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Auslie­fe­rung in Folter­staa­ten?

Sorgloser Umgang mit Auslieferungsanträgen der Türkei

Grundrechte-Report 2007, Seiten 65 – 69

Folterstaaten können sich der wohlwollenden Kooperationsbereitschaft deutscher Gerichte sicher sein – politische Verfolgte hingegen scheinen sich auf nichts mehr verlassen zu können. Dies ist eine bittere Erfahrung, die der aus der Türkei geflohene Kurde Yusuf K. im Frühsommer 2006 machen musste. Obwohl er in der Türkei gefoltert worden war und deswegen in Deutschland den Flüchtlingsstatus erhalten hatte, saß er über drei Monate in Auslieferungshaft. Der sorglose Umgang mit Auslieferungsanträgen der Türkei und die bereitwillige Anordnung von Auslieferungshaft ist leider kein Einzelfall. Die Auslieferung von Yusuf K. in die Türkei konnte nach monatelangem Bangen nur knapp verhindert werden.

Als Yusuf K. im Mai 2005 vom Verwaltungsgericht Frankfurt als Flüchtling anerkannt worden war, fühlte er sich zum ersten Mal seit langem wieder sicher. Er wollte ein neues Leben anfangen und die Vergangenheit hinter sich lassen. Im Juni 2006 hatte er einen Job antreten wollen. Doch es kam anders. Am 3. Mai 2006 fand sich Yusuf K. in der Justizvollzugsanstalt Weiterstadt wieder. Die Türkei beantragte im Frühjahr 2006 seine Auslieferung. Auf einen Schlag hatte ihn die Vergangenheit wieder eingeholt.

Yusuf K. war 1996 vom Staatssicherheitsgericht in Izmir zu lebenslanger Haft verurteilt worden. Er soll Mitglied in der Vereinigung TKP/LM gewesen sein und verschiedene Einzeldelikte begangen haben. Zehn Jahre lang hatte er in der Türkei im Gefängnis gesessen. Yusuf K. schildert in einer Mitteilung an die Presse vom 1. Juni 2006 seine Erlebnisse: »In der Zeit in meiner Haft in der Polizeiabteilung für politische Angelegenheiten wurde ich unzählige Male mit Elektroschocks (an Geschlechtsorganen, Zunge und Ohren) gefoltert. Mehrmals wurde ich am >palästinensischen Haken

Folter­ge­fahr als Haftgrund?

Da Yusuf K. rechtskräftig als Flüchtling anerkannt worden war, wären Zweifel an der Zulässigkeit nicht nur der Auslieferung selbst sondern schon an der Haft angebracht gewesen. Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main, das über die Auslieferung zu entscheiden hatte, war zwar nicht formell an die Asylanerkennung gebunden (§ 4 Satz 2 AsylVfG). Es hat aber in seiner Entscheidungen die Genfer Flüchtlingskonvention und die Europäische Menschenrechtskonvention zu beachten. Auf zynische Weise setzte sich das OLG über die drohende Menschenrechtsverletzung hinweg und wendete sie sogar gegen Herrn K. Die Foltergefahr wertete das Gericht als Anreiz für Yusuf K., sich dem Auslieferungsverfahren zu entziehen: »Hinzu kommt, dass gerade die von dem Verfolgten vorgetragenen Umstände, Herbeiführung des der Verurteilung zugrunde liegenden Geständnisses durch Folter und weiterhin drohende Folter, den Anreiz zur Flucht, um der Strafvollstreckung eines nach Auffassung dies Verurteilten auf einem erpressten Geständnis beruhenden Urteils in der Türkei zu entgehen, deutlich werden lassen.« (OLG Frankfurt, Beschluss v. 23. 5. 2006, Az. 2 Ausl A 36/06).

Zusicherung schützt nicht vor Folter

Im weiteren Verfahren versuchte das Gericht die Auslieferung dadurch zu ermöglichen, dass es von der Türkei die Zusicherung verlangte, dass Yusuf K. seine Haft in einem Gefängnis Typ F fortsetzt, und dass die deutsche Botschaft Gelegenheit erhält, den Inhaftierten aufzusuchen und sich über die konkreten Haftbedingungen zu informieren.

Im Zuge des »internationalen Kampfes gegen den Terrorismus« werden derartige Zusicherungen vermehrt eingesetzt, um »Terrorismusverdächtige« auszuliefern oder sonstwie zwangsweise an andere Staaten zu überstellen. Human Rights Watch hat in einer Studie vom April 2005 zahlreiche Fälle dokumentiert, in denen europäische Staaten, Kanada und die USA das absolute Folterverbot mittels diplomatischer Zusicherungen unterlaufen haben. Wie wenig diplomatische Zusicherungen, bestimmte Personen nicht zu foltern, in der Praxis wert sind, zeigen auch Berichte des »UN Comittee Against Torture«, etwa im Falle der Abschiebung von zwei des Terrorismus ver-
dächtigten Personen von Schweden nach Ägypten, die trotz eines vereinbarten Überwachungsmechanismus gefoltert wurden (CAT/C/32/D2003, 2.8 Agiza and al-Zari vs. Schweden).

Auch im Fall Yusuf K. hätte die geforderte Zusicherung eine Umgehung des Menschenrechtsschutzes bedeutet. Falls Yusuf K. ausgeliefert worden und erneut gefoltert worden wäre, hätte die Bundesrepublik keinerlei völkerrechtlichen Anspruch gehabt, die Auslieferung wieder rückgängig zu machen. Diplomatischen Druck kann vorangegangene Menschenrechtsverletzung nicht rückgängig machen. Zusicherungen stellen ein völlig ungeeignetes Mittel zur Vorbeugung gegen die Gefahr der politischen Verfolgung und Folter dar.

Verstoß gegen rechts­s­taat­li­ches Verfahren

Dass die Auslieferung durch das Oberlandesgericht am 23. August 2006 schließlich doch für unzulässig erklärt worden ist, wovon zunächst aufgrund der Haftbeschlüsse desselben Gerichts nicht auszugehen war, ist vor allem auf das Engagement der Menschenrechtsorganisationen und die Arbeit des Anwalts zurückzuführen. Letztendlich konnte dem OLG Frankfurt deutlich gemacht werden, dass die Auslieferung unter anderem aufgrund der rechtsstaatlichen Garantien der Europäischen Menschenrechtskonvention und der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte unzulässig ist.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in ständiger Rechtsprechung festgestellt, dass ein Angeklagter vor den früheren Staatssicherheitsgerichten der Türkei kein faires Verfahren zu erwarten hatte und deshalb bei Verurteilung durch diese Gerichte generell ein Verstoß gegen Artikel 6 EMRK vorliegt (Grundsatzentscheidung v. 9. 6. 1998 41/1997/825/1031). Im Fall von Herrn K. konnten darüber hinaus zahlreiche Verstöße gegen die Rechtsstaatlichkeit des Verfahren belegt werden: die »Zeugenvernehmung« erfolgte allein durch Niederschriften – sie konnten vom Angeklagten nicht befragt werden. Das Recht, Fragen an die Belastungszeugen stellen zu dürfen, gehört zu einem rechtsstaatlichen Verfahren zwingend hinzu.
Weiterhin wurden die Angaben von Herrn K. während des Strafverfahrens, er sei von der Polizei gefoltert worden, zu keinem Zeitpunkt angemessen gewürdigt. Schließlich wurde das Recht auf einen Verteidiger missachtet. Herr K. wurde sowohl von Polizei und Staatsanwaltschaft als auch vor dem Staatssicherheitsgericht ohne Verteidiger vernommen.

Störfeuer aus dem BMJ

Das OLG hätte wahrscheinlich wesentlich früher festgestellt, dass die Auslieferung von Herrn K. rechtsstaatswidrig ist, wenn das Bundesjustizministerium (BMJ) sich anders verhalten hätte. Statt gegenüber dem OLG und der Staatsanwaltschaft die Unzulässigkeit der Auslieferung deutlich zu machen, hat das BMJ die Betreibung der Auslieferung sogar noch gestützt, indem es gegenüber dem OLG die Auslieferung von Yusuf K. für unbedenklich erklärte. Im Schreiben vom 4. August 2006 teilte ein Mitarbeiter des BMJ der Generalstaatsanwaltschaft mit: »Darüber hinaus teile ich mit, dass im Einvernehmen mit dem Auswärtigen Amt zurzeit keine Anhaltspunkte erkennbar sind, die eine Bewilligung der Auslieferung ausschließen.« Hätte das BMJ anders agiert, wären Yusuf K. vielleicht die monatelange Auslieferungshaft und die damit einhergehenden psychischen und physischen Belastungen erspart geblieben.

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