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Danae­r-­Ur­teil - Ein Gericht schützt die infor­ma­ti­o­nelle Selbst­be­stim­mung und beschädigt sie zugleich

Grundrechte-Report 2008, Seite 46

Ein Handy klingelt. Der Besitzer erhält von dem Anrufer ein Angebot zu einem geschäftlichen Treffen. Er akzeptiert. Was er nicht weiß: Der Anrufer verwendet einen falschen Namen, und auch das geschäftliche Interesse ist geheuchelt. Der Mann fährt mit dem Auto zum vereinbarten Treffpunkt. Was er nicht ahnt: Sein „Geschäftspartner“ wird einen Peilsender unter dem Wagen befestigen und neun Tage lang jede Bewegung des Fahrzeugs aufzeichnen. Was dem Angerufenen ebenfalls verborgen bleibt: Seit Tagen wird das Haus, in dem er gemeldet ist, rund um die Uhr per Video überwacht. Die Überwacher: eine private Detektei. Deren Auftraggeber: eine Landesbehörde.

Was klingt wie der Plot einer zweitklassigen Spionagegeschichte, beschäftigte in Hamburg die Verwaltungsgerichte. Ziel der Maßnahme: Die Ausländerbehörde wollte der Ehefrau des Observierten nachweisen, in einer Scheinehe zu leben. Dabei zeigte man in der Wahl der Mittel ebenso wenig Skrupel wie hinsichtlich des Ausmaßes des Eindringens ins Privatleben des Beobachteten. Es sei, teilte ein Behördenvertreter später mit, mit der privaten Schnüffelfirma lediglich die Frage des Honorars im Detail erörtert worden. Das Verwaltungsgericht ließ sich von den erspähten Informationen beeindrucken und lehnte die Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes gegen die Versagung der Aufenthaltserlaubnis für die Ehefrau ab.

Verfas­sungs­recht­liche Brisanz

Erst das Oberverwaltungsgericht bemerkte auf die Beschwerde der bevollmächtigten Rechtsanwältin hin die verfassungsrechtliche Brisanz des Falles und gebot dem Treiben Einhalt. Mit erfreulich klaren Worten weisen die Richter die Behörde in ihre verfassungsmäßigen Schranken. Die fortgesetzten Überwachungsmaßnahmen stellten „erhebliche Eingriffe in das durch Art. 2 Absatz 1 GG i. V. m. Art. 1 Absatz 1 GG geschützte allgemeine Persönlichkeitsrecht und das davon umfasste Recht auf informationelle Selbstbestimmung dar“. Eine hier für erforderliche verfassungsmäßige gesetzliche Grundlage, die dem rechtstaatlichen Gebot der Normenklarheit entspreche, sei nicht gegeben; sie finde sich weder im Bundes- noch im Landesrecht. Dem konnte die Behörde auch nicht durch Delegierung der eigentlichen Ermittlungstätigkeit an eine private Detektei entgehen: „Es versteht sich… von selbst, dass durch den Einsatz privater Personen die gesetzlich bestimmten Grenzen der Eingriffsbefugnisse nicht zu Lasten des Bürgers erweitert werden können.“ Die Behörde habe sich selbst vor ihrer Letzt¬entscheidungsverantwortung zu Unrecht gedrückt, indem sie mit dem privaten Dienstleister nur das Honorar ausgehandelt, diesem aber die Ausgestaltung der Maßnahme überlassen habe.

Indes: Der Beschluss bleibt höchst zwiespältig. Zwar stellen die Richter ein Verwertungsverbot hinsichtlich der aus der Bespitzelung gewonnenen Erkenntnisse fest. Dies ergibt sich nicht zuletzt aus dem Rechtsstaatsprinzip: Wird ein Bürger durch rechtswidrige Ermittlungsmethoden einer Behörde in seinem Recht verletzt, so dürfen die gesetzwidrig erlangten Erkenntnisse nicht verwertet werden. Andernfalls, so die Richter, werde die Behörde zum Verstoß gegen Beweiserhebungsverbote geradezu ermutigt. Das Amt darf im konkreten Fall folglich den Inhalt des seitenlangen Überwachungsdossiers nicht zur Grundlage einer künftigen Entscheidung machen.

Doch den Schutzwall, den das Oberverwaltungsgericht so um das Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgerichtet hat, reißt es sogleich selbst wieder ein. Denn seiner Ansicht nach gilt das Verwertungsverbot nur unmittelbar, nicht auch mittelbar. Eine so genannte „Fernwirkung“ des Beweisverwertungsverbots lehnt das Gericht ab. Mit anderen Worten: Die Behörde darf zwar nicht in das Dossier der Detektei hineinsehen, daraus zitieren und mit den Ergebnissen der Observation einen Bescheid begründen. Wohl aber soll sie die Ergebnisse der Ausspähung in ihren Akten behalten und mit eigenen Ermittlungen nachvollziehen dürfen, um einen eventuell den Betroffenen nachteiligen Sachverhalt – scheinbar – selbst zu erforschen, von dem sie, wäre alles mit rechtsstaatlichen Dingen zugegangen, nie erfahren hätte.

Fernwirkung von Beweis­ver­bo­ten?

Zu diesem widersprüchlichen Ergebnis gelangen die Richter, indem sie sich einer Argumentationsformel aus dem Strafverfahrensrecht bedienen. Hier ist die Frage der Fernwirkung von Beweisverboten eine alte, so leidige wie umstrittene Bekannte. Durchgesetzt hat sich in der Praxis mehrheitlich die so genannte „Abwägungsformel“ von Bundesgerichtshof und Bundesverfassungsgericht. Demnach ist die Frage eines absoluten Beweisverwertungsverbots einzelfallbezogen zu beantworten (vgl. BVerfG, NJW 1990, 563, 564). Dabei sind die beeinträchtigten privaten Interessen des Beschuldigten gegen das öffentliche Verfolgungsinteresse unter Beachtung eines strengen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes abzuwägen (vgl. BGHSt 29, 244, 249 f.); eine Einschränkung von Grundrechten darf nur erfolgen, wenn dies zum Schutz öffentlicher Interessen unerläßlich ist (BVerfGE 19, 342, 348).

Wie problematisch die Abwägungsformel ist, wird nicht zuletzt am weiteren Gang der Argumentation der Hamburger Oberverwaltungsrichter deutlich. Der Form halber wird da kurz betont, die Erwägungen der Strafgerichte ließen sich nicht ohne weiteres auf den Bereich des Verwaltungsrechts übertragen, denn dem öffentlichen Interesse an der Aufklärung von Straftaten komme ein besonderes Gewicht zu, wie es im Verwaltungsrecht nicht stets gegeben sei. Flugs und ohne nähere argumentative Herleitung hebt der Senat dann aber just das öffentliche Interesse an der Verhinderung von Scheinehen in den Rang strafwürdigen Verhaltens. Es stehe der Annahme eines absoluten Verwertungsverbots entgegen. Ein Eingriff in den unantastbaren Kernbereich privater Lebensführung, der zu einem uneingeschränkten Verbot der Verwertung der gewonnenen Informationen geführt hätte (vgl. BVerfG, NJW 2004, 999, 1007), sei nicht gegeben, da der Ehemann nur im öffentlichen Raum observiert worden sei. Und schon läßt sich das eben noch ob seiner Anrüchigkeit verworfene Dossier der Detektei mittelbar verwerten. Mit etwas rhetorischer Geschicklichkeit läßt sich eben alles „wegwägen“, was dem gewünschten Ergebnis im Wege steht.

Wider­sprüch­liche Entschei­dung

Die Richter schenken sich dabei mit leichter Hand die insbesondere vom Bundesverfassungsgericht geforderte Einzelfallabwägung. Hätten sie sie angestellt, so hätten sie die Schwere des Eingriffs in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung berücksichtigen müssen, die schon durch die fehlende Rechtsgrundlage indiziert war. Ein unmittelbares Verbot der Verwertung wegen eines gravierenden Grundrechtsverstoßes anzunehmen, ein auch mittelbares dann aber wegen geringer Eingriffsintensität abzulehnen, ist widersprüchlich. Auch wäre zu berücksichtigen gewesen, dass die Ermittlungstätigkeit im Kern nicht darauf zielte, zu erfahren, wo im öffentlichen Raum der Ehemann sich jeweils aufhielt – solche Informationen würden wohl nicht dem unantastbaren Kernbereich privater Lebensgestaltung zuzurechnen sein -, sondern Indizien für dessen Bereitschaft zur Führung einer ehelichen Lebensgemeinschaft sammelte. Im Fokus stand mithin eine höchstpersönliche innere Tatsache.

Zutreffend hätte eine Fernwirkung des Beweisverwertungsverbots wohl mit der gleichen Konsequenz angenommen werden müssen, mit der das Oberverwaltungsgericht das unmittelbare Verwertungsverbot feststellt: „Kann die Behörde… einen von ihr angestrebten Beweis nicht [mit den ihr zur Verfügung stehenden legalen Mitteln, d. Verf.] führen, so hat sie… die damit möglicherweise verbundenen, aus ihrer Sicht nachteiligen Folgen hinzunehmen.“ Stattdessen belohnen die Richter im Ergebnis die sehenden Auges rechtswidrig handelnde Ausländerbehörde, indem sie ihr die Früchte des verbotenen Baumes zur weiteren Verwertung überlassen.

Literatur:

Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss v. 31.3.2007, Az. 3 Bs 396/05

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