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Verfas­sungs­schutz­be­richte: Hoheitliche Verrufs­er­klä­rungen - etwas mehr Kontrolle

Grundrechte-Report 2009, Seite 181

Die Behörden des Verfassungsschutzes nehmen einen prominenten Platz in der Berichterstattung des Grundrechte-Reports ein. Im Grundrechte-Report 2008 berichtete Sönke Hilbrans über den leider am Bundesverwaltungsgericht (3. Senat) gescheiterten Versuch, sich gegen unrichtige Behauptungen des Verfassungsschutzes zur Wehr zu setzen. Das Bundesverwaltungsgericht hatte dem Bürger die Beweislast für die Unrichtigkeit der Aussagen des Verfassungsschutzes aufgebürdet.

Von diesem Freibrief für den Verfassungsschutz setzt sich wohltuend die Entscheidung des 6. Senats des Bundesverwaltungsgerichts vom 4. September 2008 ab (Az. 6 C 13.07). In dem Rechtsstreit hatte sich die islamische Glaubensgemeinschaft Milli Görüs gewehrt gegen Tatsachenbehauptungen im baden-württembergischen Verfassungsschutzbericht 2001. Die dort gemachte Tatsachenbehauptungen seien unrichtig und würden ein negatives Werturteil über die Vereinigung enthalten. Im Rechtsstreit wollte der Verfassungsschutz die Beweise für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht vorlegen. Die Folge: das Bundesverwaltungsgericht untersagte dem Verfassungsschutz, die im Verfassungsschutzbericht aufgestellten Tatsachenbehauptungen weiter zu verbreiten.

Eigentlich selbst­ver­ständ­lich: wer etwas behauptet, sollte das auch beweisen

Das Bundesverwaltungsgericht hat durchaus die Schwierigkeiten berücksichtigt, denen sich der Verfassungsschutz gegenüber sieht, wenn er den Beweis für die Richtigkeit der von ihm aufgestellten Tatsachenbehauptungen nicht meint erbringen zu können, weil die entsprechenden Akten geheimhaltungsdürftig seien und deshalb nicht Gegenstand des Verfahrens werden könnten. Genau dies war im zugrunde liegenden Fall gegeben: Das Innenministerium hatte durch eine so genannte Sperr-Erklärung die Vorlage der Akten an das Verwaltungsgericht unter Hinweis auf deren Geheimhaltungsbedürftigkeit verweigert. Diese Geheimhaltungsbedürftigkeit der Akten hat das Bundesverwaltungsgericht sogar ausdrücklich bestätigt.

Mit dieser Entscheidung im Rücken meinte der Verfassungsschutz, dass eine schlichte Behördenerklärung, ein so genanntes „Behördenzeugnis“, dem Gericht zum Beweis der Richtigkeit seiner Behauptungen ausreichen müsse. Dem ist das Bundesverwaltungsgericht nicht gefolgt und hat damit den Verfassungsschutzbehörden die Möglichkeit abgeschnitten, durch Abgabe einer Sperrerklärung den Umfang ihrer Beweispflicht zu steuern. Die vom Verfassungsschutz geforderte Beweislastumkehr wurde zu Gunsten einer Zivilisierung des Verhältnisses von Verfassungsschutz und Bürgern zurückgewiesen.

Dieser Lichtblick wird von derselben Verfassungsschutzbehörde wieder verdunkelt durch handwerkliche Inkompetenz und ideologische Verhaftetheit in alten Feindbildern. Im Verfassungsschutzbericht 2007 des baden-württembergischen Verfassungsschutzes werden die „Jungedemokraten/Junge Linke“ (JD/JL) als „linksextremistische Strukturen“ bezeichnet, die auf „viele weitere Jahrzehnte gute Zusammenarbeit“ mit der angeblich linksextremistischen Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes/ Bund der Antifaschisten (VVN-BdA) hoffen würden. Die JD/JL also als Linksextremisten im Verfassungsschutzbericht – kein Ausrutscher, denn jede Aufnahme in den öffentlichen Tätigkeitsbericht erfolgt erst nach sorgfältiger Prüfung durch das vorgesetzte Innenministerium.

Wie werde ich eine „links­ex­tre­mis­ti­sche Struktur“?

Was war geschehen, damit sich eine Vereinigung als „linksextremistische Struktur“ im Verfassungsschutzbericht wieder findet? Mit fatalen Folgen, denn die staatliche Unterstützung für Jugendorganisationen wird eingestellt, wenn eine Organisation als „linksextremistisch“ gilt.

Die Auskunftsanfragen der Vorstände der JD/JL ergaben: der Verfassungsschutz Baden-Württemberg führt über keine Vorstände der JD/JL irgendwelche Informationen. Allein die Tatsache, dass ein vormaliges Mitglied des Landesvorstandes Berlin der JD/JL ein siebenzeiliges Grußwort für die Festschrift zum 60-jährigen Bestehen der VVN-BdA geschrieben hat, in dem er auf „viele weitere Jahrzehnte guter Zusammenarbeit“ hofft, hat dem Verfassungsschutz in Baden- Württemberg gereicht, die JD/JL nicht nur zu einer linksextremistischen Organisation zu machen, sondern dies auch noch warnend in den Verfassungsschutzbericht aufzunehmen. Dass sich die JD/JL in bester demokratischer Gesellschaft befanden, hat den Verfassungsschutz nicht angefochten. Unter den sechzig Organisationen und Personen des öffentlichen Lebens dieser Republik, die Grußadressen an den VVN-BDA gerichtet haben, finden sich etwa Hildegard Hamm-Brücher (FDP), Andrea Nahles (SPD) und Claudia Roth (Bündnis 90 / Die Grünen).

Angesichts dieser Faktenlage bedurfte es nur eines Schreibens an den Verfassungsschutz, damit die Passage sofort aus dem online gestellten Tätigkeitsbericht 2007 gestrichen und selbiges für die unmittelbar bevorstehende Druckfassung zugesagt wurde. Dieses Ergebnis kann nicht die Sorge überdecken darüber, mit welcher Leichtfertigkeit Personen und Vereinigungen in das Beobachtungsfeld und schließlich in die öffentlichen Verrufserklärungen des Verfassungsschutzes gelangen können. Es drängt sich der Eindruck auf, dass beim Verfassungsschutz Baden-Württemberg weiterhin das Bedrohungsbild des Kalten Krieges gepflegt wird.

Dass bei Verfassungsschutzbehörden rechtskräftige Urteile nicht zur Kenntnis genommen werden, wenn sie nicht ins Kalkül passen, bestätigt der weitere Fortgang des Verfahrens. Auf die Anfrage, ob der Verfassungsschutz nicht aufgrund der eingestanden rechtsfehlerhaften Aufnahme der JD/JL in den Verfassungsschutzbericht zumindest die Kosten der anwaltlichen Tätigkeiten übernehmen würde, meinte das Amt , dass doch gar kein Grundrechtseingriff vorgelegen habe. Gerade das Gegenteil hatte das Bundesverwaltungsgericht im Urteil in Sachen Milli Görüs nur Tage zuvor dem baden-württembergischen Verfassungsschutz klarzumachen versucht: Nämlich, dass die Erwähnung einer Organisation im Verfassungsschutzbericht als „negative Sanktion“ des Staates ein Grundrechtseingriff sei. Schon wieder vergessen!?

Die geschilderten Fälle mögen gut ausgegangen sein, bestätigen aber sämtliche Zweifel am Nutzen und der Legitimation solchermaßen ideologisch eng und handwerklich schlecht arbeitender Verfassungsschutzbehörden.

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