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Laudatio für Hans Lisken anläßlich der Verleihung des Fritz-­Bau­e­r-­Preises am 7. Juni 1995 in Düsseldorf

vorgängevorgänge 13109/1995Seite 123- 127

Aus: vorgänge Nr. 131(Heft 3/1995),S. 123- 127

Die Humanistische Union verleiht den Fritz-Bauer-Preis an unbequeme und unerschrockene Frauen und Männer für Verdienste um Recht und Gerechtigkeit.
Sie würdigt in jedem Preisträger – als herausragende Beispiele sollen Gustav Heinemann, Ruth Leuze, Ossip Flechtheim und Liselotte Funke genannt werden – das politische und rechtliche Lebenswerk und die Persönlichkeit Fritz Bauers.
Nach Haft im Konzentrationslager gemeinsam mit Kurt Schumacher und nach Jahren der Emigration war Fritz Bauer nach Deutschland zurückgekehrt. Er trat wieder in den Justizdienst ein und ist zuletzt hessischer Generalstaatsanwalt geworden. Er kämpfte gegen die staatsdienernde politische Justiz der frühen 60er Jahre. Er verlangte die Rehabilitierung der damals Landesverräter genannten Widerstandskämpfer und er stritt unermüdlich für eine Strafrechtsreform, in der der Strafvollzug nicht der Vergeltung, sondern der Wiedereingliederung des Täters in die Gesellschaft dienen sollte.
Fritz Bauer war anfangs der 60er Jahre einer der Mitbegründer der Humanistischen Union. Humanität und geistige Freiheit sind der Kern ihres Gründungsaufrufs: „Wir machen die Erfahrung”, heißt es da, „dass auch ein Staat, in dem die Spielregeln der Demokratie Gültigkeit haben, die Vielgestaltigkeit der Einheitlichkeit, die Toleranz der Parteilichkeit und die Wahrhaftigkeit der Bequemlichkeit opfern kann.” Und weiter – es lohnt sich wirklich, diese Formulierungen Gerhard Szeczesny’s im Wortlaut zu zitieren: „Die Befreiung des Menschen aus den Fesseln obrigkeitsstaatlicher und klerikaler Bindungen, die Verkündung der Menschenrechte und Menschenpflichten, der Umbau von Erziehungs-, Bildungs- und Fürsorgeeinrichtungen, die allen Bürgern offen stehen, die Entfaltung einer freien Wissenschaft, Presse, Literatur und Kunst – dies alles sind nicht Entartungen, sondern Grundbedingungen des Lebens in einer zivilisierten Gesellschaft. Es ist unsere Überzeugung, dass nur die Freiheit, zwischen sehr verschiedenen Weltdeutungen und Existenzweisen wählen zu dürfen, ein menschenwürdiges Dasein möglich macht.” Das sind Worte von beeindruckender und bedrückender Aktualität.
Sieben Jahre später wurden in Studentenunruhen und unter Erschütterung von Staat und Gesellschaft die Voraussetzungen für Reformen erkämpft, die auf friedlichem Wege nicht erreicht worden waren. Und es begann das, was manche heute so leicht hin den „deutschen Herbst” nennen.
Hans Lisken hat sich in Wort, Schrift und Tat als Richter, als Kommunalpolitiker, als akademischer Lehrer und als Polizeipräsident unbeirrt für eine im Sinn der Humanistischen Union offene und zivilisierte Gesellschaft und für die Herrschaft des Rechts eingesetzt.
Es ist ungewöhnlich und stimmt unverbesserliche Liberale hoffnungsfroh, wenn ein Polizeipräsident öffentlich erklärt, es sei ein populistischer Irrtum, „schärfere Gesetze und polizeiliches ,Durchgreifen` als Heilmittel (gegen Kriminalität) zu preisen.”
Man könne Kriminalität nicht dadurch besser bekämpfen, dass man die Bindung der Polizei an die Gesetze lockere. „Wo die Polizei alles könnte, gäbe es keine Freiheit” sagt Lisken dem Deutschen Richterbund in seiner Rede über den Rechtsstaat. Er sagt das nicht aus Misstrauen gegen die Polizei, sondern in der zutreffenden Überzeugung, dass Macht immer missbraucht wurde, immer missbraucht werden kann und dass der Schutz vor Missbrauch eben auch darin liegt, dass die Herrschaft des Rechts nicht angetastet werden darf.
Es besteht umso mehr Veranlassung, an diese Kontroverse zu erinnern, weil die Forderung ununterbrochen wiederholt wird, man müsse der Polizei Straftaten erlauben, wenn das zur Bekämpfung der Kriminalität erforderlich, besser gesagt: als nützlich erscheint.
Die gesetzliche Regelung über den Einsatz verdeckter Ermittler gestattet ihnen, bestimmte Straftaten zu begehen, z. B. einen falschen Namen zu führen, eine Scheinfirma zu betreiben, also unter einer Legende zu arbeiten. Das schädige ja niemanden. Darüber hinaus wird gefordert, so genanntes „milieutypisches Verhalten” zu erlauben. Es ist schon verdächtig, dass man mit dieser schönen Formel verbirgt, dass der Ermittler Straftaten begehen oder sich an ihnen beteiligen soll, wenn es einem höheren Zweck diene. Wo ist die Grenze?
Vor einigen Jahren soll sich ein verdeckter Ermittler bei den Busch-Krawallen in Krefeld am Steine werfen auf die Kolonne der Ehrengäste beteiligt haben, mag es nun ein Mitarbeiter des Verfassungsschutzes oder der Polizei gewesen sein. Hat er dem Rechtsstaat damit gedient?
In diesen Tagen sollen verdeckte Ermittler den Import von Plutonium mit einer Linienmaschine in Kauf genommen oder ihn gar provoziert haben. Sie haben sich also an einer erheblichen Straftat beteiligt, ohne bisher deswegen angeklagt worden zu sein. War die Festnahme der Haupttäter ein Erfolg polizeilicher Arbeit oder die Hinnahme der Gefährdung hunderttausender Menschen aus Unfähigkeit zur internationalen Zusammenarbeit? Es war bisher nicht einmal zu erfahren, wer die Entscheidung getroffen hat, obwohl es gut gegangen ist. Wer hätte sich zu seiner Verantwortung bekannt, wenn es schief gegangen wäre?
Wer die Polizei von der Befolgung der Gesetze löst, missachtet die Freiheit aller anderen, folgert Lisken. Und er fragt, was man eigentlich dem Polizeibeamten zumute, der im zivilen Leben unbedingt rechtstreu sein, aber im Beruf lügen, betrügen und provozieren solle, um des höheren Rechtes willen. Und ich denke an die Bemerkung eines amerikanischen Staatsanwaltes, sie hätten die meisten Verluste von under Cover arbeitenden Agenten bei der Teilnahme an bewaffneten Raubüberfällen zu beklagen.
Natürlich ist die Gefährdung des einzelnen Beamten nicht der Kern des Problems. Es ist auch nicht die Frage, wer solche Einsätze zu entscheiden hätte, also welche institutionellen Sicherheiten es geben sollte. Der Kern ist der von Lisken eingeforderte Grundsatz der staatlichen Redlichkeit.
Wenn der Zweck auch unredliche Mittel heiligt, dann herrscht nicht das Recht, sondern die Effektivität. Dann gilt nicht das faire Verfahren, sondern dann zählt der Erfolg. Dann werden die rechtsstaatlichen Sicherungen der StPO oder der Polizeigesetze zum lästigen Hindernis, zum Täterschutz – Zeugnisverweigerungsrechte, die Pflicht zur Belehrung, das Verbot unter Täuschung oder unter Drogen zu vernehmen, die Wahrung der Berufsgeheimnisse bis hin zum Beichtgeheimnis. „Juristisches Rankenwerk” hat dergleichen der damalige Fraktionsvorsitzende Prof. Carstens einmal genannt. Aber in diesem Rankenwerk verwirklicht sich der Rechtsstaat.
Als das Bundesverfassungsgericht zur Postkontrolle durch den BND entschied, die Rechtsschutzgarantie könne durch eine parlamentarische Kontrolle ersetzt werden, veröffentlichte Lisken als Sprecher des Richterbundes in dessen Informationsblatt eine Todesanzeige für den Rechtsstaat des Grundgesetzes. Das hat ihm viel Ärger eingebracht.
Aber es ist ja richtig, dass der individuelle Rechtsschutz nicht Sache des Parlaments sein kann, in dem Politiker politische Entscheidungen treffen. Richter können sie um so weniger sein, als sie nur eine Seite hören, diejenige nämlich, die in einem konkreten Fall verfassungsmäßig garantierte Bürgerrechte, eben das Postgeheimnis, verletzen will. Das gilt natürlich auch, wenn ein Richter einer Abhörmaßnahme zustimmen soll. Es bleibt eine Verwaltungsentscheidung und es ist ein pseudorichterlicher Schutz, wenn der Entscheidung kein faires kontradiktorisches Verfahren zugrunde liegt.
Die Einschaltung eines parlamentarischen Gremiums mag den Machtmissbrauch erschweren, vor allem, wenn das Parlament bei der Zusammensetzung des Gremiums nicht nur auf die Wahrung des Proporzes achtet, sondern auch Personen wählt, die für die Aufgabe geeignet sind. Aber die Beteiligung an der Entscheidung erschwert auch eine spätere parlamentarische Kritik und ersetzt in keinem Fall die Benachrichtigung des Betroffenen mit der Möglichkeit der wenigstens nachträglichen gerichtlichen Kontrolle.
Es ist uns erst in diesen Tagen gelungen, wenigstens bei der Telefonkontrolle die Verpflichtung zu lückenloser späterer Benachrichtigung des Betroffenen durchzusetzen, wobei freilich die Verletzung der Rechte der zahl- und ahnungslosen Gesprächspartner des Betroffenen nur inzidenter überprüft werden.
Wir erleben in der Wohlstandsgesellschaft unserer Zeit ein wachsendes Unsicherheitsgefühl, ein wachsendes Sicherheitsbedürfnis und die zunehmende Bereitschaft, immer neue gesetzliche Eingriffs- und Strafmöglichkeiten zu schaffen. In aller Unschuld wird in bester Reagan-Manier ein „Krieg gegen die Kriminalität” gefordert oder die Waffengleichheit des Staates mit den Verbrechern, markiger Unfug, als ob es ein Standrecht über Straftäter gäbe oder der Staat mit terroristischen oder mafiosen Mitteln arbeiten könnte, sofern er ein Rechtsstaat bleiben soll. Schon Augustinus hat uns im vierten nach christlichen Jahrhundert erklärt, dass der Staat sich von einer organisierten Räuberbande durch nichts unterscheidet als durch das Recht. Und Lisken fragt treffend, wie eine Gesellschaft, die sich als wert bezogen sehen möchte, gerade diese Werte dadurch verteidigen will, dass sie sie immer weiter beseitigt.
Wir wissen, dass das Bedrohungsgefühl in keinem Verhältnis zu Art und Umfang der tatsächlichen Kriminalität steht. Es wird durch politische Parolen leichtfertig verstärkt, die eine Notstandssituation unterstellen.
So haben wir eine innenpolitische Aufrüstung erlebt, die ihresgleichen sucht: die Anhebung zahlreicher Strafdrohungen, die Vermögensstrafe, also die totale Enteignung eines Täters, der erweiterte Verfall, also der Einzug verdächtigen Vermögens ohne Nachweis seiner kriminellen Herkunft, die private Registrierung von Geldeinzahlern und die Verpflichtung zu Verdachtsanzeigen, Kontrollstellen mit Ausweispflicht für jedermann, Rasterfahndung, Kronzeugen, die sich durch Aussagen Absolution verschaffen können, das elektronische Belauschen des nichtöffentlichen Wortes und das heimliche Filmen, die Telefonkontrolle ganzer Firmen und die Beteiligung des BND an der Ermittlung von Straftaten, die Ausdehnung der Untersuchungshaft – und so weiter. „Krieg gegen die Kriminalität”: wer an äußere Machtmittel glaubt, ohne die eigentlichen Ursachen der Kriminalität zu beheben, wer das Ideal einer kriminalitätsfreien Gesellschaft als realistisch erreichbar verkündet, wer jede neue Eingriffsmöglichkeit gegen Einzelne nicht abwägt gegen die darin gleichzeitig enthaltene Freiheitsbeschränkung aller, der wird zwar unsere Rechtsordnung vollkommen ruinieren und das Rechtsbewusstsein dazu, seinen Krieg aber verlieren.
Zweifellos ist es die provozierendste These Liskens, es sei nicht Aufgabe der Polizei, Kriminalität zu bekämpfen, sondern das Recht zu verwirklichen. Sie habe im Strafprozess an der Wahrheitsfindung teilzunehmen und im Bereich der Gefahrenabwehr die Rechtsordnung zu wahren, nicht „Recht und Ordnung”, sondern die Rechtsordnung. Welche Ordnung sollte es denn neben dem Recht geben, wenn man damit nicht Eingriffsbefugnisse behaupten wolle, für die es keine gesetzliche Grundlage gebe?
Die Beschränkung der Polizei auf konkrete Rechtsverletzungen ist äußerst bedeutsam. Denn sie entscheidet die Frage, ob die Polizei auch dann eingreifen darf, wenn weder eine Rechtsverletzung, noch eine konkrete Gefahr vorliegt.
In den gegenwärtigen Polizeigesetzen verfestigt sich zunehmend die Tendenz, „vorbeugende” Zuständigkeiten der Polizei zu bejahen. Sie soll tätig werden, bevor eine konkrete Gefahr eingetreten ist. Vorbeugen ist besser als heilen. Also müsse sie schon im Vorfeld handeln können.
Was aber heißt Vorfeld? Wann beginnt es? Und was soll „im Vorfeld” zulässig sein?
Es geht konkret zunächst um die datenmäßige Erfassung von Personen, die freigesprochen wurden, aber nach Meinung der Polizei zu Unrecht. Es geht weiter um die Erfassung von Personen, von denen die Polizei meint, sie könnten in Zukunft eine Straftat begehen, von Zukünftigen Opfern, von zukünftigen Zeugen und Hinweisgebern, schließlich von zukünftigen sog. Begleit- und Kontaktpersonen. Das ist eine schöne Umschreibung von Lebensgefährten, Eltern, Mitarbeitern und Freunden. Sie brauchen keine Ahnung davon zu haben, dass sie polizeirelevante Kontaktpersonen sind, der Ausforschung unterliegen und im Konnex mit einer anderen Person gespeichert werden, obwohl sie unter keinerlei Verdacht stehen, eine strafbare Handlung begangen oder an ihr mitgewirkt zu haben.
Diese Ausdehnung ist nicht wüste Phantasie. Man findet das alles im Entwurf der Bundesregierung eines BKA-Gesetzes. Rechnet man zum Bestand unserer Rechtsordnung nicht nur materielle Güter, sondern in gleicher Weise die Privatheit, das Recht, vom Staat unbehelligt zu bleiben, solange man seine Gesetze befolgt, das informationelle Selbstbestimmungsrecht, dann ist das alles ein Eingriff in verfassungsmäßig verbürgte Rechte.
Das erinnert an die Vision des früheren BKA-Präsidenten Herold, die Polizei müsse schon vor dem Täter am Tatort sein können – ein Gedanke, von dem er später vernünftigerweise abgerückt ist. Es erinnert auch an die sog. Kieler Strafrechtsschule, die die Strafverfolgung vom Täter lösen und den Tätertyp erfassen wollte, das kriminogene Milieu, die Typen, die sich zwar – noch – nicht strafbar gemacht haben, denen die Polizei das aber aus welchen Gründen auch immer zutraut.
Dann ist der Weg nicht mehr weit, bestimmte politische oder ethnische Minderheiten als Gefahr zu betrachten, und sie nicht nur zu verdaten, sondern dieses „Gesindel” auch gleich vorbeugend einzusperren. Natürlich ist das eine Übertreibung. Niemand will das. Der Tyrann Dyonisos ließ einen Untertanen hinrichten, weil er von der Ermordung des Herrschers geträumt hatte. Wir aber leben in einem Rechtsstaat. Herr Zachert ist kein Tyrann. Aber es geht um die Struktur, die tendenziell zu immer weiterer Ausdehnung der Kontrollen treibt, vom Rechtsstaat zum Mißtrauensstaat. Bis vor kurzem hat es gesonderte sog. Landfahrerdateien gegeben, vulgo: Zigeuner, die nach Volkes Meinung bekanntlich stehlen. Wir haben eine Ausländerzentraldatei, in der alle Lebensäußerungen der in der Bundesrepublik lebenden Ausländer zentral erfasst werden. Asylbewerber werden grundsätzlich erkennungsdienstlich behandelt. Die Flensburger Verkehrsdatei ist online mit allen Polizeien verbunden. Was hindert uns eigentlich, vorsorglich alle Bundesbürger erkennungsdienstlich zu behandeln? Immerhin sind – man möge mir die Bemerkung nicht verübeln – die meisten Straftäter immer noch Deutsche.
Lisken hält dem entgegen: „Der Gesetzgeber ist nicht befugt, jedermann – wenn es nützlich erscheint – gefahren vorsorgend polizeipflichtig zu machen. Es kann Eingriffsbefugnisse für den Fall konkreter Drittgefährdungen geben. Aber: Die Kontrolle dessen, der niemanden gefährdet, ist nicht erlaubt. Seine Freiheit ist Polizeifest.”
Die provozierende Bemerkung Liskens, es sei nicht die Aufgabe der Polizei, Kriminalität zu bekämpfen, muss um die Frage ergänzt werden, wer das denn tun solle.
Niemand kann bestreiten, dass es eine der hervorragendsten Aufgaben des Staates ist, die Rechtsgüter seiner Bürger zu schützen. Das ist nicht, wie manche meinen, eine gewaltige Neuigkeit, ein Paradigmenwechsel, der in unserer etablierten Demokratie, an deren Unverbrüchlichkeit zu zweifeln schon wieder verdächtig macht, endlich wieder zulässig sei: Bürgerrechte nicht gegen den Staat, sondern ihre Gewährleistung durch ihn.
Dass der Staat die Pflicht hat, das Recht zu schützen, wissen wir seit mindestens 500 Jahren, seit dem Mainzer Ewigen Landfrieden von 1495. Aber der Staat kann damit keinen Erfolg haben, wenn er diese Aufgabe zuerst mit der immer weiteren Ausdehnung staatlicher Macht erfüllen will, also mit den äußeren Mitteln seiner Herrschaft. Polizeiliche Tätigkeit richtet sich zwangsläufig nicht gegen „Ganoven”, wie der heute politisch beliebte Ausdruck für mutmaßliche, aber noch nicht verurteilte Straftäter lautet, sondern gegen Menschen, die zu Recht oder möglicherweise zu Unrecht in Verdacht geraten und daher Objekt polizeilicher Tätigkeit geworden sind.
Die Bezeichnung „Ganove” ist einfach ein rhetorischer Trick, der dem Bürger vorspiegeln soll, dass sich eine polizeiliche Maßnahme, z. B. eine Wanze, niemals gegen ihn, den Bürger, richten könne, weil er selbstverständlich kein Ganove ist. Aber das hängt nicht von ihm, nicht einmal von seinem tatsächlichen Verhalten, sondern allein davon ab, ob er oder seine Kontaktperson in Verdacht geraten ist, eine Straftat begangen zu haben.
Darum ist für den Bürger das faire Verfahren, die Redlichkeit staatlicher Tätigkeit entscheidend für die Frage, ob er den Staat und seine Rechtsordnung als richtig und gerecht anzuerkennen vermag, oder ob ihm der Staat als ein Herrschaftsapparat gegen übertritt, in dem man besser nicht auffällt und den man zu fürchten hat. Die innere Sicherheit eines Staates beruht nicht auf seiner Stärke, sondern auf der Anerkennung seiner Bürger und ihrer Bereitschaft, in ihm Verantwortung zu übernehmen. Innere Sicherheit heißt nicht Aufbesserung der Kriminalstatistik, sondern innerer Frieden, kennzeichnet eine Gesellschaft, die mit sich im Reinen ist.
Lisken warnt unermüdlich vor dem Wandel des Rechtsdenkens zum Sicherheitsdenken, vom Rechtsstaat zum Präventionsstaat: „Der Irrtum liegt in der Annahme, dass der Mangel an politischer und moralischer Kraft, die strukturellen Begünstigungen illegaler Bereicherungen zu ändern, durch mehr Polizeimacht und härteres Vorgehen ausgeglichen werden könne.“
Er fügt hinzu, dass das in Wirklichkeit ein Symptom der Schwäche, ein Armutszeugnis sei. Und das stimmt ja auch.
Wie kann so einer Polizeipräsident sein?
Als Polizeipräsident hat Lisken für eine enge Verbindung von Bürgerschaft und Polizei, für leicht zugängliche Beratungsstellen für jedermann, für eine möglichst enge Zusammenarbeit der Polizei mit allen denkbaren Bereichen der städtischen Verwaltung gesorgt. Er hat auf die praktischen Probleme der Polizeiarbeit hingewiesen, die zu einer ungleichen Strafverfolgung dann führen, wenn die personelle und technische Ausstattung der Polizei nicht einmal ausreicht, um das geltende Recht anzuwenden. Und er hat vor allem Erfolg gehabt.
Er hat gezeigt, dass es nicht pure Theorie ist, wenn er am Ende eines Aufsatzes über die „inneren Gefahren für den Rechtsstaat des Grundgesetzes” zusammenfasst: „Das unvermeidliche Spannungsverhältnis zwischen den grundrechtlich garantierten Freiheiten für jedermann mit ihren immanenten Risiken einerseits und dem Verlangen nach höchstmöglicher Sicherheit vor Gefahren aller Art andererseits muss ertragen werden. Der Nächste schuldet mir Achtung meiner Rechte, aber nicht seine Freiheit zur Minderung meiner Risiken. Wer mehr verlangt, gefährdet die Freiheit aller.”
Hans Lisken hat sich in Lehre und Praxis unerschrocken und unbequem für die Freiheit des Einzelnen und für eine humane Gesellschaft verbürgt. Und darum gratulieren wir ihm und freuen uns mit ihm über die Verleihung eines Preises, dessen er wirklich würdig ist.

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