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Soziale Mindest­stan­dards für europäische Wander­a­r­beiter

vorgängevorgänge 13109/1995Seite 109-115

aus: vorgänge 131 (Heft 3/1995), S. 109-115

Die Neue Zürcher Zeitung sprach am 18. Juli 1995 davon, daß mit der angekündigten deutschen Endsenderegelung nun der Protektionismus auf dem deutschen Arbeitsmarkt Einzug halte. Vom ersten Tag der Arbeit an würden nun entsandte ausländische Bauarbeiter „dem deutschen Diktat” unterstellt: „Das Argument beispielsweise, wonach billig arbeitende Portugiesen oder Engländer in Deutschland sozialen Unfrieden hervorriefen, hat die Politiker offenbar beeindruckt. Im Arbeitsministerium hört man gar eine ,antieuropäische Zeitbombe ticken”. Was steckt hinter diesen Vorwürfen, die Bundesregierung habe ihre früheren Bekenntnisse zu einer sozialen Marktordnung und zu einer offenen Außenwirtschaftspolitik über Bord geworfen, um einen „Schutzzaun für das deutsche Baugewerbe” und damit sogar höhere Baukosten in Kauf zu nehmen?
Für die 1,5 Millionen Staatsangehörigen aus Mitgliedstaaten der Europäischen Union (EU) in Deutschland hat zuletzt der Maastrichter Vertrag (Vertrag über die Europäische Union sowie die Novelle des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft) vom 7. Februar 2002 mit Artikel 6 des neuen EG-Vertrages ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit verbindlich gemacht: „Unbeschadet besonderer Bestimmungen dieses Vertrages ist in seinem Anwendungsbereich jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verboten. Der Rat kann nach dem Verfahren des Artikels 189c Regelungen für das Verbot solcher Diskriminierungen treffen.
In Deutschland bestehen bei den Tarifpartnern und bei Selbständigen noch große Unklarheiten über die derzeit gültigen rechtlichen Regelungen über die Entsendung von EU-Wanderarbeitern (Arbeitnehmern und Selbständigen). Da inzwischen seit Jahren keine EU- Entsenderichtlinie im Ministerrat mehrheitsfähig ist, ist umstritten, ob und inwieweit deutsche oder andere arbeits- und sicherheitsrechtlichen Regelungen greifen und kontrollierbar sind.
Richtig ist, daß die Auswirkungen des anhaltenden Berliner Baubooms zu einem politisch brisanten Fall geworden sind. Hier bündeln sich soziale Probleme und an diesem Fall läßt sich exemplarisch diskutieren, was mit dem prinzipiellen Verbot der Diskriminierung von Ausländern im europäischen Recht gemeint ist. Vielfach wird nämlich von Wirtschaftspolitikern und -verbänden vertreten, daß hiermit allein das Prinzip gleicher Chancen beim Zugang zu den nationalen Märkten durch ausländische Firmen und ihre Mitarbeiter gemeint sei. Dagegen stellt der hier vertretene sozialpolitische Begriff der Diskriminierung klar, daß damit auch die Verbindlichkeit nationaler wie internationaler Schutzrechte und Hilfemöglichkeiten für ausländische Arbeitnehmer und Selbständige zu verstehen ist. Das bedeutet genau, daß es sich nach dieser Interpretation immer dann um einen Diskriminierungstatbestand handelt, wenn ausländische Arbeiter zu schlechteren Bedingungen in Deutschland aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit arbeiten müssen.
Nach dem Maastrichter Vertrag reicht zur Zeit eine Anzeige beziehungsweise Erlaubnis im Heimatland für die Beschäftigung als Selbständiger aus. Vom Berliner Senat wird die Position vertreten, daß im Fall von abhängig Beschäftigten nach deutschem Tarif gezahlt werden sollte. Es ist jedoch sicher, daß dies kaum der Fall ist. Vermehrt sind den Berliner Behörden Fälle des Missbrauchs von E-101- Bescheinigungen, von sogenannter „Scheinselbständigkeit” (definiert als exklusive Beziehung eines Arbeitenden zu einem Unternehmen), aufgefallen, was als Straftatbestand gewertet wird, jedoch kaum zu ahnden ist.
In Berlin ist zu beobachten, daß zunehmend irische und britische sowie portugiesische Bauarbeiter über vorwiegend niederländische Vermittlerorganisationen angeworben werden. Demnach müßten Abgaben über die niederländischen Firmen an die Niederlande gezahlt werden, da diese de jure Arbeitgeber sind. Ob Abgaben abgeführt werden, ist nicht bekannt und wird nicht überprüft. Es ist jedoch davon auszugehen, daß es sich um einen wachsenden unreglementierten Arbeitsmarkt handelt.
Zwar greift bei unselbständig Beschäftigten nach Ansicht des Berliner Landesamtes für Arbeitsschutz und technische Sicherheit (LAfA) ausschließlich deutsches Recht, den Tarifpartnern war diese Regelung und ihre gesetzliche Grundlage jedoch noch bis zum Herbst 1994 nicht bekannt. Das Landesamt führt jährlich zwar etwa 6000 „Baustellenbesichtigungen” genannte Kontrollen in Berlin durch. Bei der Vielzahl von Baustellen ist jedoch auch diese Kontrolldichte unzureichend.
EU-Wanderarbeiter könnten theoretisch das deutsche Recht nutzen, nach sechs Monaten auf einen unbefristeten Vertrag (nach deutschen Tarifbedingungen) zu bestehen. Diese Regelung ist jedoch kaum bekannt und wird nicht genutzt. Erhebliche Schwierigkeiten gibt es für die kontrollierenden Ämter, selbständige und scheinselbständige Arbeiter zu kontrollieren.

Ökonomische Deregulierung
vs.
soziale Mindeststandards für europäische Wanderarbeiter

Die bestehende Migration von EU-Wanderarbeitern kann über eine geplante Entsenderichtlinie (oder über eine nationale Regelung) gesteuert werden. Eine solche Regelung ist auch deshalb gefordert, um Tendenzen zur Deregulierung von Teilen des Arbeitsmarktes entgegentreten zu können.
Der derzeitige Aufbau eines gespaltenen Arbeitsmarktes v.a. in den Branchen Bau, Gastronomie und private Dienstleistungen in Berlin, auf dem in einem Segment de facto (inwieweit auch de jure kann hier nicht bewertet werden) deutsche arbeits-, sozial- und tarifrechtliche Vereinbarungen keine Geltung mehr haben, sollte insbesondere im Hinblick auf die wachsende Anzahl arbeitsloser Deutscher sowie Angehöriger der ausländischen Wohnbevölkerung unterbunden werden.
Berlin ist einerseits angesichts von fast 17000 arbeitslosen Bauarbeitern (von insgesamt 50000) und „50 bis 100.000 billigen Arbeitskräften” (FAZ, 12. Juli 1995) in dramatischem Ausmaß von EU- weiten Deregulierungen betroffen, die in dieser Branche zumeist als „Sozialdumping” perzipiert werden. Über die soziale Lage von EU- Wanderarbeitern in Berlin liegen andererseits kaum gesicherte Erkenntnisse oder empirische Untersuchungen vor. Nach Berichten von Beratungsstellen, Kirchenvertretern, Botschaften und Journalisten läßt sich jedoch sagen, daß es in Berlin immer wieder zu menschenunwürdiger Behandlung kommen soll. Eine Expertise zu dieser Frage wäre dringend erforderlich. Auch die Zahlen für ganz Deutschland sind deutlich: Deutsche oder hier lebende türkische Bauarbeiter kosten die Unternehmer bis zu 80 Mark pro Stunde, ein Portugiese oder Pole höchstens 20 Mark. Heinz Seidel von der Bundesanstalt für Arbeit geht von 150.000 Billigkräften allein aus der Europäischen Union aus. Hinzu kämen fast 26.000 (1992 noch 70.000) Werkvertragsarbeiter aus Osteuropa. Dem stünden rund 175000 (Vorjahr: 167.000) arbeitslose Bauarbeiter gegenüber (BM, 30. Mai 1995).
Die Bundesregierung hat sich auf Vorschlag des Bundesministers für Arbeit und Sozialordnung am 27. Juni 1995 nach langem Widerstand des Deregulierungen unterstützenden Wirtschaftsministers auf die folgenden Eckpunkte einer nationalen Regelung geeinigt:

1. Soweit tarifvertragliche Regelungen des Bauhauptgewerbes über Entgelt und Urlaub allgemeinverbindlich sind und somit von deutschen Arbeitgebern einzuhalten sind, werden sie auch auf ausländische Arbeitgeber und ihre im Inland beschäftigten Arbeitnehmer erstreckt und für zwingend im Sinne des internationalen Privatrechts erklärt.

2. Die international zwingende Wirkung wird gesetzlich auf das Lohnniveau der jeweils untersten Lohngruppe des einschlägigen Lohntarifvertrages beschränkt. Damit kann durch entsprechende tarifvertragliche Regelungen jedem Bauarbeiter, der aus dem Ausland entsandt ist, ein tariflicher Lohn in dieser Höhe garantiert werden.

3. Auch das in allgemeinverbindlichen Tarifverträgen des Bauhauptgewerbes enthaltene Sozialkassenverfahren wird hinsichtlich des Urlaubs einbezogen.

4. Schwellenfristen werden nicht vorgesehen, d.h. die zwingende Wirkung gilt ab dem ersten Tag der Tätigkeit. Allerdings sollen angemessene und begründete Ausnahmen ermöglicht werden.

5. Zur Kontrolle der Einhaltung der zwingenden Arbeitsbedingungen ist ein effizientes Kontrollinstrumentarium notwendig. Die Kontrolle soll durch Behörden der Länder erfolgen und das Ordnungswidrigkeitengesetz Anwendung finden. Zusätzlich kommt die wettbewerbsrechtliche Konkurrentenklage einschließlich Verbandsklagemöglichkeiten in Betracht.

6. Die Geltungsdauer des Gesetzes soll zwei Jahre betragen.“

Problematisch an dieser nationalen Regelung, die bestehende nationale Bestimmungen in Belgien und Frankreich aufgreift, ist dreierlei. Einerseits wird die Regelung zu kurz befristet, zweitens wird sie nur auf das Bauhauptgewerbe und dort nur auf die unterste Lohngruppe bezogen, während die ebenso betroffenen Ausbaugewerbe unberücksichtigt bleiben und drittens werden die Kontrollen den Ländern überlassen. Nicht nur wegen der anfallenden Kosten, sondern auch wegen der fehlenden Korntrollinstrumentarien, werden die Länder sich auf diese nationale Regelung daher schwerlich einlassen können. Hinzu kommt, daß es genuine Aufgabe der Bundesanstalt für Arbeit wäre, wirksame Kontrollen durchzuführen. So ist zu befürchten, daß auch die Minimallösung der Bundesregierung leer laufen wird und die aufgetretenen Deregulierungen nicht gestoppt werden können.
Wichtig ist auch, daß die notwendigen Kontrollen zur Durchsetzung einer Entsenderegelung nicht zu einer Diskriminierung der EU- Wanderarbeiter — auch nicht durch Bundesrecht — führen. Vielmehr ist daran zu denken, wie soziale Mindeststandards für EU-Wanderarbeiter gesichert werden können. Bei einer solchen europäischen oder nationalen Regelung sollten fünf Aspekte berücksichtigt werden:

1. Im Baubereich können alle Regelungen leicht unterlaufen werden, die eine Entsenderichtlinie an eine Mindestzahl von Arbeitstagen koppeln, da fast alle Gewerke kurzfristig oder in Losen ausgeführt werden können. Daher darf die Richtlinie keine derartige Bindung enthalten.

2. Zudem dürfen internationale Konzerne nicht gegenüber klein- und mittelständischen Betrieben bevorzugt werden. Für die „Großen” darf daher keine Ausnahmeregelung gelten.

3. Zum „harten Kern” der in einer Richtlinie zu regelnden Arbeitsbedingungen gehört nach dem Vorschlag der Europäischen Kommission vom Juni 1994 ein Diskriminierungsverbot aufgrund von Hautfarbe, Rasse, Religion, Überzeugung, staatlicher Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Dieses Gebot, Diskriminierungen nicht länger zuzulassen, ist in Erwägung des oben (2.1.) zitierten Artikels 6 des Maastrichter Vertrages unbedingt zu sichern.

4. Es müssen die institutionellen Voraussetzungen dafür geschaffen werden, daß die Richtlinie ebenso wie die deutschen Sicherheitsbestimmungen durch die Aufsichtsämter auch tatsächlich kontrolliert werden können.

5. Eine Diskriminierung europäischer Firmen kann nicht darin gesehen werden, daß sich diese — auch wenn sie nicht tarifgebundene Unternehmen sind — an deutsche Tarife zu halten haben. Dies muß auch für „Scheinselbständige”, also exklusiv an ein Unternehmen gebundene Arbeiter, gelten. Da es im Ziel um die Herstellung fairer Wettbewerbsbedingungen in Europa geht, ist es europäischen Firmen zumutbar, sich an allgemeingültig erklärte bzw. allgemein gültige Tarife zu halten. Dies bedeutet aber, daß sichergestellt werden muß, daß die Allgemeingültigkeitserklärung auch erfolgen kann.

Weitere Anregungen

Das Landeseinwohneramt Berlin verlangt nach drei Monaten über die polizeiliche Anmeldung hinaus bei EU-Bürgern die Beantragung einer Aufenthaltserlaubnis gemäß Aufenthaltsgesetz/EWG, obwohl nach den Maastrichter Verträgen eine solche Erlaubnis nicht mehr verpflichtend ist. Mehrere Botschaften haben diese Berliner Regelung kritisiert. Es wird angeregt, künftig auf eine deklaratorische Aufenthaltserlaubnis zu verzichten. Über die Rechte und Pflichten von EU-Wanderarbeitern sollte eine Informationsbroschüre in englischer und portugiesischer Sprache herausgegeben werden, in der die bestehenden Vorschriften erläutert werden.
Das Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung hat eine neue Initiative zur Bekämpfung der Schwarzarbeit angekündigt. Die beabsichtigte Verstärkung der Kontrolle von Schwarzarbeitern in Berlin von bislang 25 durch zusätzliche 50 Mitarbeiter des Landesarbeitsamtes Berlin-Brandenburg soll eine Verringerung illegaler Beschäftigungsverhältnisse erbringen. Um diese Kontrollen effektiv und zudem möglichst konfliktfrei durchführen zu können, sollten Trainingsmaßnahmen für die Kontrolleure im Bereich er kulturübergreifenden Verständigung und Antigewaltprogramme durchgeführt werden.
Nicht vergessen werden sollte schließlich auch die Lage der Werkvertragsarbeitnehmer aus mittelosteuropäischen Ländern, vor allem aus Polen (siehe Cyrus 1995a, 1995b), für die kein Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit gilt. Daher sollte darauf geachtet werden, daß eine Entsenderegelung auch für diese Gruppe greift.

Anmerkung zu Fahrenden aus der Europä­i­schen Union

Auch für fahrende Wanderarbeiter aus der Europäischen Union (Sinti und Roma sowie „Travellers” oder „Tinker”) gelten die Freizügigkeitsregelungen des geltenden Gemeinschaftsrechts. Dies hat zur Folge, daß auch für diese Personengruppen die Geltung gleicher Rechte und Pflichten auf dem deutschen Arbeitsmarkt zu ermöglichen ist, um Diskriminierungen zu vermeiden. Hierzu gehört insbesondere die Bereitstellung von geeigneten Stellplätzen für Fahrende. Der in zahlreichen Nischen lukrative deutsche Arbeitsmarkt und besonders der Berlin-Brandenburger Bauarbeitsmarkt schafft die ökonomischen Voraussetzungen für diese Form der Arbeitsmigration. Daher darf eine solche Bereitstellung von Stellplätzen auch nicht als ein anziehender Faktor für Fahrende gewertet werden. In Berlin genießen Fahrende ein grundsätzliches Recht auf eine Stellplatzmöglichkeit für ihre Gespanne. Dies sollte mit der erfolgten Anerkennung von Sinti und Roma durch die Bundesregierung im Zuge der Ratifizierung des weitgehend nur deklaratorischen Rahmenübereinkommens zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarates vom 10. Januar 1995 endlich in allen Bundesländern eine Selbstverständlichkeit sein.
Wanderarbeiter aus der Republik Irland sowie aus Großbritannien (Nordirland) kommen seit dem Sommer 1994 mit Gespannen und Baufahrzeugen nach Berlin sowie in andere Bundesländer. Es handelt sich um eine kulturell zu den Roma zählende Gruppe katholischer Fahrender, auch wenn sie kein Romanes sprechen. Sie sind Mitglied in der Internationalen Romani Union. Seit März 1995 befinden sich in Berlin erneut (wie bereits im vergangenen Sommer und Herbst) zunächst etwa 300, heute noch etwa 50 irische Wanderarbeiter (darunter zahlreiche Frauen und Kinder), die zumeist als Bauarbeiter in Berlin sowie in Brandenburg tätig sind.
Zur Prävention von Diskriminierungen ist es unumgänglich, daß Fahrende nicht anders behandelt werden als nationale Minderheiten. Die Geschichte des Unrechts in Deutschland gegenüber allen Romanés-Sprechenden verpflichtet nicht nur zu einer deklaratorischen, sondern auch zu einer umfänglichen Durchsetzung von Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung dieser ethnischen Minderheiten.
In anderen EU-Ländern (sowie insbesondere in Südosteuropa) lebt teilweise eine sehr viel größere Anzahl insbesondere von Roma. Nach dem Maastrichter Vertrag ist es aus Gründen der Durchsetzung gleicher Chancen und Rechte auf dem Arbeitsmarkt nötig, daß die erreichte arbeits- und aufenthaltsrechtliche Enddiskriminierung von Fahren-den innerhalb der Europäischen Union auch durch Schutz- und Förderungsbestimmungen für diese Minderheit ergänzt werden. Das Europäische Parlament hat am 21. April 1994 eine entsprechende Entschließung zur Lage der Sinti und Roma verabschiedet, an die hierbei anzuknüpfen wäre.
Maßnahmen zum Schutz und zur Förderung sollten für Fahrende — wie auch für andere Wanderarbeiter aus der EU — nicht allein einzelstaatlich erfolgen. Eine Europäische Koordination in enger Zusammenarbeit mit den Selbstorganisationen der Sinti und Roma durch die OSZE und den Europarat ist bereits begonnen worden. — Längerfristig sollte eine Europäische Konvention zum Schutz von Fahrenden erarbeitet werden, um das in der Öffentlichkeit häufig falsche Bild von Gruppen von Fahrenden als Pariagruppen und als Zielscheibe von Rassismus und Diskriminierungen bereits präventiv bekämpfen zu können.

Schlußfolgerungen

Wanderarbeitnehmer und Selbständige aus der Europäischen Union leben und arbeiten aufenthaltsrechtlich und arbeitsrechtlich legal in Deutschland und nutzen erfolgreich Freizügigkeitsregelungen des Maastrichter Vertrages vom 7. Februar 1992, insbesondere des Artikels 6 des neuen EG-Vertrages, der ein Diskriminierungsverbot aufgrund der Staatsangehörigkeit verbindlich macht. Dieses Europarecht hat die Aufgabe, Deutschen wie allen Unionsbürgern in allen Mitgliedsländern der Europäischen Union prinzipiell gleiche Chancen beim Zugang zu den nationalen Arbeitsmärkten zu sichern.
Berlin ist angesichts von 16.000 arbeitslosen Bauarbeitern in dramatischem Ausmaß von EU-weiten Deregulierungen betroffen, die v.a. in dieser Branche häufig als „Sozialdumping” gewertet werden. Der lukrative Berlin-Brandenburger Bauarbeitsmarkt schafft die ökonomischen Voraussetzungen für diese Form unzureichend geregelter Arbeitsmigration. Der Berliner Senat setzt sich daher für eine europäische Entsenderichtlinie, hilfsweise für eine nationale Regelung, ein.
Da der zuständige Ministerrat der Europäischen Union sich bislang nicht über eine Regelung zur Entsendung von Arbeitskräften einigen konnte, ist eine vom Bundesministerium für Arbeit und Sozialordnung angekündigte nationale Regelung grundsätzlich zu begrüßen. Diese Regelung sollte jedoch nicht nur deutsche arbeitsmarktpolitische Interessen aufgreifen, sondern auch soziale Mindeststandards für EU- Wanderarbeiter, wie sie im „harten Kern” des Entwurfes der Europäischen Kommission vorgeschlagen werden. Die Beibehaltung des status quo würde für diesen Bereich zur Folge haben, daß nicht eine europäische Harmonisierung, sondern daß weiterhin allenfalls eine wechselseitige Anerkennung der jeweiligen nationalen Richtlinien wirksam bleibt.
Zum „harten Kern” der in einer Richtlinie zu regelnden Arbeitsbedingungen gehört nach dem verworfenen Vorschlag der Europäischen Kommission vom Juni 1994 ein Diskriminierungsverbot aufgrund von Hautfarbe, Rasse, Religion, Überzeugung, staatlicher Herkunft oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe. Dieses Gebot, Diskriminierungen nicht länger zuzulassen, ist auch in einer deutschen Regelung zu sichern, um Artikel 6 des Maastrichter Vertrages vom 7. Februar 1992 zu erfüllen.

Erweiterte Fassung einer Stellungnahme für die öffentliche Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Sozialordnung des Deutschen Bundestages am 28. Juni 1995. Die Stellungnahme erfolgte im Namen des Autors.

Literatur:

BM (Gegner, N.), 1995: Billigkolonnen aus Westeuropa drängen ungehindert auf deutsche Baustellen. Faustrecht beim Kampf um die Arbeitsplätze. In: Berliner Morgenpost (BM), 30. Mai 1995.

Cyrus, N., 1995a: Anheuern und fernhalten. Die Doppelbödigkeit deutscher Aufnahmepolitik. In: Die Mitbestimmung, Nr. 6, S. 32-34.

Cyrus, N., 1995b: Zur Situation irregulärer polnischer Zuwanderer/innen in Berlin. In: Zeitschrift für antirassistische Gruppen (ZAG), Nr. 15, Juni, S. 13-19.

Deutscher Bundestag, Ausschuß für Arbeit und Sozialordnung, 1995: Schriftliche Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung am 28. Juni 1995. Bonn.

FAZ (hal.), 1995: Handwerk mit Entsenderichtlinie unzufrieden. Späth warnt vor Strukturproblemen. Mehr Hilfen gefordert. In: Frankfurter Allgemeine (FAZ), 12. Juli 1995.

Köbele, B.; Leuschner, G. (Hrsg.), 1995: Dokumentation der Konferenz „Europäischer Arbeitsmarkt. Grenzenlos mobil?”. Bonn, 6. bis 8. März 1995. Baden-Baden.

NZZ (Gy.), 1995: Ein Schutzzaun für das deutsche Baugewerbe. Entwurf einer Entsenderegelung für Deutschland. In: Neue Zürcher Zeitung (NZZ), 18. Juli 1995.

Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, Berlin, 1995a: Mitteilung an das Abgeordnetenhaus von Berlin über „Maßnahmen gegen Lohndumping”. Drucksachen Nr. 12/5143 und 12/5192 – Schlußbericht vom 24. März 1995.

Senatsverwaltung für Arbeit und Frauen, Berlin, 1995b: Antwort des Senats vom 28. April 1995 auf die Kleine Anfrage des Abgeordneten Prof. Dr. Mardus (CDU) vom 7. April 1995 über Entsendungsrichtlinien und die Lage im Baugewerbe“. In: Landespressedienst, 14. Juni 1995, S. 16-17

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