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Mehr Datenschutz für 2,2 Millionen Unions­bür­ger? - EuGH schränkt Nutzung des Auslän­der­zen­tral­re­gis­ters ein

Grundrechte-Report 2009, Seite 51

Heinz Huber ist österreichischer Staatsangehöriger und lebt und arbeitet seit 1996 in Deutschland. Wie bei allen Ausländern, die sich nicht nur kurzfristig in Deutschland aufhalten, wurden seine Daten in dem Ausländerzentralregister gespeichert. Herr Huber fühlte sich dadurch diskriminiert, weil für Deutsche keine entsprechende zentrale Datenerfassung vorgesehen ist. Deswegen beantragte er im Jahr 2000 die Löschung seiner Daten und machte die Verletzung seiner Rechte als Unionsbürger geltend. Den Löschungsantrag lehnte das damals für die Führung des Ausländerzentralregisters zuständige Bundesverwaltungsamt ab. Schließlich landete der Rechtsstreit vor dem Verwaltungsgericht in Köln, das Herrn Huber Recht gab. Das daraufhin angerufene Berufungsgericht, das Oberverwaltungsgericht NRW, legte die Sache dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg vor.

Im Ausländerzentralregister werden nach eigenen Angaben des nun zur Führung des Registers zuständigen Bundesamt für Migration und Flüchtlinge etwa 23,7 Millionen personenbezogenen Datensätzen gespeichert. Es handelt sich um eine der größten Datenbanken Deutschlands. Gespeichert werden die Daten von sämtlichen Ausländern, die länger als drei Monate in Deutschland leben oder gelebt haben. Betroffen sind unter anderem die knapp sieben Millionen in Deutschland lebenden Personen nichtdeutscher Staatsangehörigkeit. Davon sind 2, 2 Millionen Unionsbürger und 4, 6 Millionen so genannte Drittstaatsangehörige, also Personen, die keine Staatsangehörigkeit der EU-Staaten besitzen. Im AZR werden aber nicht nur die in Deutschland dauerhaft lebenden Ausländer gespeichert, sondern auch Personen, die sich mit einem Visum länger als drei Monate in Deutschland aufhalten. Diese Personen werden in der sogenannten Visadatei gespeichert. Die hohe Zahl von fast 24 Millionen kommt dadurch zustande, dass die Daten im AZR auch nach Ausreise des Ausländers noch sehr lange gespeichert werden. In der Regel werden beispielsweise die Datensätze eines Ausländers, der das Inland verlassen hat, bis zu zehn Jahre nach der Ausreise gespeichert. Zugriff auf das AZR haben Ausländer-, Sicherheits-, Polizei- und Justizbehörden, die es zu ihrer Aufgabenerfüllung nutzen. Zudem wird es zu statistischen Zwecken genutzt.

Teilweise europa­rechts­widrig

Justitias Mühlen malen langsam – so auch in der Europäischen Union. Acht Jahre nach dem Löschungsantrag hat nun der EuGH mit Urteil vom 16. Dezember 2008  (Rs. C-524/06) entschieden, dass die Speicherung von Unionsbürgern im AZR teilweise europarechtswidrig ist. So dürfe die Bundesrepublik zwar grundsätzlich Personendaten über in Deutschland lebenden Unionsbürger sammeln, entschied das Gericht. Allerdings dürfen diese nur insoweit gespeichert werden, als sie zur Anwendung der aufenthaltsrechtlichen Vorschriften nach der Unionsbürgerrichtlinie (RL 2004/38/EG) unbedingt erforderlich sind.
 
Eingangs stellt der EuGH fest, dass es sich bei den im AZR gespeicherten Daten um personenbezogene Daten im Sinne der EU-Datenschutzrichtlinie handele (RL95/46/EG). Diese Richtlinie bezweckt, in allen Mitgliedstaaten der EU ein gleichwertiges Datenschutzniveau herzustellen. Die Speicherung im AZR sei nur dann zulässig, wenn sie erforderlich im Sinne der Datenschutzrichtlinie ist. Die Erforderlichkeit der Datenspeicherung ist aus Sicht des EuGH letztlich gegeben – allerdings nicht in dem Maße, in dem bisher Daten von Unionsbürgern im AZR gespeichert werden. Die Erforderlichkeit leitet der EuGH aus den aufenthaltsrechtlichen Anforderungen ab, die an Unionsbürger gestellt werden, die sich in einem anderen als den eigenen EU-Mitgliedstaat aufhalten. Von einem Unionsbürgern kann nämlich verlangt werden, dass er sich bei der zuständigen Behörde anmeldet, wenn er sich über drei Monate in einem anderen EU-Staat aufhält. Die Behörde kann die Vorlage verschiedener Dokumente und Informationen verlangen, die die Feststellung ermöglichen, ob die Voraussetzungen für den Aufenthalt gegeben sind. Zur Unterstützung dieser Überprüfungen sei es deswegen legitim, ein entsprechendes Register zu führen.

Aus denselben Gründen, so der EuGH, liege deswegen auch kein Verstoß gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund der Staatsangehörigkeit (Artikel 12 Absatz 1 EG-Vertrag) vor.

Befasst hat sich der EuGH sodann mit der Frage, ob die Erfassung in einer Zentral-Datei  gegen Europarecht verstößt. Mit Hinweis auf eine effizientere Anwendung lässt der EuGH eine solche zentralisierte Erfassung zu, wie sie durch das AZR im Gegensatz zu den Melderegistern, in denen deutsche Staatsangehörige erfasst werden, erfolgt.

Unzulässige Bewegungs­er­he­bungen

Auch wenn der EuGH die zentrale Speicherung von Unionsbürgern im AZR also grundsätzlich zulässt, so hat er doch einige Einschränkungen vorgenommen. Die Speicherung und Verarbeitung von personenbezogenen Daten zu statistischen Zwecken erklärt der EuGH für nicht erforderlich und damit für unzulässig. Die EU-Mitgliedstaaten haben nicht das Recht, genaue Erhebungen zu den Bevölkerungsbewegungen, soweit es Unionsbürger betrifft, zu erstellen. Nichts hat der Gerichtshof allerdings gegen Statistiken einzuwenden, die auf anonymen Daten beruhen.

Der Gerichtshof nimmt noch eine weitere Begrenzung der bisherigen Nutzung des AZR vor: Eine Unterscheidung zwischen deutschen Staatsangehörigen und anderen Unionsbürgern sei bei der Datenverarbeitung zur Kriminalitätsbekämpfung nicht zulässig, sondern verstoße gegen das Verbot der Diskriminierung von Unionsbürgern aufgrund ihrer Staatsangehörigkeit. Dies hat zur Folge, dass zur Kriminalitätsbekämpfung auf die Daten von Unionsbürgern im AZR nicht mehr zugegriffen werden darf.

Heinz Huber hat für sich und 2, 2 Millionen weitere Unionsbürger sein eigentliches Ziel – die Löschung aus dem AZR – verfehlt: Eine Erfassung in einer Zentraldatei wie dem AZR ist nach diesem EuGH-Urteil auch künftig noch möglich. Dass aus „Effizienzgründen“ eine Zentraldatei, die es für deutsche Staatsangehörige nicht gibt, auch weiterhin erlaubt sein soll, ist enttäuschend und zementiert eine kaum verschleierte Diskriminierung. Und für die 4, 6 Millionen Nicht-Unionsbürger ist vorerst keine Verbesserung bei der Achtung ihres Rechts auf informationelle Selbstbestimmung in Sicht. Dem Trend in der Union und ihren Mitgliedstaaten hin zu zentralisierten Großdatenbanken setzt der EuGH mit dieser Entscheidung nichts Grundlegendes entgegen.

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