Hoheitliche Verrufserklärungen - Verfassungsschutzberichte verletzen Grundrechte
Jürgen Seifert
Grundrechte-Report 1997, S. 216-223
Bis zum Ende der 60er Jahre verfaßten die Verfassungsschutzbehörden nur interne Berichte. Diese Texte lagen im Sommer 1958 den Versuchen von Bundesinnenminister Gerhard Schröder (CDU) zugrunde, die von den Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Freidemokraten getragene Kampagne „Kampf dem Atomtod“ durch die von der illegalen KPD initiierten Initiativen zu diskreditieren. Das damals entwickelte Schema wirkt weiter: Auch eine von demokratischen Kräften getragene Bewegung erfülle objektiv nichts als die Funktion, den von einem Feind (das hieß damals: die von den Kommunisten der „sowjetisch besetzten Zone“, kurz: SBZ) vertretenen Interessen zu nützen. Kurz: Wer dem Feind nützt, unterstützt ihn.
Die während der sozial-liberalen Ära in Bonn durchgesetzte Veröffentlichung der von den Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder erstellten Unterlagen durch die jeweiligen Innenminister bzw. -senatoren sollte die Arbeit des Verfassungsschutzes transparenter machen und verobjektivieren. Aufgrund der Verantwortung des zuständigen Ministers wurden sie auf die Ebene der Politik geschoben. Das Bundesverfassungsgericht hat sie 1976 mit dieser Begründung auch zu bloßen politischen Meinungsäußerungen herabgestuft (BVerfGE 40, 293). Das hat das Bundesverwaltungsgericht in den Verfahren über „Berufsverbote“ nicht gehindert, solche Einordnungen zur Grundlage zu nehmen, um eine Partei oder Organisation als „verfassungsfeindlich“ einzustufen. Kritiker haben damals von „hoheitlichen Verrufserklärungen“ gesprochen, gegen die sich (im Widerspruch zur Rechtsweggarantie des Grundgesetzes) niemand wehren könne. Das gelte gerade für Fälle, in denen Einzelpersonen in internen Berichten namentlich genannt würden.
Sowohl die dadurch bewirkte Tendenz zur Versachlichung der Berichte der Verfassungsschutzbehörden als auch die Tatsache, daß die Berichte in den vergangenen Jahren zwar langsam, dann aber doch zunehmend rechtsextremistische Gruppierungen in den Vordergrund stellten, haben dazu beigetragen, daß gegenwärtig die Kritik an den veröffentlichten Berichten des Verfassungsschutzes in der breiten Öffentlichkeit nahezu verstummt ist.
Dabei wird übersehen, daß einige Verfassungsschutzbehörden (sowohl im Bund wie in einzelnen Ländern) nach wie vor bestimmte Politiker, Verwaltungs- und Polizeiinstanzen mit internen Berichten versorgen, die häufig unter der Rubrik „VS-Vertraulich“ versandt werden. Ein Beispiel dafür sind die „Informationen des Niedersächsischen Verfassungsschutzes“, die am 4.1.1987 den Bericht „Extremistische Agitation und Aktivitäten gegen die Volkszählung 1987“ enthielten. In dem Bericht hieß es, der „Widerstand“ gegen die Volkszählung sei im „wesentlichen von politischen Extremisten initiiert“; in dem Papier wurden diese nicht einmal ansatzweise skizziert, jedoch 15 „Gruppen“ aufgezählt, die sich gegen die Volkszählung ausgesprochen hätten. Die Liste reichte von den Grünen bis zur Humanistischen Union (HU). Es bedurfte der Klage vor dem Verwaltungsgericht, ehe das Innenministerium die Nennung der HU bedauerte. (Bezeichnenderweise ermittelte die Staatsanwaltschaft Hannover nicht wegen Verleumdungen in diesen Texten, sondern gegen den Bruch der Verschwiegenheitspflicht, also gegen diejenigen, die solche Diskreditierungen durch eine staatliche Behörde aufgedeckt haben.)
Nach diesem Schema der Diffamierung „nicht linksextremistischer“ Gruppierungen durch Zuordnung zu Linksextremisten verfährt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) gegenüber der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg (BI) in dem im Herbst 1996 erstellten Bericht: „Linksextremistische/militante Bestrebungen im Rahmen der Anti-Castor-Kampagne – Konzepte, Gruppen, Szenenobjekte und Personen (Wendland)“. Der Bericht verletzte die Zuständigkeit des niedersächsischen Landesamtes. Doch der Innenausschuß des Landtags erörterte ihn, ohne ihn zurückzuweisen.
Zur Aufgabe des Verfassungsschutzes gehört die Beobachtung von Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind ( § 3 BVerfSchG). Wenn die Autoren des Berichtes im Rahmen des gesetzlichen Auftrages geblieben wären, hätten sie das Papier nicht vorlegen dürfen, denn der Kernsatz lautet:
„Der Widerstand gegen die Lagerung von Atommüll wird wesentlich von der – nicht linksextremistischen – BI (Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg) getragen“ (S. 19).
Schon umstritten ist, ob das Kriterium „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ bei folgenden Feststellungen überhaupt gegeben ist, denn schwammiger geht es nicht: „autonomes Spektrum“ und „Autonome Gruppen“. Das aber heißt: Man weiß nicht, wer! Was soll das Auflisten von Organisationen, wenn zugestanden werden muß: Die Beteiligung an Aktionen „bedarf noch der Klärung“. Kurz: Es fehlt jeder Nachweis einer „Betätigung“:
„Der politisch motivierte und gewalttätige Protest gegen Atomtechnologie wird im wesentlichen aus dem militanten autonomen Spektrum getragen“ (S. 12). „Die Gruppe ‚Hau weg den Scheiß‘ führte mehrere Anschläge gegen Strommasten in Brandenburg durch“; zu Anschlägen „durch Wurfanker“ gegen „die Oberleitungen der Bahnstrecken Magdeburg-Berlin, Strahlsund-Berlin und Schwedt-Berlin bekannten sich ‚autonome Gruppen'“ (S. 13).
„Die Deutsche Kommunistische Partei (DKP) und die Kommunistische Partei Deutschlands (KPD) (eine nur wenige Mitglieder umfassende Funktionärsgruppe) propagieren teilweise den gewaltsamen Kampf gegen die Atomkraft. Eine Beteiligung an gewaltsamen Protestaktionen gegen CASTOR-Transporte nach Gorleben (konnte) bisher nicht festgestellt werden“ (S. 16).
„Verlautbarungen und Äußerungen aus dem Bereich der PDS machen deutlich, daß die Partei in der Anti-Castor-Kampagne ein wichtiges politisches Aktionsfeld sieht“ (S. 17). „Ob und ggf. in welchem Umfang die PDS ‚vor Ort‘ Aktionen militanter Kernkraftgegner unterstützt, bedarf noch der Klärung“ (S. 19).
Das gilt auch für die Erwähnung einer von der gewaltfreien und pazifistischen „Graswurzelbewegung“ öffentlich durchgeführten Gleisblockade und den Satz:
„Auch für die nächsten Transporte werden wieder Aktionen in Köln angekündigt: ‚das gesamte Streckennetz der Bahn AG bietet sich an'“ (S. 14).
Die meisten solcher „Erkenntnisse“ konnte man zuvor in der Presse lesen. Ein Anschlag von Bahn-Erpressern wurde dabei (auch vom BfV) „den“ Autonomen zugerechnet. Aus solchen Zeitungsmeldungen konstruiert der Bericht folgende „Gefahrenlage“:
„Nach neuesten Erkenntnissen streben Atomkraftgegner – darunter auch Linksextremisten – verstärkt eine räumliche Ausweitung und Intensivierung ihrer Aktionen an. Taktisches Ziel der Atomkraftgegner ist es, den finanziellen Aufwand für Schutz und Sicherungsmaßnahmen bei der Durchführung der Castor-Transporte in eine wirtschaftlich nicht mehr vertretbare Höhe zu treiben, die letztlich politisch nicht zu rechtfertigen wäre“ (Hervorheb. im Original, S. 12).
Der Bericht hat in Presseveröffentlichungen nur deshalb Resonanz finden können, weil er mit Kunstgriffen und Rechtsverletzungen arbeitet:
Der erste Kunstgriff besteht darin, die „nicht linksextremistischen“ Bürgerinitiativen einem Feind zuzuordnen: den „Linksextremisten“. Zwischen beiden Kräftegruppierungen (die unterschiedliche Größenordnung wird hier bewußt ausgeklammert) besteht für den Verfassungsschutz ein Konsens: Sie haben ein gemeinsames Ziel. Mit Hilfe eines solchen Konsenses wird ein Zusammenhang konstruiert (der nicht existiert) zwischen Aktionen von denjenigen, die „sich vornehmlich oder ausschließlich gegen dieses Lager (Gorleben) richten bzw. in dieser Region verübt werden“, und jenen, die von „militanten Atomkraftgegnern bundesweit“ (S. 5) durchgeführt werden. Das in diesem Satz verwandte Wort „militant“ leitet über zum
zweiten Kunstgriff: Er liegt in der Verwendung des Militanz-Begriffes, und zwar in einer undifferenzierten Form, etwa in dem Satz (S. 8): „dem Gedanken der Militanz (wird) bei der Durchführung zukünftiger Widerstandsaktionen zunehmend Bedeutung beigemessen“. Militantes Verhalten, wenn es gewaltfrei erfolgt, widerspricht nicht dem Grundgesetz. So gibt es in den Auseinandersetzungen der Tarifparteien den Streik als ein äußerst militantes Kampfmittel. Auch Demonstrationen können (zum Beispiel in der Form einer befristeten Blockade) militant durchgeführt werden, ohne sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung zu richten. Der Militanz-Begriff als solcher hat somit nichts mit der für die Arbeit des Verfassungsschutzes maßgebenden Frage zu tun, ob eine Vereinigung „verfassungsfeindliche Ziele“ verfolgt oder nicht. Erst dann, wenn verfassungsfeindliche Zielsetzungen vorliegen, wird die Frage relevant: ob eine „Bestrebung“ versucht, dieses Ziel durch verfassungsfeindliche Betätigung („militant“) zu erreichen.
In dem Bericht wird der Militanz-Begriff eingeführt, um bewußt den Unterschied zwischen den „nicht linksextremistischen“ Bürgerinitiativen samt Demonstranten und „Gewalt praktizierenden“ Linksextremisten zu verwischen. So werden bloße Kontakte zu Häftlingen der RAF aufgelistet und die von der Berliner Autonomen-Zeitschrift INTERIM veröffentlichte Strategie einer „Orientierung auf die Bahn“ als „Vorfeld“ in Zusammenhang gebracht mit der Losung der Bürgerinitiative „NIX3 – Wir stellen uns quer!“ und einem Interview in der von der Bürgerinitiative herausgegebenen Zeitschrift Restrisiko, wo das „Vorfeld“ (anders als bei den „Autonomen“) den „Abschnitt der Straße zwischen dem Verladekran in Dannenberg und dem Zwischenlager in Gorleben“ bezeichnet. Wer genau liest, erkennt, daß der Widerstand „der“ Autonomen anders aussieht als die Blockierung der Straße nach Gorleben und der „politische Druck“ der Bürgerinitiative. Die Verwendung des Militanz-Begriffs erfüllt also die Funktion: Den Bürgerinitiativen in Lüchow-Dannenberg sollen gewalttätige Aktionen im Bundesgebiet, insbesondere im Bereich der Bahn, zugerechnet werden.
Der erste und der zweite Kunstgriff müssen als Einheit gesehen werden. Das wird schon in der Überschrift des Papiers deutlich gemacht: „Linksextreme // militante Bestrebungen“. Diese nur auf dem Papier mögliche Wortzusammenstellung soll etwas suggerieren, was nicht bewiesen werden kann: „Linksextremisten“ und „Militante“ sind eine Einheit.
Den dritten Kunstgriff in dem Bericht sehe ich darin, daß die Unterscheidung zwischen einer öffentlich durchgeführten begrenzten Regelverletzung in der Form des zivilen Ungehorsams (wie dies Bürgerinnen und Bürger erneut auf sich nehmen wollen, die von der Bürgerinitiative angesprochen werden) und den im verborgenen durchgeführten Aktionen von Autonomen (und anderen Gruppierungen) bewußt verwischt wird. In dem einen Fall sind Bürgerinnen und Bürger in aller Öffentlichkeit bereit, mit ihrer Person für eine Übertretung oder ein Vergehen einzustehen (um auf diese Weise ihre Entschiedenheit zu zeigen und Öffentlichkeit zu erreichen); im anderen Fall halten es Gruppierungen (zwar auch aus politischen Gründen) für geboten, Straftaten zu begehen; aber das geschieht heimlich, mit „mehr Schläue und Verschlagenheit, mehr Heimtücke und Zwangsstops für Castor“ (S. 8, Zitat aus INTERIM).
Angesichts der breiten Diskussion über die aus den USA übernommene Aktionsform des zivilen Widerstandes kann nicht davon ausgegangen werden, daß es Unkenntnis ist, wenn das BfV den Unterschied zwischen der öffentlich praktizierten Regelverletzung und der heimlich durchgeführten Straftat ignoriert. Deshalb ist zu vermuten, daß der Bericht die Funktion hat, den Polizeibeamten im Einsatz gegenüber den friedlichen Bürgerinnen und Bürgern, die nichts anderes tun, als mit lauteren Gründen die Straße zu blockieren, die Hemmungen zu nehmen, die sie beispielsweise beim ersten Castor-Transport in der Mehrheit noch hatten. Mit anderen Worten: Jeder, der sich dem Castor-Transport in den Weg stellt, soll von der Polizei als gewöhnlicher Krimineller behandelt werden können.
Die erste Grundrechtsverletzung des Berichtes ist zu finden in der Nennung des Namens einer Person, die persönlich verantwortlich gemacht wird für ein Ereignis, das nichts mit „verfassungsfeindlichen Bestrebungen“ im Sinn der gesetzlichen Aufgabenbestimmung für den Verfassungsschutz zu tun hat. So werden „Ausschreitungen durch ca. 250 Atomkraftgegner an der Umladestation der CASTOR-Behälter“ erwähnt, wobei ein „Sachschaden von ca. 20000 DM“ entstanden sei; sie werden mit der Bemerkung kommentiert: „Nach Feststellungen der Polizei wurde die Aktion von der Vorsitzenden der BI Birgit HUNECKE geleitet“ (S. 11). Selbst wenn diese Feststellung zutreffen würde, hätte eine solche Erwähnung einer Straftat nichts in einem Bericht des Verfassungsschutzes zu suchen; denn eine Straftat kann nicht als „verfassungsfeindliche Bestrebung“ im Sinn von § 3 BVerfSchG angesehen werden. Zudem hat die Bürgerinitiative die Behauptung, Frau Hunecke habe diese Aktion „geleitet“, bestritten. Die für jeden Bürger bestehende Unschuldsvermutung muß auch der Verfassungsschutz einhalten; d. h.: Auch er darf niemanden als Straftäter bezeichnen, bevor dieser nicht rechtskräftig verurteilt ist.
Die namentliche Nennung von Personen erfolgt auch, ohne daß es um eine Straftat geht und ohne daß ein konkreter Nachweis geführt wird, ob diese Person ohne Zweifel in den Zusammenhang einer „verfassungsfeindlichen Bestrebung“ gehört. Zur Begründung für eine solche namentliche Nennung dienen lediglich die Zurechnung zum „militanten Bereich der Anti-AKW-Bewegung“ und der Hinweis auf eine mehrfache Verurteilung „zu Geldstrafen“.
Eine besondere Form der Verunglimpfung ist darin zu sehen, daß einer Person, die als „Mitarbeiterin im Büro der BI“ bezeichnet wird, Gespräche bzw. briefliche Beziehungen mit entlassenen bzw. inhaftierten Mitgliedern der RAF vorgehalten werden, ohne auf die Zielrichtung solcher Kontakte einzugehen. Hätte es sich dabei um eine Unterstützung einer terroristischen Vereinigung gehandelt, so hätte die Polizei einschreiten müssen; wenn das nicht der Fall ist und wenn die Zielrichtung ausgeklammert bleibt, muß auch der Verfassungsschutz schweigen. Weil Verfassungsschutzbehörden in anderen Zusammenhängen davon ausgehen, daß die RAF nicht mehr existiert, macht diese Nennung deutlich: Es geht bei dieser bloßen Kontaktschuld einer Einzelperson um nichts anderes als die Zuordnung der Bürgerinitiative zu einem Feind. Es soll der Eindruck erweckt werden, die Bürgerinitiative habe etwas mit Terrorismus zu tun.
Eine zweite Rechtsverletzung ist in der Sprache des Textes zu sehen. Als Beispiel sei erwähnt, daß Wohngemeinschaften kurzerhand als „Szeneobjekte“ bezeichnet werden. Zur Begründung genügt in einem Fall ein einziger Satz: „Das Haus dient Kernkraftgegnern als Anlaufstelle“ (S. 21). Auch für solche hoheitlichen Verrufserklärungen gegenüber den genau angegebenen Häusern gibt es in den Verfassungsschutzgesetzen keine Rechtsgrundlage.
Die verwendete Sprache zeigt: Hier wird bewußt ein einheitliches Feindbild geschaffen. Es beginnt mit der Kombination „linksextremistische/militante Bestrebungen“ und reicht von „Szeneobjekten“ zu „Szeneblättern“. Neben den Militanz-Begriff tritt die Feindformel: „Szene“. Das ergänzt alte Feindbilder in der Polizei wie „Chaoten“, „Punks“ oder „Zecken“.
Zusammenfassung: Der Bericht des BfV hat nichts zu tun mit der Sammlung und Auswertung von Erkenntnissen über verfassungsfeindliche Bestrebungen. Es handelt sich um ein propagandistisches Pamphlet, das sich vor allem gegen die „nicht linksextremistische“ Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg richtet.
Im „Bericht“ geht es nicht um die Auswertung von Erkenntnissen über „verfassungsfeindliche Bestrebungen“, sondern um das Produzieren von Feindbildern: „militante Kernkraftgegner“ und „Szene“. Einerseits wird zwar zwischen „linksextremistischen“ und „nicht linksextremistischen“ Gegnern der Castor-Transporte unterschieden, andererseits wird dieser Unterschied jedoch systematisch verwischt.
Diejenigen, die sich entschieden, aber im Rahmen des Grundgesetzes gegen eine Lagerung des Atommülls in Gorleben wenden, werden mit Hilfe der Konsensschuld, des Militanz-Begriffes, der Kontaktschuld und durch sprachliche Kampfformeln denjenigen zugeordnet, die der Verfassungsschutz als „verfassungsfeindliche Bestrebungen“ bezeichnet. Dadurch und durch das geschaffene Feindbild verletzt der Bericht die Grundrechte der „nicht extremistischen“ Bürgerinnen und Bürger, die gegen die Lagerung atomarer Brennstäbe in Gorleben mit verfassungsrechtlich anerkannten Mitteln des zivilen Ungehorsams protestieren.
Der Bericht erfüllt auch die Funktion, die Öffentlichkeit zu beeinflussen und beim nächsten Castor-Transport Hemmungen der eingesetzten Polizisten gegenüber verfassungstreuen, aber entschiedenen Demonstranten abzubauen. Dem dient auch die Forderung des Präsidenten des BfV, Peter Frisch, an die Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg, sich von denen zu distanzieren, die Wurfanker werfen. Dieses Beispiel zeigt, in welcher Weise eine Verfassungsschutzbehörde die ihr durch Gesetz gesetzten Schranken zu überschreiten versucht. Bei ihrem Bericht geht es (das zeigt auch das Übersenden einer gekürzten Version – in der auch das „VS-Vertraulich“ fehlt – an den Spiegel und die Süddeutsche Zeitung), um den Versuch politischer Einwirkung eines Amtes, das den Schutz der Verfassung als Staatsschutz betreibt und seine Aufgabe mit Aktivität für spezifische Regierungspolitik verwechselt. Es stellt damit seine Legitimation in Frage.