Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2008

Richter als Ausspä­hungs­opfer des italie­ni­schen Geheim­diens­tes?

Grundrechte-Report 2008, Seite 133

Mehr als 200 Richterinnen und Richter in Italien und in zwölf weiteren europäischen Ländern sind zwischen 2001 und 2006 vom italienischen militärischen Geheimdienst SISMI „beschattet“ worden. Die Computer und der E-Mail-Verkehr der Richter wurden „angezapft“. Teilweise sollen die SISMI-Agenten den Richterinnen und Richtern auch gezielte Fehlinformationen zugespielt haben. Dies geht aus einem Untersuchungsbericht hervor, den der Oberste Richterrat (CSM) Italiens, dem der italienische Staatspräsident vorsitzt, am 4. Juli 2007 einstimmig verabschiedet hat. Zu den 47 italienischen Opfern sollen vor allem jene Mailänder Staatsanwälte gehören, die Verfahren gegen den Ex-Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eröffneten und vom SISMI-Geheimdienst als „regierungsfeindlich“ eingestuft wurden. Zielobjekte von SISMI sollen auch zwei Staatsanwälte gewesen sein, die Strafverfahren gegen jenes CIA-Kommando betreiben, dem die Verschleppung des ägyptischen Predigers Abu Omar vorgeworfen wird, sowie Staatsanwalt Antonio Ingroia, der über die Querverbindungen zwischen Mafia und Politik in Italien ermittelte.

Illegale Aktionen des Militär­ge­heim­dienstes

Der italienische Militärgeheimdienst SISMI war in den vergangenen Jahren wiederholt in die öffentliche Kritik geraten. Die Vorwürfe betrafen unter anderem seine Mitwirkung an der Erstellung von gefälschten Beweismitteln für die US-Regierung über den angeblichen Erwerb von Uran durch das Saddam-Hussein-Regime im Niger („Nigergate“), illegale Abhöraktionen im Bereich der italienischen Telecom und seine Beteiligung an der Entführung des Muslim-Predigers Abu Omar durch CIA-Bedienstete. SISMI-Direktor General Nicoló Pollari ist im November 2006 durch die Prodi-Regierung von seinem Posten abgelöst und durch Admiral Branciforte ersetzt worden. Im Februar 2007 wurde Pollari wegen seiner möglichen Beteiligung an der Abu Omar-Entführung verhaftet. Zwischenzeitlich wurde er zusammen mit 26 CIA-Agenten vor einem Mailänder Strafgericht angeklagt. Aufgrund eines vor kurzem vom italienischen Parlament beschlossenen Änderungsgesetzes wird SISMI künftig seine Tätigkeiten unter der Bezeichnung „AISE“ („Agenzia informazioni e sicurezza esterna“ – Agentur für Informationen und äußere Sicherheit) fortführen.

Deutsche Staats­an­walt­schaft vermeidet Ermitt­lungen

Mitglieder der europäischen Richterorganisation MEDEL, zu der in Deutschland die Gruppe der in der Gewerkschaft Ver.di organisierten Richterinnen und Richter sowie die „Neue Richtervereinigung“ (NRV) gehören, haben in Italien, Frankreich und auch in Deutschland wegen des aufgekommenen Verdachts, von SISMI über Jahre hinweg ausgespäht worden zu sein, Strafanzeige bei den zuständigen Staatsanwaltschaften ihrer Länder gestellt.

Die Ermittlungen in Italien und Frankreich sind noch im Gange. Dagegen hat die Staatsanwaltschaft Bremen – Dezernat Organisierte Kriminalität – am 19. Oktober 2007 die Aufnahme von Ermittlungen von vornherein mit der Begründung abgelehnt, es bestehe kein „ausreichender Verdacht“ (Az. 352 Js 54910/07). Es fehle an der „Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts mit der Folge, dass ein Prozesshindernis besteht“. Sollten die in der Strafanzeige angesprochenen Taten tatsächlich begangen worden sein, liege der Handlungsort in Italien. Auch eine Anwendbarkeit des deutschen Strafrechts über den „Erfolgsort“ (§ 9 Strafgesetzbuch, StGB) sei nicht gegeben. Beim Ausspähen von Daten handele es sich nicht um ein „Erfolgsdelikt“; denn unter Strafe gestellt sei nur das unbefugte Sichverschaffen von Zugang zu bestimmten Daten. Ein solches Sichverschaffen sei gegebenenfalls in Italien erfolgt. Zwar gelte das deutsche Strafrecht nach § 7 Absatz 1 StGB auch für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen werden, wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist oder der Tatort keiner Strafgewalt unterliegt. In jedem Fall sei aber erforderlich, „dass eine bestimmte einzelne deutsche Person verletzt i.S.v. § 77 Absatz 1 StGB ist“. Die zur Anzeige gebrachten „Taten richteten sich, ihre Begehung unterstellt, gegen italienische Richter und Staatsanwälte“. Eine „mittelbare Betroffenheit dadurch, dass … (von der deutschen Anzeigenerstatterin) verfasste E-Mails mitgelesen wurden“, mache die davon Betroffenen in Deutschland „nicht zu Verletzten i.S.d. § 77 Absatz 1 StGB“.

Das Ausspähen von Daten bleibt ein Straf­tat­be­stand

In der Folgezeit hat sich der Verdacht, dass auch deutsche Richter und Staatsanwälte – entgegen der unbelegten Unterstellung der Bremer Staatsanwaltschaft – von den Ausspähaktionen der SISMI-Agenten betroffen waren, verdichtet. Noch im Juli 2007 teilte zwar die deutsche Bundesjustizministerin Brigitte Zypries der Gewerkschaft Ver.di mit, ihr italienischer Amtskollege, Justizminister Mastella, habe ihr anlässlich eines Treffens in Berlin versichert, „dass nach seinen Informationen keine deutschen Richter oder Staatsanwälte von den Abhörmaßnahmen betroffen gewesen seien“. Auch schriftlich habe Mastella ihr gegenüber erklärt, dass nach den bisher vorliegenden Informationen „keine deutschen Richter und Staatsanwälte abgehört worden sind.“ In einem weiteren an Ver.di gerichteten Brief schrieb Ministerin Zypries im November 2007 jedoch, am 15. Oktober 2007 sei ein Schreiben der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Rom an die Deutsche Botschaft in Rom weitergeleitet worden, das ihr jetzt vorliege. Daraus ergebe sich, dass nach dem aktuellen Stand der Ermittlungen von der „nachrichtendienstlichen Tätigkeit der SISMI-Mitarbeiter“… „auch deutsche Richter und Staatsanwälte betroffen gewesen“ seien.

Damit besteht ein offenkundiger Widerspruch zwischen den von Ministerin Zypries wiedergegebenen mündlichen und schriftlichen Äußerungen ihres italienischen Amtskollegen Mastella einerseits und dem von der Deutschen Botschaft weitergeleiteten Schreiben der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Rom andererseits: Waren von den SISMI-Maßnahmen denn nun deutsche Richter und Staatsanwälte betroffen oder nicht? Zudem fällt auf, dass die von Ministerin Zypries wiedergegebene Darstellung der Staatsanwaltschaft beim Landgericht Rom nicht präzise klarstellt, worin die „nachrichtendienstliche Tätigkeit der SISMI-Mitarbeiter“ konkret bestand, von denen also offenbar doch „auch deutsche Richter und Staatsanwälte betroffen gewesen sind“. Denn einerseits wird eingeräumt, diese „nachrichtendienstliche Tätigkeit“ habe „die Einsichtnahme in Material einschließlich Namen, Adressen, Kongresstätigkeit und E-Mails … umfasst“. Andererseits wird geltend gemacht, dies sei „über die Homepage der Organisation der europäischen Richterorganisation MEDEL“ geschehen, „ohne dass dabei Sicherungsmaßnahmen umgangen worden seien“. Wie muss man sich vorstellen, dass über eine allgemein allen Internetnutzern frei zugängliche Homepage der Zugriff auf E-Mails möglich sein soll? Wie kann ein Zugriff auf den dienstlichen und/oder privaten E-Mail-Verkehr zwischen europäischen Richtern und Staatsanwälten ohne Umgehung von Sicherungsmaßnahmen (z.B. Passwörter, Verschlüsselungen) stattgefunden haben? Dies aufzuklären, obliegt vor allem den Strafverfolgungsbehörden, die mit den entsprechenden Befugnissen und Mitteln ausgestattet sind.

Das geltende Recht bietet ihnen dafür eine hinreichende Grundlage. Für Taten, die im Ausland gegen einen Deutschen begangen wurden, gilt das deutsche Strafrecht jedenfalls dann, „wenn die Tat am Tatort mit Strafe bedroht ist“ (§ 7 Absatz 1 StGB). Ob und in welchem Ausmaße deutsche Richter und Staatsanwälte von der Ausspähung ihres privaten und dienstlichen E-Mail-Verkehrs durch SISMI-Agenten im Einzelfall betroffen waren, kann freilich nur durch entsprechende Ermittlungen der Strafverfolgungsorgane festgestellt werden. Ferner muss im Hinblick auf § 7 Absatz 1 StGB (Tatort im Ausland; Tatopfer deutsche Staatsangehörige) die Tathandlung in Italien „mit Strafe bedroht“ sein. Dies ist der Fall. Denn in Italien ist – ebenso wie in Deutschland (§ 202a StGB) – das Ausspähen von Daten ein Straftatbestand.

Lehnen die zuständigen Staatsanwaltschaften in Deutschland weiterhin die notwendigen Ermittlungsmaßnahmen und damit die Anwendung der strafrechtlichen Vorschriften ab, die zum Schutz der Grundrechte der von solchen Ausspäh-Aktionen Betroffenen geschaffen wurden, verfehlen sie ihre rechtstaatliche Aufgabe.

Literatur

Dieter Deiseroth, Staatliche Internet-Kriminalität im gemeinsamen Europa, in: Betrifft Justiz 2007, S. 151 ff.

Markus Hansen: Andreas Pfitzmann, Technische Grundlagen von Online-Durchsuchung und -Beschlagnahme, in: Deutsche Richterzeitung 2007, S. 225-228

Hans Leyendecker, Ermittlung gegen Italiens Militärgeheimdienst, in: Süddeutsche Zeitung vom 16. Oktober 2007

Peter Mühlbauer, Während der Amtszeit Silvio Berlusconis wurden auch die Justizbehörden vom Geheimdienst überwacht, in: Telepolis vom 11. Juli 2007 (www.heise.de/tp/r4/artikel/25/25685/1.html)

Hartmut Pohl, Zur Technik der heimlichen Online-Durchsuchung, in: Datenschutz und Datensicherheit 2007, S. 684-688

nach oben