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Zentra­li­sierter Anti-Terror - Das neue BKA-Gesetz als rechts­s­taat­liche Heimsuchung

Grundrechte-Report 2009, Seite 176

Es wurde als wichtigstes Sicherheitsgesetz der laufenden Legislaturperiode bezeichnet: Das Gesetz zur Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus durch das Bundeskriminalamt. Nachdem eine Sachverständigenanhörung im Bundestag am 15. September 2008 erhebliche Kritik am entsprechenden Entwurf offenbart hatte, wurde es erst über den „Umweg“ der Einschaltung des Vermittlungsausschusses verabschiedet – und brachte damit eine Änderung der deutschen Sicherheitsarchitektur auf den Weg, deren Konsequenzen den wenigsten Abgeordneten bei der Abstimmung bewusst gewesen sein dürften.

Zuständigkeitsverschiebungen

Schon bisher war das Bundeskriminalamt (BKA) mit der Bekämpfung des Terrorismus betraut, nämlich als Ermittlungsbehörde der Generalbundesanwältin im Rahmen von strafrechtlichen Ermittlungsverfahren. Hier war es auch in präventiver Mission tätig, denn das deutsche Strafrecht stellt schon die bloße Mitgliedschaft in Vereinigungen mit krimineller Zielsetzung (vgl. etwa die §§ 129 ff. StGB) unter Strafe – ohne dass eine konkret gefährdende Straftat tatsächlich bereits begangen sein müsste. Es lässt sich also nicht sagen, dass das BKA mit präventiver Terrorabwehr bisher nichts zu tun gehabt hätte. Nun aber ist das Amt auch dann zuständig, wenn eine länderübergreifende Gefahr vorliegt, die Zuständigkeit einer Landesbehörde nicht erkennbar ist oder eine (oberste) Landesbehörde um eine Übernahme ersucht. Ausdrücklich heißt es im neuen § 4a des Bundeskriminalamtsgesetzes (BKAG) weiter, dass es im Rahmen dieser Aufgabe auch bestimmte Straftaten verhüten darf, es also zu einer konkreten Gefahr gar nicht erst kommen lassen muss. Was sich in präventiver Logik als überaus konsequent darstellen mag, offenbart seine grundsätzliche Zweifelhaftigkeit bei einer näheren Betrachtung. Denn mit der Straftatenverhütung wird das sog. Gefahrenvorfeld eröffnet – und das BKA auch dann schon tätig, wenn eine Gefahr überhaupt noch nicht absehbar bzw. eine Straftat noch nicht einmal versucht ist. Das Amt wird sich also in Zukunft auch um solche Sachverhalte kümmern (dürfen), die niemals zu einem polizeilichen Einschreiten Anlass geben werden. Damit wird eine nicht bestimmbare Vielzahl von Unverdächtigen – bzw. allenfalls potentiellen Störern – zu Zielpersonen.

Mangel­hafter Kernbe­reichs­schutz

Spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum so genannten großen Lauschangriff vom 3. März 2004 steht fest, dass eine Person den Anspruch auf Achtung ihrer Intimsphäre auch dann nicht verliert, wenn sie unter Straftatverdacht steht. Ausdrücklich wurde hier die Unantastbarkeit des Kernbereichs privater Lebensgestaltung proklamiert. Die Achtung dieser Sphäre darf keinesfalls den Sicherheitsbehörden überlassen werden. Vielmehr verlangt das Bundesverfassungsgericht, dass der Gesetzgeber den Schutz der Intimsphäre gesetzlich verankern muss. Diesem Erfordernis wird das neue BKA-Gesetz nicht gerecht.

Für manche Maßnahmen, beispielsweise Lauschaktionen außerhalb von Wohnungen, enthält sich das Gesetz jeglicher Reglementierung. Es ist den BKA-Ermittlern also nicht untersagt, beispielsweise das im Park gesprochene Wort zwischen vertrauten Personen auch dann mitzuhören, wenn dort intimste Angelegenheiten besprochen werden. Ebenso wenig ist es V-Leuten und Verdeckten Ermittlern verboten, an „kernbereichsrelevanter Kommunikation“ teilzunehmen. Es ist offensichtlich, dass sich diese gesetzgeberischen Unterlassungen nicht mit dem genannten Schutzkonzept des Bundesverfassungsgerichts vereinbaren lassen.

Ein geradezu bewusstes Umgehen der Karlsruher Vorgaben stellt es dar, dass bei Online-Durchsuchungen und Telekommunikationsüberwachungen ein Überwachungsverbot nur dann eingreift, wenn zu erwarten ist, dass allein Erkenntnisse aus dem Kernbereich privater Lebensgestaltung erlangt würden. Dass aber auf einem privaten Computer ausschließlich solche Informationen gespeichert sind, ist ebenso realitätsfern wie die Annahme, dass ein Telefonanschluss ausschließlich zu Gesprächen über Einzelheiten eines Ehelebens genutzt wird. Mit anderen Worten: Der Schutz der Privatsphäre soll nach Vorstellung der Parlamentarier im Bundestag leer laufen. Dieser vorsätzliche Verfassungsverstoß veranlasste einen ehemaligen Richter des Bundesverfassungsgerichts, der an der Rechtsprechung zum Kernbereichsschutz maßgeblich beteiligt war, zu einem bemerkenswerten – und, soweit ersichtlich einmaligen – Hinweis: Im Aufsatz in einer juristischen Fachzeitschrift schrieb Wolfgang Hoffmann-Riem dem Gesetzgeber ins Stammbuch, dass mit entsprechenden Wendungen in Sicherheitsgesetzen der vom höchsten deutschen Gericht gemeinte Kernbereichsschutz „ausgehebelt“ werde. Ein noch schlechteres Zeugnis für den Gesetzgeber ist kaum vorstellbar.

Straf­ver­tei­diger ist nicht gleich Rechts­an­walt

Die so genannten Berufsgeheimnisträger wie Rechtsanwälte, Ärzte, Therapeuten oder auch Journalisten bedürfen im Interesse der Allgemeinheit von Verfassungs wegen des besonderen Schutzes vor Überwachungsmaßnahmen. Diese Erkenntnis hat sich das neue BKA-Gesetz nur in eingeschränkter Form zu eigen gemacht. Strafverteidiger genießen nunmehr einen absoluten Schutz, während andere Rechtsanwälte sich Überwachungsmaßnahmen bei Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gefallen lassen müssen. Dabei lässt sich die rechtsberatende Tätigkeit eines Anwalts im Einzelfall kaum von einer solchen des Strafverteidigers unterscheiden – die Grenzen sind oft fließend.

Auch – beispielsweise – Ärzte und Journalisten dürfen sich nicht sicher sein, von Lauschaktionen bis in ihre Praxen und Büros hinein ausnahmslos verschont zu bleiben. Diese Ungleichbehandlung der in § 53 der Strafprozessordnung genannten Zeugnisverweigerungsberechtigten führt nicht nur zu einem Zwei-Klassen-Schutz vor staatlichen Überwachungsmaßnahmen, sondern auch zum Verlust der Gewissheit bei jedermann, sich im Gespräch mit dem Scheidungsanwalt oder Gynäkologen vor unerwünschten Mithörern ausnahmslos unbelauscht zu fühlen. Diesen rechtsstaatlichen Kollateralschaden hat der Bundestag aber offenkundig bewusst gewollt.

Raster­fahn­dung, Spähangriff & Co.

„Unter dem Dach“ der erweiterten Zuständigkeit des BKA finden sich nahezu alle Befugnisse, die auch aus dem Landespolizeirecht bekannt sind. Hierzu gehören die kurzfristige Freiheitsentziehung, die Wohnungsdurchsuchung, die längerfristige Observation, der Einsatz von V-Leuten und Verdeckten Ermittlern ebenso wie die chronisch erfolglose Rasterfahndung, die Telekommunikationsüberwachung, der Lausch- und Spähangriff sowie die im Gesetzgebungsverfahren in besonderer Weise umstrittene Onlinedurchsuchung (vgl. dazu Erhard Denninger, Neues Computergrundrecht?, S. 20 ff.).

Viele dieser Überwachungsbefugnisse schlummern im Landespolizeirecht einen Dornröschenschlaf und werden – wenn überhaupt – nur höchst selten angewendet. Die Gründe hierfür liegen vor allem in mangelnden finanziellen, personellen und technischen Ressourcen bei den Länderpolizeien. Auf einen solchen faktischen Schutz vor einer regelmäßigen Anwendung von Überwachungsbefugnissen sollte man im Falle des BKA nicht hoffen: Die aktuell zu beobachtende „Aufrüstung“ der Wiesbadener Behörde dürfte vielmehr dazu führen, dass ein Lauschangriff kaum jemals an fehlenden Wanzen oder Richtmikrophonen scheitern wird.

Ebenso nahe liegend ist die zeitgleiche Anwendung mehrerer Überwachungsmethoden, was seinerseits die Gefahr der Ermittlung von umfassenden Persönlichkeitsprofilen in sich birgt. Eine solche Rundum-Ausforschung aber ist, wie das Bundesverfassungsgericht inzwischen wiederholt festgestellt hat, mit der Menschenwürdegarantie des Artikel 1 Absatz 1 Grundgesetz unvereinbar und daher zu verhindern. Ein entsprechendes Verbot findet sich im BKA-Gesetz indes nicht.

Auch anderweitig besteht Anlass zu notwendiger Kritik. Im Falle der Rasterfahndung hätte bereits ihre vielfach unter Beweis gestellte Ineffizienz einen Verzicht nahe gelegt. Überdies hatte das Bundesverfassungsgericht im Jahre 2006 die Maßnahme aus Gründen der Verhältnismäßigkeit auf die Abwehr von konkreten (also tatsächlich bestehenden) Gefahren beschränkt. Diese Rechtsprechung hat zu einer erheblichen Einschränkung ihrer Anwendbarkeit geführt: Eine „nur“ allgemeine Bedrohungslage, wie sie nach dem 11. September 2001 bestand (und heute noch besteht?), darf mit ihrer Hilfe nicht aufgeklärt werden. Allerdings handelt es sich bei der Rasterfahndung um eine Methode, die – wenn überhaupt – zu den so genannten Strukturermittlungen, und aufgrund ihrer zeitlichen Aufwändigkeit kaum zur Abwehr unmittelbar bestehender Gefahren, taugt. Da der Bundestag die gelegentliche Rasterung der Bevölkerung aber nicht der Rechtsgeschichte überantworten wollte, erlaubte er sie auch dann, „wenn konkrete Vorbereitungshandlungen die Annahme rechtfertigen, dass eine bestimmte Straftat begangen werden soll“. Mit anderen Worten: Auch dann, wenn eine konkrete Gefahr möglicherweise in Zukunft eintreten könnte, ist der Datenabgleich gestattet. Auch hierbei handelt es sich um nicht weniger als die bewusste Missachtung der verfassungsgerichtlichen Vorgaben.

Weitere Arbeit für die Karlsruher Richter

Es entwickelte sich in den vergangenen Jahren schon beinahe zum Ritual, dass die Gesetzgeber in Bund und Ländern um eine Zurechtweisung durch das Bundesverfassungsgericht betteln. Nachhaltige Lernerfolge sind durch die Nachhilfen in Sachen Lauschangriff, Telekommunikationsüberwachung, Rasterfahndungen, Luftsicherheitsgesetz und Onlinedurchsuchungen allerdings nicht zu verzeichnen gewesen. Und deshalb mussten auch gegen das neue BKA-Gesetz bereits mehrere Verfassungsbeschwerden angekündigt werden. Es ist in Anbetracht seiner offensichtlichen verfassungsrechtlichen Unzulänglichkeiten lediglich eine Zeitfrage, bis Karlsruhe auch das BKA-Gesetz auf den Boden des Grundgesetzes wird zurückholen müssen.

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