„Berufsverbote – ein Instrument für den Kampf gegen Rechtsradikale?“
Nach ihrem Koalitionsvertrag wollen die jetzigen Regierungsparteien „dafür sorgen, dass Verfassungsfeinde schneller als bisher aus dem öffentlichen Dienst entfernt werden können.“ Soll damit etwa eine Wiederbelebung der verhängnisvollen Berufsverbotepraxis der siebziger Jahre ins Werk gesetzt werden?
Vor 50 Jahren, am 28. Januar 1972, beschloss die Ministerpräsidentenkonferenz „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“. Dieser Beschluss – nicht etwa die Schaffung neuer Rechtsgrundlagen – gab den Anstoß für eine Vielzahl diskriminierender Maßnahmen, von denen fast ausschließlich Bürger und Bürgerinnen betroffen waren, die sich in linken Organisationen engagierten, dagegen kaum Rechtsradikale. Etwa 3.5 Mill. Menschen, die sich z. B. als Lehrer_innen beworben hatten, wurden damals vom Verfassungsschutz überprüft, etwa 11.000 Verfahren wurden eingeleitet und 1.500 Personen wurde der Zugang zu dem begehrten Beruf verwehrt. Eine zentrale Rolle spielte dabei der Begriff der „freiheitlichen demokratischen Grundordnung“: Die Betroffenen, so hieß es unter Berufung auf die entsprechende beamtenrechtliche Bestimmung (jetzt § 7 Abs. 1 S. 2 Beamtenstatusgesetz), würden wegen ihres politischen Engagements nicht „die Gewähr dafür bieten“, jederzeit für die „fdGO“ einzutreten. Dabei wurde dieser Begriff allerdings in verfassungsrechtlich unzulässiger Weise als Inbegriff des Status quo der politischen und sozialökonomischen Machtverhältnisse in der Bundesrepublik Deutschland ausgelegt. „Gerade so hat ihn das Grundgesetz aber nicht gemeint“, erklärt der Staatsrechtler Prof. Martin Kutscha, Vorstandsmitglied der Humanistischen Union. „Er soll vielmehr den weiten Rahmen für die politische Gestaltung umreißen, den unsere Verfassung einräumt. Wer sich z. B. für die Vergesellschaftung großer Immobilienkonzerne einsetzt, bewegt sich eindeutig innerhalb dieses Verfassungsrahmens, wie schon der Blick auf Art. 15 zeigt“.
Der Begriff der „fdGO“ umfasst, wie das Bundesverfassungsgericht in seinem zweiten NPD-Urteil vom 17. Januar 2017 richtig festgestellt hat, eben „nur jene zentralen Grundprinzipien, die für den freiheitlichen Verfassungsstaat unentbehrlich sind.“ Dazu zählt das höchst deutsche Gericht die Garantie der Menschenwürde sowie das Demokratie- und das Rechtsstaatsprinzip. „Unverzichtbar für ein demokratisches System“, so heißt es in der genannten Entscheidung weiter, ist „die Möglichkeit gleichberechtigter Teilnahme aller Bürgerinnen und Bürger am Prozess der politischen Willensbildung.“ – Genau diese gleichberechtigte Teilnahme aller – also auch und gerade Oppositioneller – wurde durch die Berufsverbotepraxis aber gerade unmöglich gemacht. Damit bewirkte diese Praxis eine empfindliche Einschränkung des Spektrums demokratischer Meinungs- und Willensbildung, indem Andersdenkende bespitzelt und mit beruflicher Existenzvernichtung bedroht wurden.
Schwerlich vereinbaren ließ sie sich auch mit dem Recht auf gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung (Art. 33 Abs. 2 GG). Und was die Mitgliedschaft in einer politischen Partei anbetrifft, die von der Exekutive als „extremistisch“ bezeichnet wird: Sofern nicht das Bundesverfassungsgericht die Verfassungswidrigkeit der betreffenden Partei festgestellt hat, ist das Engagement von Bürgerinnen und Bürgern hierfür durch die Art. 21 und 3 Abs. 3 geschützt. Dies wurde auch von der höchstrichterlichen Rechtsprechung bis 1973 so gesehen, wie die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 14. März 1973 zugunsten eines der NPD angehörenden Soldaten zeigt. Eine Abkehr von dieser Rechtsprechung wurde erst einige Zeit später vollzogen, als es um die Bewertung der Verfassungstreue linker Amtsbewerberinnen und -bewerber ging.
Die Warnung vor einem zunehmendem Einfluss Rechtsradikaler insbesondere in Polizeibehörden und Bundeswehr ist durchaus berechtigt. Ein untaugliches Mittel hiergegen wäre allerdings eine Rückkehr zur Berufsverbotepraxis der Siebziger. Die Forderung nach einer Wiedereinführung der „Regelanfrage“ beim Verfassungsschutz bei Neueinstellungen ignoriert völlig, in welchem Maße diese Institution bei der Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus bisher versagt hat. Nicht nur der Skandal um die Aufdeckung der „NSU“-Terrorzelle hat gezeigt, dass der Verfassungsschutz durch die Finanzierung zahlreicher V-Leute die Aktivitäten rechter Netzwerke eher fördert statt sie wirksam aufzuklären und den Strafverfolgungsbehörden die gebotenen Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.
Im Übrigen, so Kutscha, dürfe allein die politische Gesinnung oder das Engagement in legalen politischen Organisationen kein Anlass für diskriminierende Maßnahmen wie z. B. Berufsverbote sein. Die rechtsstaatliche Grenze wird insoweit durch das Strafrecht markiert: Wenn z. B. in Internetforen oder auf Telegram Volksverhetzung betrieben und zu Gewaltakten gegen Andersdenkende aufgerufen wird, ist eine effektive Strafverfolgung geboten. Darüber hinaus sind in solchen Fällen bei Beschäftigten im öffentlichen Dienst disziplinarrechtliche Maßnahmen angezeigt.