Härtefälle. Verhinderte Frauenförderung und indirekte Diskriminierung
Marei Pelzer
Grundrechte-Report 1997, S. 49-52
Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist noch längst nicht erreicht. Daß nach Artikel 3 Absatz 2 GG Männer und Frauen gleichberechtigt sind, hat nicht dazu geführt, daß Frauen tatsächlich gleichgestellt sind.
Dieser Grundgesetz-Artikel enthält sowohl ein Diskriminierungsverbot als auch ein Förderungsgebot. Die Ansichten darüber, was letzteres beinhaltet, gehen weit auseinander.
Denjenigen, die im Satz „Männer und Frauen sind gleichberechtigt“ überhaupt kein Förderungsgebot erkennen konnten, ist spätestens seit seiner Ergänzung durch einen weiteren Satz die Argumentationsgrundlage entzogen worden. Im Zuge der Verfassungsreform von 1994 wurde eingefügt: „Der Staat fördert die Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern und wirkt auf die Beseitigung bestehender Nachteile hin.“ Wie weit diese Förderungspflicht geht, ist allerdings nicht völlig geklärt. Manche Stimmen wollen sie lediglich auf die Förderung der Chancengleichheit beziehen. Dagegen meinen andere, mit der Frauenförderung sei Ergebnisgleichheit der Geschlechter in allen gesellschaftlichen Bereichen anzustreben.
Wenige leiten aus dem Förderungsgebot auch ein subjektives Recht ab, so daß einzelnen Frauen ein einklagbarer Anspruch auf Förderung zustehen würde (so Slupik, Vera, Die Entscheidung des Grundgesetzes für Parität im Geschlechterverhältnis, 1988).
Aber selbst wenn in Artikel 3 Absatz 2 GG nur eine objektivrechtliche Förderungspflicht erblickt wird, klaffen Wirklichkeit und Verfassungsanspruch weit auseinander. Zentrales Mittel der Frauenförderung im öffentlichen Dienst sollen die in den einzelnen Bundesländern erlassenen Gleichstellungsgesetze oder Frauenfördergesetze sein. Der Frauenanteil soll in allen Hierarchiestufen der Verwaltung erhöht werden.
Fast in allen Bundesländern gibt es mittlerweile Gleichstellungsgesetze. Viele sind jedoch durch Unverbindlichkeiten und Unzulänglichkeiten geprägt. Ein Beispiel dafür ist das Landesgleichberechtigungsgesetz in Baden-Württemberg, das seit dem 1.Januar 1996 in Kraft ist. Die von den Landesbehörden bestellten Frauenbeauftragten müssen häufig gegen ihren Willen und oft ehrenamtlich diese Aufgabe übernehmen; für ihre Qualifizierung hat die Landesregierung bislang nichts getan.
Um Frauenförderung durchzusetzen, bedarf es verbindlicher Vorgaben. Im kommunalen Bereich ist die Umsetzung des baden-württembergischen Gleichstellungsgesetzes den Städten und Gemeinden jedoch eigenverantwortlich überlassen. Die Kommunen wurden nicht einmal verpflichtet, Frauenbeauftragte einzusetzen. Auch eine Quotenregelung ist in diesem Gesetz nicht vorgesehen. Sanktionen für die Nichtbeachtung der Fördervorgaben fehlen.
Nicht alle Gleichstellungsgesetze sind derart unzureichend. Das hessische Gleichstellungsgesetz enthält eine verbindliche Quote. Die Frauenbeauftragte wacht über die Einhaltung des Frauenförderplans, sie kann Personalentscheidungen, die Frauen mit gleicher Qualifikation nicht entsprechend berücksichtigen, mit ihrem Vetorecht blockieren.
Ein positives Beispiel liefert auch die brandenburgische Landesregierung. Sie will für öffentliche Aufträge Unternehmen bevorzugen, die sich der Gleichstellung der Frau angenommen haben. Dies zeigt, daß der Staat auch frauenfördernd auf die Privatwirtschaft einwirken kann.
Gerade die fortschrittlichen Regelungen sind aber jetzt durch die Rechtsprechung des früher eher frauenfreundlichen Europäischen Gerichtshofes (EuGH) gefährdet. Das Gericht entschied am 17.Oktober 1995, die Frauenquote im öffentlichen Dienst Bremens verstoße gegen das Recht der Europäischen Union. Geklagt hatte ein männlicher Angestellter der Stadt Bremen. Seine Bewerbung um eine Sachgebietsleitung des Bremer Gartenbauamtes war negativ ausgegangen. Ihm wurde eine Frau vorgezogen. Der EuGH nahm einen Verstoß gegen die EU-Richtlinie zur Gleichheit der Geschlechter im Arbeitsleben an. Eine automatische Bevorzugung von Frauen ohne Beachtung einer Härtefallklausel diskriminiere den Mann.
Von einer Bundesregierung, die an Frauenförderung wirklich interessiert ist, ist zu fordern, daß sie sich für die Änderung der EU-Richtlinien einsetzt.
Derzeit wird das EuGH-Urteil sogar vielerorts zum Anlaß genommen, jegliche Form der Quotierung in Frage zu stellen. So hat das Oberverwaltungsgericht Münster im Dezember 1995 die nordrhein-westfälische Quotenregelung als rechtswidrig eingestuft, da sie nicht mit europäischem Recht übereinstimme. Der EuGH habe auch über Quoten mit Härtefallklausel entschieden. Mit einer haarsträubenden Begründung werden dem EuGH Antworten auf Fragen unterstellt, die er bewußt offenhalten wollte. Eine Entscheidung des EuGH zur Quotierung mit Härtefallklausel steht erst noch an. Demnächst wird der EuGH einen entsprechenden Fall prüfen, der ihm vom Verwaltungsgericht Gelsenkirchen vorgelegt wurde.
Allerdings werden Quotenregelungen durch Härtefallklauseln so durchlässig, daß ihr Ziel der Frauenförderung in der Praxis nur schwer durchzusetzen ist. Schon das gängige Kriterium „Bevorzugung bei gleicher Qualifikation“ kann leicht umgangen werden. Meist ist die Frage der Qualifikation nicht frei von Wertungen. Eine Härtefallklausel eröffnet den Personalverwaltungen erst recht die Möglichkeit, die Quote zu unterlaufen, beispielsweise mit der Begründung, der männliche Bewerber sei Alleinverdiener in der Familie.
Nicht nur auf dem Gebiet der Frauenförderung versagt der Staat. Auch beim Abbau von Diskriminierungen kommt er seinem Verfassungsauftrag oft nicht nach.
Zu unterscheiden sind direkte und indirekte Diskriminierungen. Es gibt heute kaum noch Gesetze, die ausdrücklich Männer und Frauen unterschiedlich behandeln und so Frauen direkt diskriminieren. Direkte Diskriminierungen waren in Normen enthalten, deren Wortlaut unmittelbar an ein bestimmtes Geschlecht anknüpfte, ohne daß dies durch einen besonderen Grund gerechtfertigt gewesen wäre, zum Beispiel im Namensrecht, bis das Bundesverfassungsgericht 1991 das männliche Namensprivileg für verfassungswidrig erklärte.
Weitaus häufiger werden Frauen heute indirekt bzw. mittelbar durch Gesetze diskriminiert. Wenn durch eine Regelung zwar beide Geschlechter erfaßt, real aber wesentlich mehr Frauen als Männer nachteilig betroffen sind, liegt eine mittelbare Diskriminierung vor. Beispielsweise ist die Teilzeitarbeit gegenüber der Vollzeitarbeit in manchen Bereichen rechtlich schlechter gestellt. So gilt die Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für teilzeitbeschäftigte Arbeiterinnen in bestimmten Fällen nicht. Nun ist Teilzeitarbeit überwiegend Frauenarbeit. Gut ein Drittel aller erwerbstätigen Frauen arbeitet Teilzeit, bei Männern beträgt der Anteil nur drei Prozent. Die Nachteile der Teilzeitarbeit treffen also fast ausschließlich Frauen. Bemühungen des Staates, solche Diskriminierungen abzubauen, sind kaum wahrnehmbar.
Insgesamt gesehen hat der Staat weder die Förderung von Frauen noch den Abbau von Diskriminierungen hinreichend umgesetzt. Artikel 3 Absatz 2 GG muß endlich ernst genommen werden.