Neue deutsch-vietnamesische Freundschaft?
Jahrelange Auslieferungshaft unter Ausblendung der Menschenrechte
Grundrechte-Report 2007, Seiten 62 – 65
Am 17. Juni 2004 wurde die vietnamesische Staatsbürgerin N. in Berlin wegen des Vorwurfes des Drogenhandels festgenommen – ein Ereignis, das an und für sich noch nicht der Rede wert ist. Die Besonderheit des Falles lag darin, dass es um Drogenhandel in Vietnam ging und sie aufgrund eines Auslieferungsbegehrens der Sozialistischen Volksrepublik Vietnam in deutsche Auslieferungshaft genommen wurde, wo sie fast zwei Jahre, bis zum 6. Juni 2006, zubringen musste. Nach dem Willen der Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht Berlin und des Kammergerichts Berlin wäre sie die erste vietnamesische Staatsbürgerin gewesen, die jemals aus Deutschland nach Vietnam ausgeliefert worden wäre.
In Vietnam war eine größere, des Drogenhandels verdächtigte Personengruppe festgenommen worden. Aus dieser Gruppe heraus war Frau N. beschuldigt worden, mit Heroin gehandelt zu haben. Die Beschuldigte hat sich zu diesem Zeitpunkt aber bereits in Deutschland befunden, wo sie auch vorher lange Zeit gelebt hatte. Die Anschuldigung war auch deswegen bemerkenswert, weil Frau N. vor deutschen Strafverfolgern gegen Verdächtige der Gewaltkriminalität (vietnamesische Schutzgelderpressung) ausgesagt und insbesondere einen mutmaßlichen Bandenchef schwerer Straftaten bezichtigt hatte, weswegen dieser nach seiner Verurteilung Rache geschworen hatte.
Drohende Todesstrafe kein Auslieferungshindernis?
Der Kronzeuge im vietnamesischen Prozess wurde im übrigen kurz nach Erstattung seiner nicht sonderlich ergiebigen Aussage gegen Frau N. hingerichtet. Dies ist in Vietnam keine Besonderheit. Das Land gehört neben China zu den Ländern, die weltweit am meisten Todesstrafen vollstrecken und das fast ein Drittel aller veröffentlichten Todesstrafen für Drogendelikte verhängt. Dazu hatte amnesty international bereits ausführlich nachgewiesen, dass rechtsstaatliche Standards, insbesondere in Drogenverfahren, in Vietnam nicht eingehalten werden. Die Generalstaatsanwaltschaft in Berlin und ihr folgend das Kammergericht hielten jedoch die drohende Todesstrafe und die nicht rechtsstaatlichen Verhältnisse ebenso wenig wie die menschenunwürdigen Haftverhältnisse für ein Auslieferungshindernis. Vietnam hatte gegenüber der deutschen Regierung immerhin zugesichert, eine Todesstrafe gegen Frau N. nicht zu vollstrecken und die Haftbedingungen entsprechend dem Mindeststandard der UNO zu gewährleisten. Diese von der vietnamesischen Regierung abgegebene Zusicherung entspricht einer weltweit mittlerweile oft geübten Praxis im Rechtshilfe-und Auslieferungsverkehr. Berichte über Menschenrechtsverletzungen, unfaire Verfahren und menschenunwürdige Haftbedingungen von Menschenrechtsorganisationen, die das Bestehen einer tatsächlich menschenrechtlich bedenklichen Situation in Vietnam oder in anderen Ländern belegen, sollen quasi mit einem Handschlag unter den Regierungsvertretern für nicht relevant erklärt werden. Dass dann die Bundesregierung im Fall von Auslieferungen oder aber auch im Fall von Abschiebungen zumeist gar nicht kontrollieren kann, welchem Schicksal die ausgelieferten oder abgeschobenen Personen nach ihrer Rückkehr in das Heimatland anheim fallen, kümmert deutsche Gerichte im Falle von Auslieferungs- und Abschiebungsentscheidungen wenig. Folgerichtig erklärte das Kammergericht mit einem dünnen Beschluss vom 12. Mai 2005 die Auslieferung nach Vietnam für zulässig.
Breite Koalition gegen Auslieferung
Zur Verteidigung von Frau N. hatte sich inzwischen eine breite Koalition von Menschenrechtsorganisationen, Seelsorgern und Vietnam-Experten gegründet, die die Zustände in Vietnam und die drohende Auslieferung stark und mit detailliert dargelegten Argumenten kritisierte. Frau N. legte Verfassungsbeschwerde ein und erst das Bundesverfassungsgericht stoppte mit einem Beschluss vom 22. November 2005 ihre Auslieferung nach Vietnam. Das Bundesverfassungsgericht beanstandete, dass das Kammergericht bei der Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung den Vortrag der Rechtsanwälte zur Rechtsstaatlichkeit des Verfahrens in Vietnam im Allgemeinen sowie zu Drogendelikten und zu ihrem Fall im Besonderen nicht hinreichend berücksichtigt hatte. Wer nun glaubte, dass das Kammergericht nach dieser Rüge aus Karlsruhe Frau N., immerhin Mutter von vier teilweise minderjährigen Kindern, die ebenfalls in Berlin lebten, aus der Auslieferungshaft entlassen würde, irrte. Es sollte weitere acht Monate dauern, bis Stellungnahmen des Bundesjustizministeriums und des Auswärtigen Amtes das Blatt wendeten und die Generalstaatsanwaltschaft schließlich die Freilassung der Verfolgten anordnen musste.
Der Fall ist gleichermaßen typisch wie bemerkenswert. Denn in den vergangenen Jahren hatten die für Auslieferungen zuständigen Oberlandesgerichte und, ihnen oft folgend, das Bundesverfassungsgericht, Auslieferungen in die Todesstrafenländer Russland und die Vereinigten Staaten von Amerika, für zulässig erklärt. Das Schema war dabei oft ähnlich: Der von Menschenrechtsorganisationen erhobenen und oft substantiierten Kritik an den dortigen Verhältnissen wurden zwischen den Regierungen getroffene Zusicherungen und Abreden entgegengestellt und für höher bewertet. Man dürfe im Auslieferungsverkehr nicht die in Deutschland gültigen rechtsstaatlichen Maßstäbe anwenden, sondern müsse die Besonderheiten des Verfolgerstaates berücksichtigen, lautete das stereotyp hergebrachte Argument. So wäre auch Frau N. ohne weiteres nach Vietnam ausgeliefert worden, obwohl letztlich sowohl das Auswärtige Amt als auch das Bundesjustizministerium, die zuvor an der Einleitung des Auslieferungsverfahrens beteiligt waren, zugeben mussten, dass in diesem Staat keine rechtsstaatlichen Verhältnisse herrschen. Lediglich der engagierte Einsatz der Helfer und Verteidiger von Frau N. sorgte dafür, dass die Verhältnisse in Gefängnissen und vor Gerichten in Vietnam bei den bundesdeutschen Gerichten berücksichtigt wurden. Hätte Frau N. nicht aufgrund ihrer hervorragenden Kontakte die Aufklärung über die Menschenrechtslage in Vietnam vorangetrieben, wäre sie schon nach wenigen Monaten abgeschoben worden. Zurück bleibt der schale Geschmack eines hart erkämpften Sieges vor bundesdeutschen Gerichten, den Frau N. mit einer fast zweijährigen Auslieferungshaft bezahlen musste, während der sie aufgrund ihrer Todesängste körperlich und psychisch teilweise schwer angeschlagen war.