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Und wieder: Politische Tätigkeit als Anlass für Überwachung

Grundrechte-Report 2009, Seite 115

Am 1. April 2006 demonstrierten in München ca. 100 Menschen gegen den Einsatz von Giftgas durch die türkische Armee in Kurdistan. Stellvertretender Versammlungsleiter war der Journalist und Historiker Nikolaus Brauns. Das Unterstützungskommando (USK) der bayerischen Polizei löste die Versammlung auf, weil auf hochgehaltenen Portraits von getöteten kurdischen Widerstandskämpfen das Symbol des KADEK, einer Nachfolgeorganisation der seit 1993 in Deutschland mit einem Betätigungsverbot belegten Arbeiterpartei Kurdistans (PKK), abgebildet gewesen sein soll. Bei diesem Polizeieinsatz wurde u. a. Nikolaus Brauns kurzzeitig festgenommen.

Die Münchener Polizei nahm sein politisches Engagement zum Anlass, ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Vereinsgesetz einzuleiten. Zu seinen Lasten hielt sie ihm vor, wie er über Megaphon die Versammlungsteilnehmer aufgefordert hatte, die von der Polizei beanstandeten Plakate zu entfernen. Obwohl sich Nikolaus Brauns gut in der kurdischen Sache auskenne und so die KADEK-Symbole erkannt haben müsse, habe er in der Durchsage von „angeblich“ verbotenen Symbolen gesprochen und damit seine Unterstützung der PKK zum Ausdruck gebracht. Seine Tätigkeit als stellvertretender Versammlungsleiter der Kundgebung sei daher als Unterstützung des Kongra-Gel (Volkskongress Kurdistans), der ebenfalls verbotenen Nachfolgeorganisation des KADEK, anzusehen und damit als strafbare Zuwiderhandlung gegen ein Vereinsverbot gem. § 20 Absatz 1 Nr. 4 de Vereinsgesetzes(VereinsG) zu werten.

Vorwurf „hinläng­lich bekannter Links­ak­ti­vist“

Brauns ist nicht nur Autor u. a. der Tageszeitung „junge welt“, sondern auch lange Jahre in der Kurdistan-Solidarität aktiv; ein Engagement, das ihm jetzt zum Verhängnis wurde. So wurde dem Betroffenen u. a. vorgeworfen, dass er „Linksaktivist“ sei. Außerdem sei er schon des Öfteren im Zusammenhang mit pro-kurdischen Vereinen und Versammlungen aufgetreten, habe als Journalist über die Kurdenproblematik berichtet und einen Aufruf an die Bundesregierung zur Aufhebung des PKK-Verbots mit unterzeichnet. Auf seiner Homepage zeige er Fotos vom Besuch einer Newroz-Feier in der Türkei, auf denen Personen mit hochgehaltenen Öcalan-Bildern zu sehen seien. Diese nicht verbotenen Aktivitäten waren nach Ansicht der ermittelnden Beamt/innen als Unterstützung einer verbotenen Vereinigung zu bewerten. Brauns habe „durch die Art der Berichterstattung eine psychische Unterstützung“ geleistet und trete als Organisator von Veranstaltungen auf, bei denen er „eng mit PKK-Aktivisten in Berührung gekommen“ sei. Diese Tätigkeiten begründeten sogar den Verdacht einer führenden Funktionärsstellung in der PKK oder einer ihrer Nachfolgeorganisationen.

Es ist nicht das erste Mal, dass politisches Engagement als Anlass genommen wird, um polizeiliche oder geheimdienstliche Maßnahmen gegen kritische Gruppen oder Einzelpersonen einzuleiten. Erinnert sei an dieser Stelle nur an die 2007 bekannt gewordenen Ermittlungen gegen verschiedene linke Aktivist/innen wegen des Verdachts der Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung (siehe auch die Beiträge von Peer Stolle und Wolfgang Kaleck im Grundrechte-Report 2008).

Zehn relevante Telefon­ge­spräche

Bei den Ermittlungen wurden drei E-Mail-Accounts, zwei Mobilfunk- und ein Festnetzanschluss für teilweise mehr als fünf Monaten komplett überwacht. Die Daten von drei Bankkonten von Brauns´ Mutter wurden abgefragt. Brauns selbst wurde über ein Jahr lang zur polizeilichen Beobachtung ausgeschrieben. Mehr als 3.000 Einzelverbindungen wurden aufgezeichnet, wovon aber nur etwas über 100 Telefongespräche als relevant eingestuft und in den Akten protokolliert wurden. Mitgelesen wurden 5.301 Emails, wovon lediglich acht – neben ein paar regelmäßig empfangenen Newslettern – Eingang in die Akte als „verfahrensrelevant“ gefunden haben. Die „Relevanz“ erschöpfte sich dabei beispielsweise in Gesprächen über die Reise von Menschenrechtsdelegationen in den türkischen Teil Kurdistans, das von der Bundesregierung unterstützte Ilisu-Staudammprojekt und die damit verbundene Zerstörung der kultur-historisch bedeutsamen Stadt Hasankeyf, den Austausch über aktuelle politische Ereignisse, die Wohnungssuche oder ein Treffen zum Mittagessen in der Polizeikantine.

Mehrere Telefonate betrafen allerdings direkt Brauns´ journalistische Tätigkeit. Zusätzliche grundrechtliche Brisanz erlangte die Überwachung auch durch die Anstellung Brauns als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der innenpolitischen Sprecherin der Bundestagsfraktion DIE LINKE, Ulla Jelpke. Gespräche darüber schienen für die Ermittler von besonderem Interesse. So wurden beispielsweise Telefonate mit einer Journalistin und der Email-Verkehr mit der Abgeordneten Jelpke dahingehend ausgewertet, ob die Thematisierung der Tätigkeit und des derzeitigen Aufenthaltes eines bestimmten Beamten des Bundeskriminalamts (BKA) in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung nicht den Anfangsverdacht des Geheimnisverrats gem. § 353 b Absatz 2 des Strafgesetzbuchs begründen würde. Noch bevor der Fraktionsführung oder gar der Bundesregierung die Kleine Anfrage vorlag, hatte der Münchner Staatsschutz bereits das BKA über die geplante Anfrage informiert. Der besondere Schutz von Journalisten und Abgeordneten vor staatlicher Überwachung, der seit dem 1. Januar 2008 auch in § 160a er Strafprozessordnung ausdrücklich geregelt ist, wurde von den ermittelnden Beamten dagegen nicht problematisiert. So verwundert es auch nicht, wenn bei der Auswertung besonders hervorgehoben wurde, dass Brauns seine Emails mit seiner offiziellen Signatur „Wissenschaftlicher Mitarbeiter Büro Ulla Jelpke“ unterzeichnet.

Krimi­na­li­sie­rung von politischen Themen­be­rei­chen

Schließlich überlegten die ermittelnden Beamten sogar noch, ob man nicht eine Wohnungsdurchsuchung bei Brauns durchführen sollte. Da aber die Ermittlungen keinerlei Anhaltspunkte erbracht hatten, die den Tatverdacht hätten erhärten können, verwarf man diese Idee nach Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft wieder. Nach ca. 16 Monaten wurden die Ermittlungen Anfang 2008 endlich eingestellt und der Betroffene benachrichtigt.

Dieses Verfahren macht deutlich, wie schnell man auf Grund seiner politischen Tätigkeit in das Visier von Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten geraten kann. Die schon erwähnten Terrorismus-Verfahren der letzten Jahre können damit nicht als einmalige Fälle angesehen werden, sondern stehen beispielhaft für ein politisches Strafrecht, durch das Grundrechte regelmäßig suspendiert und politisch missliebige Personen verfolgt werden. Die Folgen einer derart intensiven Ausforschung der Privatsphäre werden von den ermittelnden Beamten scheinbar nicht mitgedacht – oder sie sind erwünscht. Dies gilt auch für die verfassungsrechtliche Brisanz, die sich aus einer Überwachung der Arbeit von Parlamentsabgeordneten und Journalisten durch die polizeiliche Exekutive ergibt.

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