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Tag und Nacht überwacht

Grundrechte-Report 2007, Seiten 55 – 57

Außergewöhnliche Situationen erfordern außergewöhnliche Maßnahmen. Und welche Aufgabe stellt die Polizei weltweit vor größere Herausforderungen als die Verhinderung von Terroranschlägen? Auch außergewöhnliche Überschreitungen sicher geglaubter Grenzen häufen sich, seit Staaten sich auf das äußerste herausgefordert sehen. Und auch im Inland treten erste Fälle auf, die befürchten lassen, dass unter der Flagge der Terrorismusbekämpfung die Garantie der Menschenwürde einen zunehmend hohlen Klang bekommt.

In dem Fall einer Berlinerin geht es dabei nicht um Folter oder Misshandlung, sondern um unmenschlichen Überwachungsdruck. Die junge Frau war vor Jahren bereits zum Islam konvertiert und zog ein aus der Beziehung zu einem strenggläubigen Muslim stammendes Kind auf. Sie bewegte sich in Kreisen praktizierender Muslime und nutzte auch deren elektronische Foren. Von einem auf den anderen Tag im April 2006 war das Leben der jungen Frau nicht mehr wie vorher: Eine von Polizei und Gesundheitsamt vorbereitete Aktion überraschte sie am helllichten Tage. Aufgrund familienrichterlicher Anordnung wurde ihr das Kind weggenommen und in eine Pflegefamilie gegeben, ihre Wohnung wurde durchsucht und sie selbst in die Psychiatrie verbracht. Zur Begründung beriefen sich Polizei und Gesundheitsamt darauf, dass die junge Frau ein Selbstmordattentat im Namen des Jihad vorgehabt habe, bei dem sie sich, ihr Kind und weitere Menschen in den Tod reißen wollte. Sie habe dies in einem Internet-Chatroom mit anderen gläubigen Muslimen diskutiert. Nachdem der Versuch, sie in die Psychiatrie zwangseinzuweisen, gescheitert war – die Fachärzte fanden keinerlei Anhaltspunkte für eine Fremd- oder Selbstgefährdung -, wurde sie in ihre Wohnung entlassen. Bald darauf stellten sich ihr mehrere Beamtinnen und Beamte einer Dienststelle des Berliner Landeskriminalamts vor, die schwerpunktmäßig mit der islamistischen Szene befasst ist. Sie folgten der Betroffenen nunmehr Tag und Nacht auf Schritt und Tritt im Abstand von einem Meter. Sie konnte ihre Wohnung nicht mehr verlassen, ohne durchsucht zu werden. Jederzeit befanden sich in ihrer unmittelbaren Nähe Polizeibeamte, die auch ohne weiteres erkennbar waren. Ein Polizeifahrzeug stand Tag und Nacht vor ihrer Haustür. Nicht nur beim Einkaufen, sondern auch vor dem Eintritt in die Kanzlei ihrer Rechtsanwältin und bei ihrem Verlassen wurde sie einer intensiven Leibesvisitation unterzogen. Es könnten sich ja Waffen in ihren Schuhen befinden. Bis zum Bankschalter wurde sie verfolgt: Polizeibeamte traten dicht an die junge Frau heran und gaben per Funk – und für die Umstehenden hörbar – durch, was für Geldscheine ihr ausgezahlt wurden. Kurzum: Die junge Frau verfügte außerhalb ihrer vier Wände nicht mehr über den Hauch eines Privatlebens. Sie muss auch davon ausgehen, dass ihre Telekommunikation lückenlos überwacht wird: ihr Handy war ihr mehrfach von der Polizei abgenommen und untersucht worden. Im Telecafe drängte sich eine Beamtin mit in die Telefonkabine und jede Telefonnummer wurde vor dem Wählen notiert – wenn die Beamtin das Telefonat nicht gleich selbst tätigte.

Ein Nähe-Distanz-Verhältnis eigener Art

Die absolut entnervte Betroffene rief schließlich das Berliner Verwaltungsgericht an. Die mündliche Verhandlung über ihren Eilantrag im Juni 2006 dauerte nicht lange, dann verpflichtete sich der Polizeipräsident in Berlin, die ganz offensichtlichen Maßnahmen einzustellen. Die Betroffene hat damit wenigstens im Angesicht ihrer sozialen Umgebung ein Stück ihrer Würde zurückerhalten. Freilich dauert die Überwachung, nunmehr leidlich diskreter, bis heute an. So pflegen die observierenden Beamten seitdem einen Abstand von mehr als einem Meter, vermeiden Uniformen, nutzen zivile Fahrzeuge. Durchsuchungen und ständiger Sichtkontakt zu den Beamten bestimmen aber weiterhin die Tagesordnung der Betroffenen. Auch ihr Kind darf sie nur kurzzeitig sehen. Als die Routine zwischen Überwachern und Überwachter überhandzunehmen schien, wies die Polizeiführung ihre Beamten an, nicht etwa zu engen
persönlichen Kontakt zu der Betroffenen zu pflegen. Die Folge war, dass die Beamten von ihr nicht mehr vorher erfuhren, wo sie hingehen wollte, und ihre Spur manchmal verloren. Wie zur Strafe gingen sie daraufhin wieder für einige Tage zur hautnahen Überwachung über.

Über die Frage, ob sie tatsächlich die Neigung zu einer gemeingefährlichen Gewalttat aus religiösen Motiven hatte – was sie bis heute bestreitet – und damit auch nicht zur Erziehung ihres Kindes befähigt ist, wird bis heute vor Gericht gestritten. Ob sie eine elektronische Fußfessel, eine Kamera vor ihrer Wohnungstür oder einen implantierten Chip, der ihre Position und ihre Worte immer sofort an die Polizei meldet, als Erleichterung empfinden würde? Spekulationen über das wirkliche Empfinden der Betroffenen kann ihr die verfassungsrechtliche Betrachtung ersparen: Zur Menschenwürde gehören ein Privat- und ein Familienleben, gehören freiwillige und ungestörte soziale Kontakte und gehört ein sozialer Geltungsanspruch, der von niemandem, auch nicht vom Staat, durch Wort oder Tat in Zweifel gezogen werden darf. Wer gedacht hatte, dass die Menschenwürdegarantie des Grundgesetzes es verbietet, den Einzelnen zum Objekt staatlichen Handelns zu machen, hat nicht mit dem »Kampf gegen den Terrorismus« gerechnet.

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