Krieg schrieb: Und hälfe keine Friedenspredigt zum ewigen Frieden, so würd` ich sie gleichwohl halten.
Übrigens: Die UNO hat das Jahr 2000 unter das Motto Kultur des Friedens gestellt.

Johannes Glötzner

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