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Exklusive Demokratie: Der Ausschluss von Dritt­staats­an­ge­hö­rigen vom Wahlrecht

Grundrechte-Report 2009, Seite 165

Im Sommer 2008 wurde im Innenausschuss des Deutschen Bundestages eine Expertenanhörung zur Einführung des Kommunalen Ausländerwahlrechts durchgeführt. Gegenstand der Anhörung war ein Gesetzentwurf der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen (Bundestags-Drucksache 16/6628). Auch wenn es an den politischen Mehrheiten für den Gesetzentwurf fehlte, sollte dieser zum Anlass genommen werden, neu über die verfassungsrechtliche Bewertung des kommunalen Ausländerwahlrechts nachzudenken.

Zweiklas­sen­ge­sell­schaft beim Wahlrecht

Im Hinblick auf das demokratische Recht an Wahlen teilzunehmen, besteht in Deutschland eine Zweiklassengesellschaft. Knapp 5 Millionen ausländischen Staatsangehörigen, die dauerhaft – zumeist mit einem gesicherten Aufenthaltsstatus – in Deutschland leben, wird das Wahlrecht auf jeder politischen Ebene verwehrt. Nur Unionsbürgern wird wenigstens bei Kommunalwahlen aufgrund europarechtlicher Vorgaben das aktive und passive Wahlrecht zugestanden.

Vor knapp 20 Jahren hat das Bundesverfassungsgericht in zwei grundlegenden Urteilen den Ausschluss von Nichtdeutschen vom Wahlrecht als verfassungsrechtlich zwingend bewertet. Das kurz zuvor in Schleswig-Holstein und Hamburg eingeführte Kommunalwahlrecht für Ausländer erklärte das Gericht 1989 für verfassungswidrig, weil Formulierung und Ausgestaltung des Demokratieprinzips im Grundgesetz ein Wahlrecht für Ausländer ausschließe. In seinem Artikel 20 Absatz 2 bestimme das Grundgesetz, dass alle Gewalt vom Volke ausgehe. Die Zugehörigkeit zu jenem Volk, von dem alle Gewalt ausgehen soll, werde jedoch über die Staatsangehörigkeit bestimmt. „Volk“ im Sinne des Grundgesetzes sei folglich nur das deutsche Volk, bestehend aus der Summe der deutschen Staatsangehörigen. Damit zementierte das Bundesverfassungsgericht für die nächsten Jahre in apodiktischer Manier einen verfassungsrechtlich scheinbar zwingenden und unauflöslichen Zusammenhang zwischen Volkssouveränität, Staatsangehörigkeit und Wahlrecht. Folge der Karlsruher Entscheidungen war, dass zumindest dem einfachen (Landes- oder Bundes-) Gesetzgeber es seitdem verwehrt war, Nichtdeutschen das Wahlrecht durch entsprechende Gesetzesänderungen einzuräumen.

Bröckelndes Argumen­ta­ti­ons­ge­bäude

Seit dem Jahre 1989 ist der argumentative Zement, mit dem das Bundesverfassungsgericht das Verbot der Wahlbeteiligung von Nichtdeutschen begründet hat, allerdings in so starkem Maße gebröckelt, dass man heute getrost das ganze Gebäude als eingestürzt betrachten darf. Die soziologischen und demographischen Veränderungen der letzten zwanzig Jahre, durch die die deutsche Gesellschaft noch pluralistischer und heterogener wurde, sind nicht einmal das Entscheidende. Gerade aus rechtlicher Sicht ist die damalige Begründung des Gerichts heute widerlegt. Der wichtigste Grund hierfür ist, dass 1992 im Zuge der Ratifikation des EU-Vertrages Unionsbürgern, die in der Bundesrepublik leben, das aktive und passive Wahlrecht auf kommunaler Ebene eingeräumt wurde. Verfassungsrechtlich umgesetzt wurde dies durch eine Änderung des Artikel 28 Grundgesetz, der die demokratische Organisation in Kommunen zum Regelungsgegenstand hat. Die Behauptung, dass die Staatsgewalt in der Bundesrepublik nur vom deutschen Staatsvolk legitimiert wird, die Deutscheneigenschaft folglich zwingende Voraussetzung für die Zugehörigkeit zum Wahlvolk ist, kann seitdem nicht mehr aufrechterhalten werden. Alle Versuche, die Gewährung des kommunalen Wahlrechts für Unionsbürger als eine wie auch immer begründete Ausnahme zu qualifizieren, um weiter an einem an ethnischen Kriterien fokussierten Demokratieverständnis festzuhalten, scheitern an einer einfachen Einsicht: Gemessen an Artikel 116 Absatz 1 Grundgesetz sind Unionsbürger evident ebenso Nichtdeutsche wie Drittstaatsagenhörige. Die von Gegnern des Ausländerwahlrechts geltend gemachte „demokratiewidrige Fremdbestimmung“ kann nicht mehr ins Feld geführt werden. Denn seit der Einführung des kommunalen Wahlrechts für Unionsbürger ist die Beteiligung von Nichtdeutschen an Wahlen europa- und verfassungsrechtlich fest verankert. Der angeblich unauflösliche Verweisungszusammenhang zwischen Volksbegriff, Staatsangehörigkeit und Wahlberechtigung ist damit aufgelöst.

Auch an anderer Stelle relativiert das Europarecht die Bedeutung der Staatsangehörigkeit. Jeder Unionsbürger kann überall in der Europäischen Union in seinem jeweiligen Wohnsitzstaat das aktive und passive Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament ausüben. Anders als beim kommunalen Wahlrecht für Unionsbürger wird durch dieses Recht zwar nicht die Beteiligung von Nichtdeutschen an der Legitimierung deutscher Staatsgewalt ermöglicht. Jedoch führt das auf Europawahlen bezogene Wahlrecht der Unionsbürger dazu, dass ein in der Bundesrepublik wohnender Unionsbürger die in Deutschland aufgestellten Europaabgeordneten mitwählt. Entscheidend ist nicht die Staatsangehörigkeit, sondern der Wohnort. Europa- und verfassungsrechtlich sind Staatsangehörigkeit und Wahlrecht heute folglich ausdrücklich und unmissverständlich voneinander gelöst.

Neue Formen trans­na­ti­o­naler Zugehö­rig­keit

Die Prämissen der Grundsatzurteile des BVerfG werden zudem auch dadurch in Frage gestellt, dass sich zunehmend neue Formen transnationaler Zugehörigkeiten herausbilden. Ein Beispiel ist der Ausbau eines internationalen Menschenrechtsschutzes, der im Unterschied zum traditionellen diplomatischen Schutz gerade nicht an die Staatsangehörigkeit des Einzelnen anknüpft. Im Gegenteil: Das Gemeinschafts- und internationale Wirtschaftsrecht verbietet Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit. Einen weiteren Ansatz bietet das im Entstehen befindliche internationale Strafrecht. Im Namen des Universalitätsprinzips nimmt es immer weniger Rücksicht auf die Staatsangehörigkeit eines Täters oder früher bestehende Immunitätsregeln.

Nicht zuletzt spricht auch die Annährung der Rechtspositionen von Drittstaatsangehörigen an die der Unionsbürger für eine Auflösung eines rein territorialen Zugehörigkeitsverständisses. Als Beispiel hierfür kann auf die europäische Daueraufenthaltsrichtlinie verwiesen werden, die dauerhaft in der EU lebenden Migranten das Recht gibt, von einem EU-Staat in einen anderen umzusiedeln. Das dauerhafte Aufenthaltsrecht und die daran geknüpften Rechte können die Migranten in den anderen EU-Staat mitnehmen. Zwar gehen ihre Rechte nicht so weit, dass sie mit Staatsangehörigen und Unionsbürgern gleichgestellt wären, insbesondere haben sie kein Wahlrecht. Dennoch ist eine Annäherung der Rechtsposition des daueraufenthaltsberechtigten Migranten an den Staatsangehörigkeits- bzw. Unionsbürgerschaftsstatus nicht zu verkennen.

Wie das Kommunalwahlrecht für Unionsbürger oder das wohnsitzbezogene Wahlrecht der Unionsbürger bei Wahlen zum Europäischen Parlament verdeutlichen die im Entstehen befindlichen transnationalen Zugehörigkeitsverhältnisse jedenfalls, dass zwischen dem Innehaben einer bestimmten Staatsangehörigkeit und der Einräumung staatsbürgerlicher Rechte kein zwingender konzeptioneller, begrifflicher oder rechtlicher Zusammenhang besteht. Im Ergebnis stehen der Erstreckung des Wahlrechts auf Drittstaatsangehörige nicht nur keine rechtlichen Gründe entgegen. Vielmehr lassen sich völker- und europarechtliche Entwicklungen der vergangenen Jahre gerade eindeutig als Argumente für die Einbeziehung von Nichtdeutschen in den Kreis der Staatsbürgerinnen und Staatsbürger lesen. Dem sollte der deutsche Gesetzeber endlich Rechnung tragen.

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