Publikationen / Grundrechte-Report / Grundrechte-Report 2009

Lidl is watching you

Grundrechte-Report 2009, Seite 40

Zum 25. Jahrestag des Karlsruher Volkszählungsurteils fand der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier deutliche Worte: „Wir verwandeln uns zu einer privaten Überwachungsgesellschaft internationalen Ausmaßes“. Er bezog sich damit explizit auf die jüngsten Überwachungsskandale in der Privatwirtschaft – nicht zuletzt auf den Skandal um die Bespitzelungen der Lidl-Mitarbeiter. Die Aushöhlung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung durch Private stellt eine der großen Herausforderungen für den heutigen Datenschutz dar. Der Fall Lidl verweist allerdings auf ein zusätzliches Problem: Wie können Eingriffe in Persönlichkeitsrechte im Rahmen von Abhängigkeitsverhältnissen, in denen sich z.B. typischerweise Arbeitnehmer befinden, effektiv verhindert werden?

Lidl-S­kan­dal: Stasi-­Me­thoden am Arbeits­platz

Das Wochenmagazin Stern machte den Lidl-Skandal im März 2008 erstmals publik und skandalisierte die „Überwachungsmethoden, die an die Stasi erinnern“. In der Tat wurden die Beschäftigen und auch die Kunden von Lidl in einem Ausmaß bespitzelt, das an Geheimdienstmethoden autoritärer Systeme erinnert. Zur Überwachung der eigenen Mitarbeiter hatte Lidl Detektive beauftragt. Diese brachten in den Filialen fünf bis zehn Miniaturkameras an und verfassten über das Verhalten der Beschäftigen akribische Protokolle. Die Bandbreite der gesammelten Informationen reicht von Angaben über die Arbeitsleistungen bis zu solchen, die weit in die Privatsphäre der Betroffenen hineinreichen.

So wurden Einschätzungen über die Arbeitsleistung, -fähigkeit und -motivation der Mitarbeiter, das Pausenverhalten sowie das Verhalten gegenüber Kunden aufgeführt. Auch die Filialeiter blieben nicht ungeschoren – über „Führungsverhalten und Führungsqualitäten“ wurde ebenfalls Bericht erstattet.

Auch die Liste der Schnüffeleien im Privatleben der Beschäftigten ist lang. So wurden über persönliche Problemlagen einzelner Mitarbeiter, Zwischenmenschliches und daran anknüpfende Beurteilungen, den Gesundheitszustand sowie zu (möglichen) Schwangerschaften, finanzielle Situation der Mitarbeiter und ihrer Familien Vermerke verfasst. Ebenso wurden Stimmungslagen und Wesensarten der Mitarbeiter erfasst. Ereignisse, die aus Sicht des Detektivs einen wie auch immer gearteten Verdacht begründen könnten, waren ebenfalls Teil des Überwachungsrasters.

Lidl hat seine Mitarbeiter systematisch ausspionieren lassen und die Ergebnisse ausgewertet. Die dahinter stehende Haltung zeugt von einer völligen Missachtung der Privatsphäre und den Persönlichkeitsrechten der eigenen Beschäftigen.

Negative Folgen für die Beschäf­tigten

Die Überwachung blieb für die Beschäftigten nicht ohne Konsequenzen. Die Logik der Bespitzelung lag ja gerade darin, auf unerwünschtes Verhalten der Mitarbeiter entsprechend reagieren zu können. Gängelung und Sanktionen bis hin zur Kündigung waren mögliche Reaktionen auf die illegal erhobenen Informationen.

Zum Beispiel war es Lidl durch die Überwachung möglich, vermeintlich Schwangere frühzeitig zu kündigen. In den Detektei-Berichten liest sich das dann wie folgt: „Herr X erzählt mir, dass er Frau Y auf Grund ihrer schlechten allgemeinen Leistung am liebsten nicht mehr beschäftigen würde. (…) Jetzt kommt dazu, dass Frau Y eventuell schwanger sein könnte (sie hat seit sechs Wochen keine Regelblutung), dann wäre es zu spät, etwas zu unternehmen.“ Und tatsächlich führte der Protokollinhalt zur Kündigung der Mitarbeiterin – wie durch die zuständige Datenschutzbehörde später festgestellt wurde.

Lidl-Aufsichtsratschef Klaus Gehring versuchte sich am 6. Mai 2008 in der ZDF-Sendung „Johannes B. Kerner“ zu rechtfertigen und spricht von „Einzelfällen“, von „dummen Dingen“ und von „dappigen Detektiven“. Die Geschäftsleitung habe von solchen Vorgängen nichts gewusst. Überzeugen vermögen diese Rechtfertigungsversuche allerdings nicht. Nach Darstellung des Innenministeriums Baden-Württemberg gab es solche Vorgänge in insgesamt 30 von 35 Lidl-Vertriebsgesellschaften in zwölf Bundesländern. Weiter heißt es: „Auch wenn insgesamt keine flächendeckende, also alle Finalen betreffende Überwachung vorgenommen wurde, kann angesichts der Zahl der durchgeführten Einsätze auch nicht von Einzelfällen gesprochen werden“. Zudem handelte es sich nicht um den ersten Fall seiner Art. Bereits im Jahr 2006 hatte die Gewerkschaft ver.di in einem Schwarzbuch ähnliche Fälle aufgedeckt ohne dass offensichtlich Besserung eingetreten ist – im Gegenteil (Schwarzbuch Lidl Europa, S. 20).

Was tun?

Als Reaktion auf den Überwachungsskandal hat das baden-württembergische Innenministerium in seiner Funktion als Aufsichtsbehörde im September 2008 ein Bußgeld in Höhe von 1.462.000 Euro gegenüber Lidl verhängt. Es handelt sich um die höchste Strafe, die wegen eines Datenschutzvergehens jemals verhängt worden ist. Zudem wurden alle 35 Vertriebsgesellschaften mit einem Bußgeld von jeweils 10.000 Euro belegt, weil sie bis Anfang Juni 2008 keinen betrieblichen Datenschutzbeauftragten hatten, obwohl sie dazu verpflichtet waren.

Es stellt sich die Frage, wie künftig verhindert werden kann, dass es überhaupt zu solchen Überwachungsvorfällen kommt. Dabei spielt die personelle und ressourcen-mäßige Ausstattung von Datenschutzbehörden eine zentrale Rolle. Zugleich sollten sie stärkere Kontrollrechte erhalten. Bezogen auf die Arbeitswelt sind besondere Anstrengungen erforderlich. Denn Arbeitnehmer stehen in einem spezifischen Abhängigkeitsverhältnis zum Arbeitgeber und bedürfen deswegen eines besonderen Schutzes.

Dass Späh- und Lauschangriffe auf Beschäftigte sowie Bespitzelungen verboten sind, sollte eine Selbstverständlichkeit sein. Die entscheidende Frage ist, wie diese Verbote auch faktisch durchgesetzt werden können. Dabei spielen – wie auch bei der Durchsetzung anderer Arbeitnehmerschutzbestimmungen – Betriebsräte eine zentrale Rolle. Das Problem ist allerdings, dass gerade die Unternehmen wie Lidl und andere Discounter-Betreiber immer wieder dadurch von sich Reden machen, dass sie Betriebsratswahlen verhindern.

Deswegen ist es wichtig, dass der Gesetzgeber die Voraussetzungen dafür schafft, dass die Betriebsratswahlen nicht mehr so leicht wie bisher von Arbeitgebern verhindert werden können. In Betrieben, in denen keine Betriebsräte vorhanden sind, müssen andere Kontrollinstanzen geschaffen werden. Diese Funktion könnten die zuständigen Gewerkschaften und die – personell aufgestockte – Datenschutzbehörden übernehmen.

Die „private Überwachungsgesellschaft“ hat viele Gesichter. Damit es nicht zum „Super-Gau des Datenschutzes“ kommt, vor dem Verfassungsrichter Papier in seiner Festansprache warnte, müssen die Anstrengungen um den Datenschutz im privaten Sektor deutlich erhöht werden.

nach oben