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Über die Guantána­moi­sie­rung des Rechts

Die neue Sicherheitsarchitektur am Beispiel von Anti-Terror-Datei und Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetz

Grundrechte-Report 2007, Seiten 157 – 160

Polizeibehörden und Geheimdienste unterscheiden sich durch verschiedene Aufgaben und – folgerichtig – unterschiedliche Befugnisse. Aus diesen Unterschieden ergibt sich nicht nur das Gebot einer organisatorischen Trennung von Polizei und Geheimdiensten (keine Angliederung eines Geheimdienstes an eine polizeiliche Dienststelle, vgl. etwa § 1 Absatz 1 Bundesverfassungsschutzgesetz), sondern auch ein Verbot ihrer informationellen Verschmelzung. Dieses Prinzip findet seine verfassungsrechtliche Grundlage im sog. Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten.

Gemeinsame Dateien aller Sicher­heits­be­hörden

Der Bundestag hat mit Beschluss vom I. Dezember 2006 die faktische Abschaffung dieses Trennungsgebots beschlossen. Mit dem »Gemeinsame-Dateien-Gesetz« wird eine planmäßige Zusammenführung von polizeilichen und geheimdienstlichen Datenbeständen eingeführt: An der »Anti-Terror-Datei« (ATD) sind neben dem Bundeskriminalamt, der Bundespolizei, dem Zollkriminalamt und allen Landeskriminalämtern auch die Verfassungsschutzbehörden des Bundes und der Länder, der Militärische Abschirmdienst sowie der Bundesnachrichtendienst beteiligt. Daneben können unter bestimmten Vorausset-
zungen eine Vielzahl weiterer Polizeidienststellen an der ATD beteiligt werden.

Wie bereits der Name des Gesetzes verrät, soll die ATD als gemeinsame Datei geführt werden. Das bedeutet nicht nur die allseitige Verpflichtung zur Einspeicherung, sondern beinhaltet auch die ebenso allseitige Möglichkeit zum Abruf der dort vorhandenen Informationen. Konsequenz hieraus ist, dass die Geheimdienste auch auf solche Informationen zugreifen können, die sie kraft eigener Befugnisse selber nicht besitzen dürften. Auch umgekehrt gilt: Menschen, die bislang in keiner Polizeidatei verzeichnet waren, können durch den Datenzugriff auf geheimdienstliche Informationen ins Visier von unterschiedlichsten Polizeibehörden geraten. Und: Auch auf zwischen deutschen und ausländischen Partnerdiensten fluktuierende Daten können deutsche Sicherheitsbehörden künftig zugreifen – selbst wenn sie mit hoher Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit (Guantánamo!) aus Folterverliesen stammen. Hierzu haben sich etwa Verfassungsschutz-Chef Heinz Fromm und SPD-Innenpolitiker Wiefelspütz ausdrücklich bekannt.

Das Gemeinsame-Dateien-Gesetz würde missverstanden, ginge man davon aus, dass in der Anti-Terror-Datei ausschließlich Terroristen oder deren Helfer gespeichert werden. Das Gesetz sieht vielmehr vor, dass die Erfassung von Personen schon bei »tatsächlichen Anhaltspunkten« für die Anwendung, Unterstützung, Vorbereitung oder auch nur Befürwortung von rechtswidriger Gewalt als Mittel international ausgerichteter politischer oder religiöser Belange zwingend vorgeschrieben ist. Was hier zunächst nur als definitorisch unbestimmte Speicherungsverpflichtung daherkommt, offenbart seine rechtsstaatliche Brisanz erst bei genauerem Hinsehen: Ihr Wortlaut verpflichtet nämlich nicht nur zur Speicherung von Daten von US-Präsident George W. Bush (wegen Anwendung von völkerrechtswidriger Gewalt zur Durchsetzung international ausgerichteter politischer Belange – Beispiel Irak) in der ATD, sondern auch vieler Mitglieder der gegenwärtigen deutschen Regierungskoalition, die dem amerikanischen Präsidenten öffentlich ihre Solidarität für dessen Anti-Terror-Feldzüge bekundeten (Befürworten der rechtswidrigen Gewalt). Diese mögli-
chen Anwendungsfälle zeigen – als gewiss nicht vorgesehene Nebenwirkung – nicht nur, dass ausländische Regierungschefs durch das Gemeinsame-Dateien-Gesetz per definitionem unter Terrorverdacht gestellt werden, sondern vor allem auch den sorglosen Umgang des deutschen Gesetzgebers mit dem verfassungsrechtlichen Bestimmtheitsgrundsa Viele Mitbürger, die den Behörden durch die Ausübung ihrer Meinungsfreiheit als Befürworter von nicht-friedlichen Konflikten gelten, werden zukünftig mit ihrer Speicherung in der ATD zu rechnen haben.

Wer es einmal geschafft hat, in der ATD gespeichert zu werden, der dürfte es schwer haben, je wieder aus ihr herauszufinden. Denn der Gesetzgeber hat nicht nur bei der Möglichkeit zur Speicherung größtmögliche Großzügigkeit walten lassen, sondern sich auch bei der Verpflichtung zur Löschung von Einträgen mehr als bedeckt gehalten: Sie soll erst eintreten, wenn die Kenntnis der Daten für die Aufklärung oder Bekämpfung des internationalen Terrorismus nicht mehr erforderlich ist. Mit anderen Worten: Während für die Aufnahme einer Person in die ATD vage Anhaltspunkte für nahezu beliebige Beziehungen zum internationalem Terrorismus reichen, wird für die Löschung die sicherheitsbehördliche Gewissheit verlangt, dass dieser Bezug nicht mehr besteht und auch zukünftig nicht bestehen wird.

Als eine weitere Form der Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden sieht das Gesetz die sog. Projektdateien vor. In diesen sollen Polizei und Geheimdienste Erkenntnisse zu einzelnen Gefahrenbereichen zusammenführen. Was den Charakter von solchen (befristeten) Projekten allerdings ausmachen soll, verschweigen die entsprechenden Regelungen weitgehend. Dieses Schweigen des Gesetzes hat zur Folge, dass schon einfache Staatsschutzkriminalität – auch ohne Zusammenhang zum internationalen Terrorismus – eines »Projektes« würdig sein und dadurch die Schranken für eine informationelle Zusammenarbeit zwischen Polizei und Geheimdiensten weitestgehend entfallen lassen kann. Spätestens dadurch wird deutlich, dass die neue Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik das Trennungsgebot als Auslaufmodell (miss-)versteht.

Das Terro­ris­mus­be­kämp­fungs­ge­setz in Forts­et­zungs­lie­fe­rung

Neben dem Schleifen des Trennungsgebots hat der Bundestag – ebenfalls am 1. Dezember 2006 – mit der Verabschiedung des Terrorismusbekämpfungsergänzungsgesetzes (TBEG) auch den Nachweis eigener Interesselosigkeit an der Verfassungsmäßigkeit von neuen Sicherheitsgesetzen erbracht: Die Befugnisse der Geheimdienste nach dem Terrorismusbekämpfungsgesetz wurden um weitere fünf Jahre verlängert, obgleich eine Evaluation dieser Befugnisse, die einen Beleg für die Verhältnismäßigkeit der Eingriffe und die Effektivität der verfahrensmäßigen Sicherungen hätte erbringen müssen, nicht vorlag. Das Parlament begnügte sich stattdessen mit einem (Erfahrungs-)Bericht der Bundesregierung, der seinerseits sogar die Feststellung enthielt, dass einzelne Befugnisse sich nicht bewährt hätten. Aber auch diese Befugnisse genießen das Vertrauen der Abgeordneten und wurden den Diensten für weitere fünf Jahre zugestanden.

Karlsruhe, übernehmen Sie!

Die neue Sicherheitsarchitektur der Bundesrepublik erscheint besorgniserregend schrankenlos. Angesichts der gesetzgeberischen Maßlosigkeit wird wieder einmal das Bundesverfassungsgericht das letzte Wort haben – mit Sicherheit.

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