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Staatlich angeord­netes Verschim­meln­lassen - Seit mehr als 25 Jahren werden Flüchtlinge in Lagern zwangs­un­ter­ge­bracht

Grundrechte-Report 2009, Seite 32

Sie sind seit über 25 Jahren Bestandteil deutscher Normalität: Lager für Flüchtlinge. Dabei existiert der Begriff weder bei den Bürokratien, die sie verwalten, noch im Gesetz. Als „Gemeinschaftsunterkünfte“ firmieren sie im Asylverfahrensgesetz – als bildeten die dort zugewiesenen und zwangsuntergebrachten Menschen eine Gemeinschaft. Tatsächlich sind sie Lager und die Politiker, die sie seit Anfang der 1980er Jahre durchgesetzt haben, ließen keinen Zweifel daran. Es finden sich unter Liberalen, Christdemokraten und Sozialdemokraten Befürworter der Lagerunterbringung. Was gemeint war, hat etwa der damalige hessische Innenminister Gries (FDP) auf den Begriff gebracht: “Das Lager soll nicht einladend wirken, sondern Scheinasylanten abschrecken. Auch das ist gemeint […] lagermäßige Unterbringung, Zugangskontrollen und Ausgangsbeschränkungen – ganz klar!“

Die Realität der Abschreckungslager prägt den Alltag von Asylsuchenden, Geduldeten und anderen Personengruppen bis heute. Hunderttausende von Menschen haben sie durchlaufen, nicht ohne Schaden an Leib und Seele zu nehmen, denn Lager machen krank. Darauf wiesen Untersuchungen schon früh hin. Man hätte es aus der deutschen Geschichte wissen können: „Aus Erfahrung mit unseren eigenen Flüchtlingsbewegungen wissen wir, dass ein zur Untätigkeit verurteilendes Lagerleben auf längere Zeit die Persönlichkeit und die Familie zerstört“ (Bischof Hengsbach 1980).

Staatliche Geiselnahme

Mit den Abschreckungslagern werden Menschen erklärtermaßen zu Objekten degradiert. Die Unterbringungsform dient nicht nur ihrer eigenen Entmutigung – sie soll andere von der Inanspruchnahme des Asylrechts abschrecken. Man könnte das als eine Art staatliche Geiselnahme bezeichnen. Wer die Menschenwürde als Verpflichtung ernst nimmt, muss für die Beendigung dieses Zustands eintreten.

So ist denn auch die Geschichte der Lagerunterbringung eng verbunden mit dem Widerstand gegen sie. Der Widerstand richtet sich nicht nur gegen die lokalen „Gemeinschaftsunterkünfte“, in denen die Untergebrachten großenteils privatwirtschaftlichen Betreibern zur Entrechtung überlassen werden, sondern auch gegen die inzwischen entstandenen „Ausreiseeinrichtungen“, die mit einem nochmals verschärften Regime die Abschiebefähigkeit herstellen sollen, und gegen Erstaufnahmeeinrichtungen, die in einigen Bundesländern direkt mit letzteren kombiniert wurden und in denen die „Rückkehrberatung“ das einzige ist, was Untergebrachten gerne offeriert wird. Das multifunktionale Großlager hat allerdings denselben Effekt wie die dezentralen Unterbringungsformen in Containern, abgelegenen Kasernen, Baracken – ein Teil der so Untergebrachten entzieht sich dieser Situation.

Proteste gegen Baracken­lager Katzhütte

Gegen die geballte Macht der Unterbringungsbürokratie und den Einfluss der privaten Betreiber ist nicht leicht anzugehen. Wer es versucht, muss mit Sanktionen rechnen. Das zeigen die Proteste von Flüchtlingen und ihren Unterstützern, die sich seit Frühjahr 2008 gegen die Zustände im Barackenlager Katzhütte im Thüringer Wald richten. Sie gingen mit massiven Beschwerden an die Öffentlichkeit. Man sei völlig isoliert, ohne Kontakt zur Gesellschaft untergebracht. Die Unterkunft sei eine heruntergekommene Hütte aus Karton und Faserplatten, die Wände seien zum Teil verschimmelt. Ab 16 Uhr sei die Küche verschlossen, eine Stunde später die Dusche. Die Gemeinschaftsdusche sei 300 Meter entfernt. Kinder und alte Menschen seien häufig krank. Die ausgegebenen Einkaufgutscheine seien nur in einem Supermarkt einlösbar. Die Heimleiterin verhänge gegen die Bewohner „Kollektivstrafen“, indem sie etwa das Wasser in der Küche abstelle. Soweit der ganz alltägliche Irrsinn der Lager, wie er vielerorts herrscht.

Doch diesmal reagieren die Medien. Der Landkreis gerät unter Druck. Die Verantwortung wird zwischen dem Kreis, dem die Immobilie gehört, und der Betreiberfirma hin und her geschoben. Doch eigentlich schuld am Schimmel sollen die Bewohner sein, die ihr Essen kochen, ohne zu lüften. Und nach Auffassung der Kreisspitze die bundes- und landesgesetzlichen Regelungen, die die Lagerunterbringung als die Regel vorschreiben.

Anfang Mai 2008 findet in dem kleinen Ort Sottrum in Niedersachsen am Sitz der Betreiberfirma K&S (Dr. Krantz Sozialbau und Betreuung) eine Protestkundgebung statt. K&S ist einer der Großen im profitablen Lagergeschäft. Zum Zeitpunkt der Proteste unterhält die Firma noch 8.000 Plätze in 50 Einrichtungen. Die Konditionen in Katzhütte und anderswo sind Geschäftsgeheimnis.

Zwischen den Profiteuren des Elends und dem Kreis kommt es – bei Anerkennung kleinerer Mängel – zum üblichen Schulterschluss. Eine Schließung der Unterkunft komme nicht in Frage, wegen der gewachsenen sozialen Bindungen. Selbsternannte Flüchtlingsvertreter trügen ihre Kampagnen auf dem Rücken der Flüchtlinge aus, die endlich zur Ruhe kommen wollten. Gegen zahlreiche Personen habe man allerdings Anzeige wegen Hausfriedensbruches erstatten müssen, nachdem eine Kundgebung von der Polizei aufgelöst worden war. Zwei Sprecher der Bewohner werden in andere Lager verlegt. Durch ihre demonstrativ bekundeten Forderungen sei es zu erheblichen Unruhen gekommen, von beiden gehe eine negative Wirkung auf das Verhalten anderer Bewohner aus. Was die Landrätin als gedeihliches Zusammenleben von Menschen verschiedener Herkunft darstellt, sehen andere als staatlich angeordnetes Verschimmelnlassen.

Versuchte Abschiebung eines Kritikers

Für einen der Sprecher kommt es noch härter. Zum zweiten Mal seit Beginn der Proteste wird er in Abschiebungshaft genommen. Die örtliche Ausländerbehörde und das Landesamt in Weimar versuchen mit großer Energie, seine Abschiebung möglich zu machen. Mohammed Sbaih ist Palästinenser. Eine direkte Abschiebung in das Westjordanland oder nach Gaza ist nicht möglich. Die Behörden suchen einen Weg über Jordanien. Die Unterstützerorganisationen und ein Rechtsanwalt intervenieren. Das VG Meiningen untersagt die Abschiebung vor dem Hintergrund der unklaren Situation an der Grenze zum Westjordanland. Doch ausgestanden ist das Ganze nicht.

Manche Kritiker des Lagersystems kann man nicht abschieben oder umverlegen. Da versucht man es anders. In Oldenburg steht ein Einheimischer vor Gericht. Dem wird vorgeworfen, ein Flugblatt verteilt zu haben, in dem der Leiter der Zentralen Aufnahme und Ausländerbehörde Blankenburg als „Lagerleiter“ und „rassistische Autorität“ bezeichnet wird. Das Antirassistische Plenum schätzt das Ganze als einen Versuch der Landesregierung ein, unliebsame Meinungsäußerungen zu kriminalisieren. Über die zulässige Bezeichnung des seit Jahrzehnten existierenden Normalzustandes und seiner Protagonisten wird weiter gestritten.

Manchmal eröffnen sich Chancen, an die auch die Gegner der Lagerunterbringung bis vor Kurzem nicht zu denken gewagt hätten. In Deutschlands rigidestem Lagerbundesland (140 Lager mit 8.400 Personen) beschloss der Bayerische Landtag im Dezember 2008 einstimmig auf Antrag der Grünen die Schließung zweier Containerlager in München. Die mitregierende FDP bewies, dass ihr das Thema ein wirkliches Anliegen ist. Die Abschaffung der Lager gehört überall auf die Tagesordnung. „Yes we can!” kommentierte der bayerische Flüchtlingsrat den Etappensieg.

Literatur

Thomas Pieper, Die Gegenwart der Lager. Zur Mikrophysik der Herrschaft in der deutschen Flüchtlingspolitik, Münster 2008

Weiterführende Informationen zum Fall Katzhütte online unter: www.thevoiceforum.org

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