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Anwälte angezapft

Grundrechte-Report 2008, Seite 129

„Eine Berücksichtigung des besonders geschützten Mandatsverhältnisses hat offensichtlich nicht stattgefunden.“ Gleich in mehreren Entscheidungen hat das Bundesverfassungsgericht im Jahr 2007 mit deutlichen Worten einen besseren Schutz von Rechtsanwälten bei der Anordnung von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen angemahnt. Gleichwohl hat der Gesetzgeber bei der Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung, die zum 1. Januar 2008 in Kraft getreten ist, nur wenig praxistaugliche Verbesserungen eingeführt.

Laxe Praxis

In ihren Entscheidungen haben die Verfassungsrichter klargestellt, dass Maßnahmen der Telekommunikationsüberwachung – neben den Grundrechten der Mandanten – nicht nur in das Fernmeldegeheimnis der betroffenen Rechtsanwälte aus Art. 10 Absatz 1 GG eingreifen. Ebenso tangiert ist deren Berufsausübungsfreiheit gemäß Art. 12 Absatz 1 GG, die insbesondere das Vertrauensverhältnis zwischen Anwalt und Mandant schützt. Zugleich sei auch das Interesse der Allgemeinheit an einer wirksamen und geordneten Rechtspflege berührt, wenn Rechtsanwälte aufgrund staatlicher Überwachungsmaßnahmen in der Ausübung ihrer Funktion beeinträchtigt werden.

Eine Telefonüberwachung gegenüber Rechtsanwälten darf daher – wie andere strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen auch – nur unter Beachtung besonderer Voraussetzungen angeordnet werden. Vor allem ist bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein strenger Maßstab anzulegen. Eingriffe müssen sich auf das notwendige Maß beschränken, in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere der Tat und zu der Stärke des Tatverdachts stehen. Diese und andere tatsächliche Eingriffsvoraussetzungen müssen jeweils mit konkreten Tatsachen hinreichend belegt werden. Dem ist etwa dann nicht genüge getan, wenn lediglich aufgrund von vagen Umständen und Vermutungen davon ausgegangen wird, dass der Anwalt mit einem Beschuldigten kommunizieren wird, wie das Gericht in einem Beschluss vom 30. April 2007 entschieden hat.

In einer Entscheidung vom 18. April 2007 hat das Bundesverfassungsgericht darüber hinaus klargestellt, dass insbesondere Strafverteidiger bei ihrem Kontakt zu beschuldigten Mandanten einem weitergehenden Schutz unterliegen. Hier ist eine Überwachung der Telekommunikation bereits aus verfassungsrechtlichen Gründen generell unzulässig. Zwar sei es nicht in jedem Fall und von vorneherein ausgeschlossen, einen Strafverteidiger abzuhören. Etwas anderes gilt jedoch für dessen Kontakt zu einem beschuldigten Mandanten. Dieses Vertrauensverhältnis wird einfachgesetzlich von § 148 Strafprozessordnung (StPO) geschützt, der die von Art. 10 Absatz 1 und Art. 12 Absatz 1 GG gewährten Garantien umsetzt. Dabei weist die Regelung einen Bezug zur Menschenwürde aus Art. 1 Absatz 1 GG auf, denn der Verteidiger kann und soll darauf hinwirken, dass der Beschuldigte nicht zum bloßen Objekt des Strafverfahrens wird.

Gesetzliche Neuregelung schafft kaum Abhilfe

Diese und ähnliche Entscheidungen zu strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen gegenüber Rechtsanwälten aus den vergangenen Jahren offenbaren, dass die Praxis der Staatsanwaltschaften und Fachgerichte den genannten Anforderungen immer wieder nicht gerecht wird. Wenn bereits eine derartige Zahl von Fällen zum höchsten deutschen Gericht durchdringt und entschieden wird, kann man sich ausmalen, wie die Praxis tatsächlich aussieht. Gleichwohl hat der Gesetzgeber es bei der im November 2007 vom Bundestag beschlossenen Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung versäumt, ausreichende Abhilfe in diesem Bereich zu schaffen.

Zwar statuiert der neue § 160a StPO in Absatz 1 nunmehr ausdrücklich ein umfassendes Beweiserhebungs- und Beweisverwertungsverbot für den Kontakt zwischen Verteidiger und Beschuldigtem. Die Regelung geht damit aber kaum über die ohnehin bestehende Rechtslage hinaus, wie sie sich aus der Verfassung und § 148 StPO ergibt. Für die sonstige Kommunikation von Rechtsanwälten gilt hingegen nur Absatz 2 der neuen Regelung. Danach unterliegt die Überwachung von Inhalten, für die dem Anwalt ein Zeugnisverweigerungsrecht zusteht, nur einem relativen Beweisverbot. Hiernach ist lediglich bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit ein besonderer Maßstab anzusetzen, ohne dass dieser inhaltlich näher konkretisiert würde, obgleich die maßgeblichen Kriterien in den genannten Entscheidungen immer wieder hervorgehoben wurden. Danach ist insbesondere in die Abwägung einzustellen, dass die anwaltliche Tätigkeit auch im öffentlichen Interesse liegt und dass hinsichtlich der in Rede stehenden Informationen ein besonderes Geheimhaltungsinteresse besteht. Stattdessen formuliert das Gesetz nur eine sehr formale, jeder Differenzierung entbehrende Regel, wonach nicht von einem überwiegenden Strafverfolgungsinteresse ausgegangen werden soll, wenn keine Straftat von erheblicher Bedeutung vorliegt. Über diese schematische Regelung hinaus sind indes auch bei Straftaten von erheblicher Bedeutung die genannten verfassungsrechtlichen Kriterien im Einzelfall zu berücksichtigen.

Die neue Regelung begegnet zum einen deshalb massiven Bedenken, weil sich der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit in der Praxis kaum als taugliche Begrenzung für Eingriffe durch die Exekutive erwiesen hat. Dafür ist er zu weich, was in der Praxis ganz erhebliche Argumentationsspielräume eröffnet. Sowohl Staatsanwaltschaften und Polizei als auch die Fachgerichte neigen bei deren Ausfüllung im konkreten Einzelfall zu einer eingriffsfreundlichen Entscheidung.

Zum anderen wird in der alltäglichen Praxis der Strafverfolgungsbehörden kaum zu erkennen sein, ob ein Rechtsanwalt gerade als Strafverteidiger oder „nur“ als Anwalt handelt. Weiterhin sieht § 160a Absatz 4 StPO Ausnahmen von den genannten Begrenzungen bereits dann vor, wenn der Verdacht einer Begünstigung, Strafvereitelung oder Hehlerei gegen den Rechtsanwalt besteht. Hierbei handelt es sich um eine deutlich zu weit gehende Regelung, die der Rechtsgarantie des unüberwachten mündlichen Verkehrs zwischen Verteidiger und Beschuldigtem widerspricht, zumal die Grenzen zwischen zulässigem Verteidigerverhalten und strafbarer Strafvereitelung unklar und mitunter fließend sind. Einschränkung sollten daher zumindest auf Fälle begrenzt werden, in denen der Strafverteidiger einer Täterschaft oder Teilnahme an einer Katalogtat verdächtig ist.

Ausblick

Zwar ist es zu begrüßen, dass der Gesetzgeber den Schutz von zur Zeugnisverweigerung berechtigten Rechtsanwälten und insbesondere von Strafverteidigern vor strafprozessualen Ermittlungsmaßnahmen nun ausdrücklich und detaillierter in § 160a der Strafprozessordnung geregelt hat. Eine nachhaltige Auswirkung auf die insofern defizitäre Praxis von Polizei, Staatsanwaltschaften und Fachgerichten ist gleichwohl kaum zu erwarten. Hierfür wäre es vielmehr notwendig gewesen, für alle Rechtsanwälte bereits auf der Tatbestandsebene konkrete aber differenzierende Kriterien festzulegen, um deutlich, nachvollziehbar und überprüfbar zu machen, wann in diesem Bereich ein Beweiserhebungs- und -verwertungsverbot vorliegt. So werden es nicht die letzten Entscheidungen gewesen sein, in denen das Bundesverfassungsgericht die Berufsausübungsfreiheit von Rechtsanwälten gegen strafprozessuale Ermittlungsmaßnahmen und insbesondere die Telekommunikationsüberwachung durchzusetzen hat.

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