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Hans Lisken zur Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises 1995

vorgängevorgänge 13109/1995Seite 128- 130

Aus: vorgänge 131(Heft 3/ 1995), S. 128- 130

Sehr geehrte(r) …
Die Anrede kommt mir noch flüssig über die Lippen, weil sie Zuwendung ausdrückt. Beim Dankwort zögere ich, weil so viele Worte des Lobes eher nachdenklich stimmen. Denn alles, was ich gedacht, geschrieben und getan habe, ist mit so vielen Skrupeln, mit so viel Kritik und Abwendung belastet, dass mich Zustimmung skeptisch macht. Andererseits kann die Übereinstimmung mit den Denkergebnissen anderer auch froh machen; man fühlt sich weniger einsam, weniger unsicher. Das gilt erst recht bei kritischer Zustimmung kompetenter „Streitgenossen” hier und heute.
Außerdem kann die Erinnerung an den „aufrechten Gang” von Fritz Bauer denen als Kontrapunkt dienen, die sich enttäuscht von der geschmeidigen Standpunktlosigkeit moderner Politik abwenden und trotz allem – von der Rechtstheorie bis zur praktischen Rechtsanwendung – an der verfassten Freiheitsordnung von 1949 festhalten und sie nicht dem Sicherheitsdenken opfern wollen.
Mit dem Fritz-Bauer-Preis lässt sich kein tagespolitischer Konformismus dekorieren. Fritz Bauer stand für das „andere Deutschland”, das nicht nur den terroristischen Hitler-Staat überwinden wollte, sondern auch seine Ursprünge, das Denken in den vordemokratischen Kategorien des Patrimonialstaates, die „Anbetung” der Macht, den vorauseilenden Gehorsam, den politischen Opportunismus. Er stand für jene, denen nicht Platons „Staat” und Machiavellis „Fürst”, sondern Solon und Perikles Vorbilder waren. Bonhoeffer und Wirmer waren lebendige Beispiele solcher Haltung.
Wir haben zwar Straßen nach diesen Zeugen eines anderen Deutschlands benannt, würden sie aber, wenn sie überlebt hätten, eher vor Gericht gestellt als ihnen eine Pension gezahlt haben.
Das beweist unser fürsorglicher Umgang mit den Henkern und die Weigerung, den Angehörigen der Gehenkten und allen Deserteuren, die nicht Werkzeuge Hitlers sein wollten, materielle Gerechtigkeit zu gewähren. Nach Franz Jürgens ist der Platz vor dem Polizeipräsidium benannt, aber seine Witwe musste lange um eine bescheidene Rente kämpfen; denn unser Bundesgerichtshof hatte seine Standes gerichtliche Verurteilung als Verräter an Hitler für rechtens erklärt. Ebenso schamlos benennen wir Kasernen der Bundeswehr im Sinne Zuckmayers nach „des Teufels Generälen”. Das ist unsere Rechtswirklichkeit, weil wir weder deren Hilfsdienste für Hitler noch den „Aufstand des Gewissens” der andern selbst kritisch bedacht haben. Damals wie heute sind wir im überlieferten Glauben an die vermeintliche Bonität der Staatsmacht nie dazu gekommen, das eigene Gewissen zu beteiligen, wenn es um die Ausübung staatlicher Herrschaft geht. Luhmann hat diese „Hilfslosigkeit” der Konformisten schon 1965 anschaulich beschrieben (AÖR 90, 257ff.).
Fritz Bauers Engagement bei der Aufhellung des Staatsunrechts und für die Benennung der Mörder war wegen dieses Verharrens im Unrecht nötig. Wir – das waren die Machtinhaber und Rechtsanwender nach dem Krieg, die sich dem Wiederaufbau widmeten, aber die eigene Vergangenheit verdrängten. Symptomatisch ist das, was mir ein Freund aus Anlass des heutigen Tages schrieb:“…Ich war mit Josef Neuberger auf meiner ersten Justizministerkonferenz; es muss 1968/69 gewesen sein. Ein Tagesordnungspunkt war die Nachfolge Fritz Bauers als damaliger Beauftragter der Justizministerkonferenz zu den Justizbehörden der DDR. Es sollte ein Generalstaatsanwalt sein wegen der Gleichrangigkeit mit dem Beauftragten der DDR und weil es bei den Begegnungen um reine Fachfragen ging.
Und da erwies es sich, dass alle (!) damals amtierenden ,Generäle` mit braunen, zumindest bräunlichen Flecken versehen waren, so dass man Besorgnis hatte, einen davon der DDR anzubieten. So einigte man sich schließlich zähneknirschend auf unseren damaligen Staatssekretär von Münchhausen, den offenbar einzigen Makellosen. Ich weiß noch, wie traurig damals Neuberger war und wie stolz zugleich, dass er mit Münchhausen einen Fritz Bauer in dieser Hinsicht Ebenbürtigen anbieten konnte.“
Soweit der Brief. Er beschreibt anschaulich die Kontinuität des Staatsdenkens bei uns. Diejenigen, die Hitler geholfen hatten, waren nicht nur zahlreicher als jene, die widerstanden hatten; sie waren auch erfahrener im Umgang mit der Macht; und sie waren innerlich einander verbunden, verbunden durch ein Staatsverständnis, das Hitler als „ Unglücksfall der Geschichte” sah und nicht als Ergebnis einer Entwicklung, die zum Ende der Humanitas führen musste. Sie nahmen „Hitler in uns selbst” – wie Max Picard unseren inneren Zustand beschrieben hat – nicht wahr. Nein, für sie hatte Hitler nur übertrieben. „Die Juden zu vergasen, war unrecht, aber Schutzvorschriften gegen ihre Konkurrenz wären nötig gewesen”. Das sagte mir ein Geistlicher nach dem Krieg. Die Verteilung der Macht nach außer verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten, wie sie Lassalle in seiner berühmten Verfassungsrede beschrieben hat, und die Affinität zum „starken Staat”, in dem man selber das Sagen hat – das war und ist geblieben.
Wie anders erklärt sich, dass die Anwendung geheimdienstlicher Methoden außerhalb des streng begrenzten Geheimdienstbereiches, also zum Zweck der Täuschung eines Rechtssubjekts in einem Strafverfahren, überhaupt wieder gedacht und praktiziert werden kann? Vor 20 Jahren erregte der Fall Traube die Republik. Der liberale Rechtsphilosoph Maihofer musste als Innenminister zurücktreten, und der Gewerkschafter Leber musste als Verteidigungsminister zurücktreten, als illegale Lauschaktionen des Militärischen Abschirmdienstes bekannt wurden. Eine „Wanze” im Privatbereich galt nicht nur als illegal, sondern als Rechtsstaatsgefahr. Auch ein polizeilicher Geheimagent mit der Befugnis zur Täuschung im Rechtsverkehr wäre undenkbar gewesen. Heute hat eine Politik, die Kriminalität nicht strukturell, sondern symbolisch-symptomatisch angeht, weithin zur Akzeptanz solcher staatlichen Methoden der Fallenstellerei geführt.
Nach dem rechtsethischen Preis wird gar nicht gefragt, auch nicht nach den inneren Folgen bei den Polizisten, denen solche unredlichen Methoden zugemutet werden (vgl. Joh. 3, 21).
Der Rechtsstaat, der oft beschworen wird, wird schlicht mit den guten Zielen gleichgesetzt, nicht mit den Methoden. Haben also nur die falschen Feinde in den Lagern der SS gesessen? Die lobenden Worte deutscher Politiker über Pinochet kennzeichnen diese Denkungsart. Auf derselben Geisteshaltung beruhen die „rechtsstaatlichen Entartungen”, wie Pätzold sie genannt hat, die im Zusammenhang mit dem Schmücker- Mord in Berlin geschehen sind, wo Polizei und Verfassungsschutz in Berlin und über Berlin hinaus jahrelang alles getan haben, um einen fairen Prozess zu verhindern (vgl. BVerwGE 75, 1 und LG Berlin StV 1991, 371).
„Wir können doch nicht am GG festhalten, wenn der Staat durch die Kriminalität in Gefahr ist”, sagte mir ein Diskussionsteilnehmer auf einer Tagung der Bundessicherheitsakademie, und etliche applaudierten. In der Rechtspraxis vernebeln wir dieses Wollen, indem wir so genannten Funktionstüchtigkeiten staatlicher Instanzen, etwa der Justiz, der Polizei oder des Verfassungsschutzes „Verfassungsrang” einräumen, um sie mit den Grundrechten „abwägen”, also relativieren zu können. Adolf Arndt hat schon vor fünfunddreißig Jahren in dieser „ideologischen Unterwanderung” des Grundgesetzes die größere Gefahr für unsere verfasste Freiheitsordnung gesehen (Ges. jur. Schriften 1976, S. 141ff.).
Ich habe Adolf Arndt noch kennen gelernt. Er hat mein Denken beeinflusst. Seine ungezählten Urteilskritiken in der NJW haben ebenso wie seine aufrüttelnden Vorträge nicht wenig zum
rechtspolitischen Aufbruch in den Jahren bis 1968 beigetragen. Aber mit den ersten Anzeichen geistiger Unruhe begann zugleich auch das gepflegte Gerede von einer Staatskrise, obwohl es nur eine Krise für die etablierten Mächte war. Mich erinnert die gegen reformatorische Entwicklung von damals bis heute an Noske, der seinen Überzeugungen weniger traute als den tradierten Ordnungskräften. So haben wir ab 1968 begonnen, Schritt für Schritt die Errungenschaften des Rechtsstaates, wie sie seismographisch in seiner Strafprozessordnung zum Ausdruck kommen, zu reduzieren. Signifikant ist die Beschneidung der Verteidigung. Nicht das ungeordnete und unzulängliche Rechtsschutzsystem ist neu geregelt worden, sondern das Recht der Verteidigung. Derzeit wird sogar an eine Beschneidung des Beweisantragsrechts des Angeklagten gedacht. Dabei ist dieses Recht das Korrelat zur Überzeugungsfreiheit des Richters. Ob unsere Richter die Zusammenhänge aufzeigen und gem. Art. 100 GG „Widerstand für das Recht” leisten werden, wie ihn Arthur Kaufmann beschrieben hat?
Nach den Aussichten eines „Widerstandes für das Recht” im Bereich der Exekutive wage ich nicht zu fragen. In unserer Polizei, die immer noch weitgehend monarchisch strukturiert ist und mit Polizeigesetzen leben muss, die das von Denninger (im „gebändigten Leviathan”, S. 408) beschriebene Fehlen einer freiheitlich-demokratischen Polizeitheorie bei jeder Novellierung sichtbar machen, in dieser Polizei werden nur wenige einen Widerstand für das Recht leisten (können). Das Nichtbenutzen einer rechts bedenklichen Befugnis würde wie der Verzicht auf eine erfolgversprechende Operationsmethode verstanden. In der Praxis kann dieser Spagat zwischen Recht und Gesetz auch nur solange gelingen, wie die Polizeioberen willens und in der Lage sind, die rechtsstaatlichen Bedenken aufzuzeigen und Ersatzwege anzubieten. Wenn mir das – wie manche meinen – bislang gelungen sein sollte, so hätte sich mein Aushalten gelohnt.
Es wird ohnehin immer nur eine Minderheit sein, die wider alle Erfahrung an der Paradoxie des Freiheitsprinzips festhält. Wäre es anders, bräuchten wir gar keine Verfassung mit ihren Freiheitsgarantien. Mit anderen Worten: Jeder Verfassungssatz ist durch uns selbst gefährdet. Das war auch bei Solon der Grund, dass er seine Athener auf seine Gesetzessammlung einschwor, bevor er auf Reisen ging. Deswegen bedurfte es auch bei uns solcher Mahner wie Fritz Bauer, Adolf Arndt, Carlo Schmid, Max Güde, Richard Schmid, auf ihre Weise auch Gustav Heinemann und Martin Hirsch und anderer aus der Generation meiner Väter. Ob unsere Generation ähnliche Leuchtpunkte zur Orientierung hervorgebracht haben wird, können nur die Nachkommen beurteilen, wenn sie die Irrtümer ihrer Eltern austragen müssen.
Mich mit diesem Preis vorzeitig in die Generationenfolge der „Verfassungspatrioten” einzureihen, bleibt also ein Wagnis. Wenn ich mein anfängliches Zögern, die Ehre anzunehmen, später aufgegeben habe, so hat das zwei Gründe: Zum einen muss die Erinnerung an Fritz Bauer aufrecht erhalten werden, um anderen, die im Widerstreit der Pflichten nach dem Recht, insbesondere nach dem Recht des Nächsten suchen, Mut zu machen. Zum andern sehe ich in der Preisverleihung eine Ehre für die mir anvertraute Polizei, die all zeit mit mir auf die Suche nach eben jenen Wegen des Rechts gegangen ist. Ob wir ein neues Polizeigesetz ausgedacht oder alte und neue Methoden bedacht haben – es war stets das Produkt gemeinsamer Arbeit. Bezeugen könnte das stellvertretend für viele Otto Gbureck, mein früherer Begleiter und Leiter der Schutzpolizei. Benennen könnte ich auch Hans Ahlers, den langjährigen Düsseldorfer Kripo-Chef, der mit seiner gelassenen Nachdenklichkeit die Tradition des legendären Kripochef Dr. Wehner fortgesetzt hat. Damit soll niemand sonst zurückgesetzt sein. Meine amtierenden Mitarbeiter will ich lieber nicht in die Zeugenpflicht nehmen, weil sie mich noch überleben müssen.
Danken muss ich aber auch meinem scheidenden Vorgesetzten in mehr als 14 Jahren,
Minister Dr. Herbert Schnoor, der mir zum Freund geworden ist und der mich nie mit einer Weisung korrigiert hat. Es gab gegen alle Mutmaßungen keine Vorgaben, wie mit Hausbesetzungen, ausufernden Demonstrationen oder neuen Streikformen, bei denen das Publikum als Geisel genommen wird, umzugehen sei. Es ging und geht um das Rechte, auch um das rechte Maß. Ich hatte – je nach Sichtweise – ein leichtes Leben.
Alles das zusammen hat sich so gefügt, dass es zu diesem Tag kommen konnte. Mit dieser Maßgabe gebe ich zu, dass ich mich freue. Und mit dieser Maßgabe danke ich Ihnen allen, die gekommen sind und mir und der Düsseldorfer Polizei die Ehre erwiesen und so lange zugehört haben.

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