Bundeswehr in Afghanistan: Waffenstillstand und politischen Dialog unverzüglich einleiten
Angesichts der bevorstehenden Entscheidung über die Verlängerung des Afghanistan-Mandates der Bundeswehr fordert die Bürgerrechtsorganisation Humanistische Union, vereinigt mit der Gustav-Heinemann-Initiative (HU):
- Die Humanistische Union, vereinigt mit der Gustav-Heinemann-Initiative fordert den Bundestag auf, der Mandatsverlängerung die Stimme zu verweigern.
- Die HU fordert die unverzügliche Ausrufung eines Waffenstillstandes, um endlich eine wesentliche Voraussetzung für den zivilen Wiederaufbau des Landes zu schaffen. Dem Ende der Kampfhandlungen müssten sofortige Friedensverhandlungen folgen.
- Die HU fordert die Bundesregierung auf, unverzüglich in einen politischen Dialog mit den Organisationen der Friedensbewegung und der Entwicklungszusammenarbeit einzutreten, um das deutsche Engagement in Afghanistan konsequent zivil auszurichten. Zur Förderung dieses Dialogs unterstützt die HU die im Februar 2011 geplante Arbeitstagung von Friedensbewegung und entwicklungspolitischen Organisationen zur nachhaltigen Entwicklung Afghanistans.
Die Humanistische Union (HU) fordert die Abgeordneten des Deutschen Bundestages auf, der erneuten Mandatsverlängerung der Bundeswehr in Afghanistan (ISAF-Mandat) am 28. Januar 2011 die Stimme zu verweigern. „Der auch von Militärexperten nicht für möglich gehaltene Sieg über die Aufständischen und das Fehlen umfassender politischer Lösungsvorschläge von seiten der Bundesregierung machen die weitere Mandatsverlängerung zu einem Durchhalteappell ohne Perspektive“, erklärte Werner Koep-Kerstin, Vorstandsmitglied der HU.
Das jüngst im Interview mit der Süddeutschen Zeitung (22.1.2011) vom Kommandeur der ISAF-Truppen, General David Petraeus, hervorgehobene starke Engagement der Bundeswehr bei der Aufstandsbekämpfung in Afghanistan belegt, dass die Bundesregierung mit der Mandatsverlängerung auch weiterhin Tausende von Opfern auf allen Seiten des Krieges und unter der Zivilbevölkerung in Kauf zu nehmen bereit ist. Den eher vorsichtigen Opferangaben der UN-Hilfsmission Afghanistan zu Folge könne man demnach mit jährlich rund 2.500 Opfern rechnen. „Keines der im ISAF-Mandat genannten Ziele rechtfertigt derartig viele Opfer. Eine Zustimmung zum Mandat ist aus ethischen Gründen nicht vertretbar“, meinte Koep-Kerstin.
Die Strategie, durch militärischen Druck die Taliban und andere Gruppen an den Verhandlungstisch zu zwingen, geht nicht auf. In einer Anhörung des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages im Dezember 2010 haben Experten darauf hingewiesen, dass es kontraproduktiv sei, Führer der Aufständischen mit gezielten Tötungen zu beseitigen, wenn man gleichzeitig bei der Suche nach politischen Friedenslösungen auf Verhandlungspartner angewiesen sei. Als Bürger- und Menschenrechtsorganisation weisen wir darauf hin, dass die gezielten Tötungen – oftmals mit unschuldigen zivilen Opfern verbunden und ohne Vorliegen eines gegenwärtigen akuten Angriffs von Seiten des Zielopfers – gegen fundamentale Menschenrechte verstösst.
Im neuen Mandat wird ein erster Abzug von Bundeswehreinheiten aus Afghanistan noch in diesem Jahr davon abhängig gemacht, dass die Sicherheitslage es dann erlaubt. Das Zuwarten auf eine bessere Sicherheitslage durch die Hoffnung auf das Funktionieren einer „Übernahme der Sicherheitsverantwortung durch afghanische Sicherheitskräfte“ als Voraussetzung für einen ersten Truppenabzug ignoriert die Tatsache, dass sich die Sicherheitslage seit Jahren verschlechtert hat. Für die von der Bundesregierung in ihrem „Fortschrittsbericht Afghanistan“ vom Dezember 2010 erwartete Trendwende gibt es keine substantiellen Anzeichen. Gewiss sollten die Afghanen im Rahmen ihrer Souveränität für ihre Sicherheit selbst sorgen. Es wäre aber fatal, wenn die Bundesregierung durch Übertragung der Sicherheitsverantwortung auf die Afghanen das Scheitern ihrer bisherigen Strategie diesen gewissermaßen zuschieben würde.
„Jetzt ist nicht kleinliches Gezerre zwischen Bundesregierung und Opposition um ein Abzugsdatum für erste Bundeswehrkontingente gefragt. Diese Diskussion ist ohnehin innenpolitisch mit Blick auf Wahlen in Deutschland bestimmt und nicht von den Erfordernissen und Bedürfnissen der Menschen in Afghanistan „, erklärte das HU-Vorstandsmitglied. Statt vager Abzugsversprechungen sind konkrete Abzugspläne vorzulegen, die mit dem sofortigen Rückzug von Bundeswehreinheiten beginnen und die Sicherheit der mit den internationalen Truppenstellern kooperierenden afghanischen Bürgern verantwortlich regeln. Es gibt sehr wohl Alternativen zum Kurs der Bundesregierung, wenn diese bereit wäre, ihre Bunkermentalität abzulegen und sich dem Dialog mit Friedensbewegung und entwicklungspolitischen Organisationen zu öffnen, statt diese für militärische Zwecke dienstbar zu machen.
„Die Bundesregierung kann jetzt schon durch politische Initiativen dafür sorgen, dass sie bei der Einschätzung der Sicherheitslage Ende des Jahres nicht primär auf militärische Lagebeurteilungen angewiesen ist“, erklärte das HU-Beiratsmitglied Prof. Alexander Wittkowsky. Diplomatische und politische Initiativen für den Dialog über umfassende Friedenslösungen sind geeignet, die Voraussetzungen für einen Abzug der ISAF-Truppen zu schaffen. Jetzt geht es vor allem um Initiativen für ein Ende der Kampfhandlungen – auch auf regionaler Ebene – und um den Vorrang entwicklungspolitischer und ziviler Anstrengungen vor den militärischen – gerade im Hinblick auf die Mittelausstattung.
Diese Fragestellungen sind Gegenstand einer Arbeitstagung von Personen und Organisationen der Friedensbewegung und Entwicklungspolitik, die am 19./20. Februar 2011 in Hannover stattfindet. Die Tagung wird vom Bundesausschuss Friedensratschlag, der Kooperation für den Frieden, der Plattform Zivile Konfliktbearbeitung und dem Verband Entwicklungspolitik Deutscher Nichtregierungsorganisationen e.V. getragen; die Humanistische Union engagiert sich in der Konferenzvorbereitung. Gegenstand der Arbeitstagung konferenz sind Wege zur Beendigung des Krieges, Leitlinien einer zivilen Afghanistanpolitik und das Herausarbeiten gemeinsamer Positionen und Empfehlungen. Das Programm der Tagung und ein vorbereitendes Diskussionspapier finden Sie unter https://www.humanistische-union.de/veranstaltungen/2011/ bzw. in den unten angehängten Dateien.