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Scientology - Keine Arbeits­be­schaf­fung für den Verfas­sungs­schutz

Jürgen Seifert

Grundrechte-Report 1997, S. 107-112

Der Bundestag hat eine Enquetekommission zum Problem „Scientology Church“ (SC) eingesetzt; beim Hamburger Senat gibt es eine Arbeitsgruppe Scientology; das Land Bayern will die „Berufsverbotspraxis“ auf SC übertragen; einzelne Bundesminister und Baden-Württemberg halten die Überwachung dieser Organisation durch den Verfassungsschutz für geboten; das Bundesinnenministerium und andere Länder lehnen ein solches Vorgehen als nicht angemessen ab. Das macht deutlich: Scientology gilt als Problem. Wie aber wird eine offene Gesellschaft mit diesem Problem fertig?

Bei der „Scientology Church“ – 1953 in den USA von Ronald Hubbard gegründet – werden anlehnungsbedürftige Menschen in einem „Auditing“ mit verdrängten Problemen der eigenen Vergangenheit konfrontiert. Dadurch werden sie anfällig für angebotene Konzepte der Aufarbeitung. Das Versprechen, nicht nur geheilt zu werden, sondern künftig selbst als „Auditor“ eine heilende und zugleich gewinnbringende Funktion ausüben zu können, bringt Menschen in den Bann von SC. Eine ausgeklügelte Methode, die Selbstsicherheit und Aufstieg verspricht, verführt diejenigen, die meist auf der Straße angesprochen werden, zu finanziellen Verpflichtungen, von denen sie nicht mehr loskommen. Diejenigen, die durch eine solche Behandlung gehen, glauben, daß sie „clear“ werden. „Clears“, das heißt Scientologen, sind von „Aberrationen“ freie, vernünftige Menschen; alle anderen gelten als „Aberriten“. Erst wenn es einen „geklärten Planeten“ gibt, könne eine „wirkliche“ oder „menschliche“ Demokratie verwirklicht werden. Abtrünnige werden zu „Feinden“ erklärt; eine „Person, die in den Ethik-Zustand des Feindes zurückgestuft worden ist“, gilt als „vogelfrei“.

Auf dieser Grundlage ist ein finanzielles Imperium entstanden, das sich von den USA über die westliche Welt hinaus verbreitet und in der Bundesrepublik in spezifischer Weise Fuß gefaßt hat. Besonders in der Immobilienbranche soll diese Organisation auch in einigen Großstädten der Bundesrepublik aktiv geworden sein.

Freunde und Eltern der Betroffenen werden mit Recht durch solche Vorgänge aufgeschreckt. Der geschäftliche Erfolg von SC paßt zudem zu der Vermutung, die Eigendarstellung von Scientology als „Church“ diene lediglich der Tarnung und sei nichts anderes als ein Kunstgriff, steuerliche Vorteile zu erzielen.

Scientology hat in der Bundesrepublik schätzungsweise etwa 30000 Menschen in ihren Bann gezogen und eine nicht übersehbare Finanzkraft entfalten können. Dieses und die hermetisch abgeschlossene Struktur von Scientology, die Berichte von Opfern und die Selbstdarstellung dieser Organisation (insbesondere durch die Schriften von Ronald Hubbard) haben in der Bundesrepublik zu öffentlichen Reaktionen geführt. Scientology soll verboten oder vom Verfassungsschutz observiert und damit geächtet werden.

I. Die Frage eines Verbotes von Scientology: Der Streit darüber, ob Scientology als Religionsgesellschaft anzusehen ist oder nicht, bleibt unfruchtbar; man wird SC den verfassungsrechtlichen Schutz als Weltanschauungsgemeinschaft nicht absprechen können. Nach einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aus dem Jahre 1971 (BVerwGE Bd. 37, S. 362ff) können solche Gemeinschaften als Vereinigungen gemäß Art. 9 Abs. 2 Grundgesetz dann verboten werden, wenn „sie den Strafgesetzen zuwiderlaufen“ oder wenn sie „sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richten“. Im Vereinsgesetz fehlt allerdings eine ausdrückliche Regelung für solche Fälle.

a) Das Institut der Deutschen Wirtschaft hat in einer Dokumentation aus dem Jahre 1994 davon gesprochen, daß sich „aus dem Umgang mit Scientology“ folgende Straftaten ergeben können: „Wirtschaftsspionage und Veruntreuung, Illoyalität, Begünstigung im Amt, unlauterer Wettbewerb und Verstöße gegen die Verschwiegenheitspflicht“. Doch die Vorwürfe von strafgesetzwidrigen Tätigkeiten, die dieser Vereinigung zuzurechnen wären, haben sich nicht bestätigt. Eine Umfrage des Bundeskriminalamtes erbrachte in den meisten Ländern das Ergebnis, daß zwischen Mai 1995 und Mai 1996 „keine Straftaten bekannt geworden“ seien.

b) Die Auffassung, daß es sich bei Scientology „um einen Extremismus neuen Typs handelt“, der „längerfristig verfassungsfeindliche Zielsetzung vertritt“, hat 1996 der Politologe Hans-Gerd Jaschke in einem Gutachten dargelegt, das er im Auftrage des Verfassungsschutzes Nordrhein-Westfalen auf der Grundlage des von diesem Amt gesammelten Materials erstattet hat. Jaschke versucht nachzuweisen, daß es sich bei SC um eine politische Organisation handelt, die verfassungsfeindliche Ziele vertritt, weil sie so etwas wie Weltherrschaft anstrebt und weil sie einem militanten Freund-Feind-Denken verhaftet sei, das sich gegen Abtrünnige und Kritiker richte. Für ein Verbot reicht nach der Rechtsprechung allerdings nicht eine bloße „verfassungsfeindliche“ Zielsetzung aus; es muß eine „verfassungsfeindliche Betätigung“ hinzukommen. Jaschke versucht, diese unter der Überschrift „Freund-Feind-Denken und Militanz bei SC“ an Hand von Sätzen des Scientology-Gründers Hubbard nachzuweisen:

Die flammende „Verteidigung einer Machtperson gegenüber einem Kritiker“ könne „auch darin bestehen, daß einer seiner Feinde in der Dunkelheit beseitigt wird oder daß das ganze feindliche Lager als Geburtstagsüberraschung in riesigen Flammen aufgeht“.

Ich will eine solche Aussage, die keine Ausnahme ist, nicht verharmlosen; aber ein Verbot dieser Organisation setzt voraus, daß es tatsächliche Anhaltspunkte dafür gibt, daß Scientology sich in der Bundesrepublik in dieser Weise betätigt. In den bisher vorliegenden Expertisen gibt es keinen Hinweis darauf, daß Scientology in Deutschland gegenüber Kritikern und Abtrünnigen über bloße Maßnahmen des „Isolierens“ oder „Abstrafens“ hinausgegangen ist. Selbst bei beweisbaren Übergriffen wäre im Einzelfall nachzuweisen, daß diese der Organisation als solcher zuzurechnen sind.

Auch wenn bewiesen werden könnte, daß Scientology als Unternehmen (wie andere internationale Firmen) mit einem transnationalen „Werkschutz“ agiert, müßte die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörden (in Analogie zur Spionageabwehr) auf diesen Bereich beschränkt bleiben.

Angesichts der Rechtslage und der bekannten Fakten ist es somit korrekt, wenn das Bundesinnenministerium das Risiko einer Aufhebung eines Verbots von SC durch das Bundesverwaltungsgericht gescheut hat.

II. Die Frage einer Observation von Scientology durch den Verfassungsschutz:

a) Rechtliche Voraussetzungen: Auch eine Beobachtung von SC durch den Verfassungsschutz mit Hilfe nachrichtendienstlicher Mittel setzt voraus, daß diese Organisation als verfassungsfeindliche Bestrebung im Sinne der Verfassungsschutzgesetze anzusehen ist. Es muß sich um eine politische Vereinigung handeln, die sowohl in der Zielsetzung als auch in der konkreten Form der Betätigung in Deutschland Anhaltspunkte dafür gibt, daß es sich um eine „verfassungsfeindliche Bestrebung“ handelt. Das müßte bei einer Klage von Scientology vor Verwaltungsgerichten nachgewiesen werden können. Ob das angesichts der bisherigen Erkenntnis gelingen würde, ist äußerst zweifelhaft.

b) Faktische Bedeutung einer Observation durch den Verfassungsschutz: Unabhängig von den verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Schranken bestehen erhebliche Zweifel, ob die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gegenüber Scientology oder einzelnen Mitgliedern überhaupt geeignet wäre, eine verfassungsfeindliche Betätigung dieser Organisation zu erfassen. Auf der einen Seite geht es bei der Aktivität der Führungspersonen in Deutschland primär um wirtschaftliche Fragen; auf der anderen Seite stehen diejenigen, die auf der Grundlage des „Auditing“ auf den Qualifizierungsstufen aufsteigen; sie sind mehr oder weniger Mitläufer, die nichts über die Praxis der Führungspersonen berichten können. Es könnte Jahrzehnte dauern, bis eingeschleuste V-Personen in den „innersten Kern“ vordringen. Dabei besteht bei der spezifischen Form des „Auditing“ die besondere Gefahr, daß solche Agenten umgedreht werden. Auch die Telefonüberwachung nach dem G 10-Gesetz ist nicht auf solche Fälle zugeschnitten.

Zu beachten ist, daß die Verfassungsschutzbehörden nicht das Recht haben, einzelne „Scientologen“ (sofern ihre Mitgliedschaft mit nachrichtendienstlichen Mitteln festgestellt ist) in irgendeiner Form als solche öffentlich zu bezeichnen. Das gilt auch für die Bekanntgabe ökonomischer Besitzverhältnisse (Beispiel: Grund- und Wohnungseigentum) und die finanzielle Beteiligung von Scientology an wirtschaftlichen Unternehmungen. Die Bundesrepublik gäbe die freiheitlichen Voraussetzungen ihrer Verfassung auf, wenn es möglich würde, Bürgerinnen oder Bürger öffentlich wegen einer religiösen oder weltanschaulichen Einstellung (Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz) durch Staatsorgane öffentlich zu diskriminieren. Auch die Rubrizierung als „Scientologe“ (oder Freund eines solchen) kann den Ruf der Betroffenen nachhaltig ruinieren; niemand kann sich dagegen wehren, weil niemand das Gegenteil nachweisen kann.

Angesichts dieser rechtlichen oder tatsächlichen Schranken würde ein Beschluß der Innenministerkonferenz über die Anwendung nachrichtendienstlicher Mittel gegenüber Scientology primär der öffentlichen Diskriminierung dieser Vereinigung dienen. Der Sache nach handelt es sich um eine hoheitliche Verrufserklärung. Es ist nicht ausgeschlossen, daß ein solcher Verwaltungsakt der Anfechtung vor den Verwaltungsgerichten nicht standhält.

In keinem Staat der Welt wird ein Geheimdienst gegen Scientology eingesetzt. In der Bundesrepublik ist der Verfassungsschutz als Instrument gegen SC auch deshalb ins Blickfeld gerückt, weil ein Verbot nur auf der Grundlage einer Einstufung als „verfassungsfeindliche Bestrebung“ realisierbar erscheint und weil innerhalb der Verfassungsschutzbehörden nach dem Ende des Kalten Krieges neue Aufgaben gesucht werden. Doch der Verfassungsschutz löst nicht die Herausforderung durch Scientology.

III. Gesichtspunkte für ein wirksames Vorgehen gegen Scientology: Ein gesellschaftliches Problem wie Scientology ist nicht umfassend und mit einem Schlage zu lösen. Unabhängig vom populären Verbalaktionismus haben Gerichte der Tätigkeit von Scientology schon heute Grenzen gesetzt. Das Bundesarbeitsgericht hat 1995 festgelegt, daß zwingende arbeitsrechtliche Schutzvorschriften auch für vereinsrechtliche Arbeitsverhältnisse innerhalb von SC gelten (BAG, NJW 1996, S. 143ff). Das Bundesverwaltungsgericht hat im selben Jahr festgestellt, daß die „Abgabe von Waren“ oder das „Erbringen von Dienstleistungen“ im Rahmen von Scientology als Betrieb eines stehenden Gewerbes anzusehen ist (BVerwG, ZIP 1995, S. 563ff). Andere Gerichte haben die spezifische Straßenwerbung von Scientology unterbunden.

Wirksamer als eine Einschaltung der Verfassungsschutzbehörden ist die von Hamburg angestrebte gesetzliche Regelung der gewerblichen Lebenshilfe und des sogenannten Psychomarktes. Auf dieser Grundlage könnte jeder, der ein solches Gewerbe betreibt, gezwungen werden, das Verfahren der Behandlung offenzulegen und damit eine Überprüfung der angewandten Psychotechniken möglich zu machen. Ein Widerspruch im Rahmen einer gesetzlichen Vierwochenfrist könnte den ganzen Vertrag nichtig machen. Mit anderen Worten: Wie in anderen Bereichen der Gesellschaft sollen vermehrt Gewerbeaufsicht und Gesundheitsämter eingreifen können.

Der Umgang mit Scientology ist für die Bundesrepublik deshalb exemplarisch, weil hier entschieden wird, ob eine an Grundrechten orientierte Gesellschaft ein Problem wie Scientology ohne Feindbild und ohne das Außerkraftsetzen der Voraussetzungen einer freien Gesellschaft bewältigt. Es gibt kein Patentrezept; aber das Abwälzen einer solchen Frage auf den Verfassungsschutz löst nicht das Problem, sondern schafft, das ist sicher, nur neue Probleme. Die Feinsteuerungen einer Zivilgesellschaft sind wirksamer als bloßes Unterdrücken.

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